Verhandlung B 6 KA 2/19 R
Verhandlungstermin
13.05.2020 09:30 Uhr
Terminvorschau
In den drei Revisionsverfahren (B 6 KA 2/19 R, B 6 KA 3/19 R und B 6 KA 25/19 R) sind zwischen der klagenden Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) und dem beklagten Beschwerdeausschuss Honorarkürzungen aufgrund von Wirtschaftlichkeitsprüfungen streitig.
Der klagenden BAG gehörten in den streitgegenständlichen Quartalen 4/2012 bis 4/2013 ein zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassener Facharzt für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie (MKG-Chirurg Dr. Dr. S.), der zugleich zur vertragszahnärztlichen Versorgung zugelassen war, zwei Zahnärzte sowie im Juli 2013 ein weiterer Zahnarzt an. Sie beschäftigte in diesen Quartalen angestellte Zahnärzte in wechselnder Zahl. Der MKG-Chirurg Dr. Dr. S. rechnete zugleich Leistungen über die Kassenärztliche Vereinigung Hessen ab.
BAG Dr. Dr. S. ua ./. Gemeinsamer Beschwerdeausschuss der Zahnärzte und Krankenkassen in Hessen und 7 Beigeladene
Die zuständige Prüfungsstelle forderte bei der Klägerin vergeblich für das Quartal 3/2013 die ausführlichen schriftlichen Krankheits- und Befundberichte nach Nr 75 der Anlage zur Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ; BEMA-Z Nr 7750) zu den Behandlungsfällen an, in denen allein diese Leistung, ggf mit Porto, abgerechnet wurde, strich 1469 Leistungen nach Nr 75 Anlage zur GOÄ inklusive Portokosten und kürzte nach einer statistischen Vergleichsprüfung bezogen auf den Gesamtfallwert das Honorar der Klägerin für die konservierend-chirurgischen Leistungen im Quartal 3/2013 auf das 1,4fache des Vergleichswerts (insgesamt unter Berücksichtigung der Degressionsneuberechnung und des HVM-Einbehalts 466 308,09 Euro). Den Vergleichswert bildete sie, indem sie die Vergleichswerte der Zahnärzte und MKG-Chirurgen entsprechend der Besetzung der BAG (ohne angestellte Zahnärzte) gewichtete (hier: 2,333 zu 1).
Nachdem die Klägerin im Verfahren vor dem Beschwerdeausschuss elektronische Briefausdrucke zu einem Teil der abgerechneten Leistungen nach Nr 75 Anlage zur GOÄ vorgelegt hatte, strich der beklagte Beschwerdeausschuss die Leistungen im konservierend-chirurgischen Bereich nach Nr 75 Anlage zur GOÄ - teilweise, da der Leistungsinhalt nicht erfüllt war, teilweise weil die Dokumentation fehlte - sowie Leistungen im Bereich der Behandlung von Verletzungen des Gesichtsschädels (Kieferbruch), Kiefergelenkserkrankungen (Aufbissbehelfe) ("KB-Bereich") und erhöhte die Honorarkürzung wegen Unwirtschaftlichkeit bei den konservierend-chirurgischen Leistungen (insgesamt 472 077,27 Euro nach Degressionsneuberechnung und HVM-Einbehalt, wobei wirtschaftlich die Kürzung bei den konservierend-chirurgischen Leistungen ganz im Vordergrund steht). Der Kürzung lag nunmehr eine Gewichtung der Besetzung der BAG mit Zahnärzten einschließlich der angestellten Zahnärzte und mit MKG-Chirurgen von 7,33 zu 1 zugrunde.
Die Klage der Klägerin blieb erfolglos. Der Beklagte sei berechtigt gewesen, neben der Wirtschaftlichkeitsprüfung sachlich-rechnerische Richtigstellungen vorzunehmen. Deren Notwendigkeit habe sich erst im Laufe des Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahrens herausgestellt und ihnen komme im Verhältnis zur Wirtschaftlichkeitsprüfung keine überragende Bedeutung zu. Die von der Klägerin abgerechneten Schreiben erfüllten nicht den Leistungsinhalt der Nr 75 Anlage zur GOÄ. Soweit Schreiben nicht vorgelegt worden seien, könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Leistung erbracht worden sei. Auch die Honorarkürzung im konservierend-chirurgischen Bereich aufgrund der Wirtschaftlichkeitsprüfung sei nicht zu beanstanden. Die unterschiedliche Ausrichtung der Mitglieder der BAG habe der Beklagte durch Heranziehung der Vergleichsgruppe der MKG-Chirurgen mit vertragszahnärztlicher Zulassung einerseits und aller zugelassenen Vertragszahnärzte andererseits und durch deren Gewichtung entsprechend der Zusammensetzung der BAG ausreichend berücksichtigt. Praxisbesonderheiten habe die Klägerin nicht nachgewiesen. Der Beklagte habe auch die Grenze des offensichtlichen Missverhältnisses beim 1,4fachen des Vergleichswerts festsetzen dürfen.
Die Klägerin rügt mit ihrer Sprungrevision eine Verletzung von § 106 Abs 2, § 106a, § 12 SGB V und § 35 SGB X sowie von Art 12 Abs 1 iVm Art 3 Abs 1 GG. Zu Unrecht habe das SG die von dem Beklagten vorgenommenen sachlich-rechnerischen Richtigstellungen als noch von dessen Annexkompetenz gedeckt angesehen. Der von dem Beklagten für die Wirtschaftlichkeitsprüfung rein rechnerisch ermittelte fiktive Vergleichswert sei ungenau und bilde die tatsächlichen Verhältnisse der fachübergreifenden BAG der Klägerin nicht ab. Das Abstellen allein auf die Zahl der Behandler sei bei fachübergreifenden Tätigkeiten nicht angemessen. Vielmehr komme es auf den Schwerpunkt der Praxis an, der hier im chirurgischen Bereich liege. Die Behandlung von Patienten in Alten- und Pflegeheimen sei als Praxisbesonderheit anzuerkennen.
Vorinstanz:
Sozialgericht Marburg - S 12 KA 127/18, 05.12.2018
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Terminbericht
Die Revisionen der Klägerin (B 6 KA 2/19 R, B 6 KA 3/19 R und B 6 KA 25/19 R) haben teilweise Erfolg. Der Senat hat die angegriffenen Bescheide aufgehoben und den beklagten Beschwerdeausschuss zur Neubescheidung verpflichtet, soweit er das Honorar der Klägerin wegen Unwirtschaftlichkeit bei den konservierend-chirurgischen Leistungen pauschal gekürzt hat. Hinsichtlich der übrigen Kürzungen, insbesondere der Korrektur bei den Leistungen nach Nr 75 GOÄ (ausführlicher Arztbrief; BEMA-Z Nr 7750) sind die Revisionen erfolglos geblieben.
Die Prüfgremien durften die Abrechnungen der Klägerin zwar grundsätzlich im Wege eines statistischen Kostenvergleichs beim Gesamtfallwert - aufgegliedert nach den einzelnen Leistungsbereichen des BemaZ - prüfen. Dabei ist der Beklagten allerdings bei der - grundsätzlich nicht zu beanstandenden - Bildung eines entsprechend der Besetzung der Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) gewichteten Vergleichswertes aus den Fallwerten von MKG-Chirurgen und Zahnärzten, der dann mit den Abrechnungswerten der Klägerin verglichen wurde, ein systematischer Fehler unterlaufen, der zur Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide führt. Der Beklagte hat zur Abbildung des MKG-Bereichs Fallwerte nicht allein von anderen MKG-Chirurgen, sondern auch von Praxen herangezogen, in denen neben MKG-Chirurgen auch Allgemeinzahnärzte tätig gewesen sind. Das könnte sich zum Nachteil der Klägerin auswirken, weil die Abrechnungswerte von MKG-Chirurgen im Durchschnitt höher sind, als die der Allgemeinzahnärzte. Diese Bildung der Vergleichsgruppe kann nicht mit der Begründung gerechtfertigt werden, dass sog Mischpraxen wie die Klägerin nur ganz selten vorkommen, so dass sich das auf den MKG-Fallwert - und den hieraus gebildeten gewichteten Vergleichswert - nicht auswirken könne. Denn nach den Angaben der beigeladenen KZÄV arbeitete die Hälfte der MKG-Chirurgen in solchen "Mischpraxen", in den in den Vergleich einbezogenen Ländern Thüringen und Saarland sogar deutlich mehr. Außerdem hat der Beklagte die Heranziehung von Fallwerten für MKG-Chirurgen nicht nur aus dem eigenen KZÄV-Bezirk (Hessen), sondern auch aus dem Saarland und Thüringen in der Begründung des Bescheides nicht offengelegt.
Im Übrigen sind die angefochtenen Bescheide nicht zu beanstanden. Der Beklagte musste bei der Durchführung des statistischen Kostenvergleichs nicht zwischen Vertragszahnärzten und angestellten Zahnärzten differenzieren. Sowohl bei den Plausibilitätsprüfungen als auch im Rahmen der Anwendung der früheren Vorschriften über die Degression werden Vertrags(zahn)ärzte und angestellte (Zahn-)Ärzte gleich behandelt. Das kann im Bereich der Wirtschaftlichkeitsprüfung nicht anders sein.
Ohne Rechtsfehler hat der Beklagte bei der Klägerin die Berücksichtigung der umfassenden Besuchstätigkeit bei Patienten in Heimen als Praxisbesonderheit versagt. Allein aus dem Umstand, dass die Klägerin mehr Heimpatienten als andere zahnärztliche Praxen versorgt, kann nicht geschlossen werden, dass diese Tätigkeit auch wirtschaftlich ist. Eine routinemäßige, weitgehend anlasslose Besuchstätigkeit bei einer Vielzahl von Heimbewohnern, deren Zahnstatus der Klägerin seit langem bekannt war, ist regelmäßig nicht wirtschaftlich.
Die fehlerhaften Ansätze der Leistungspositionen für Arztbriefe und Berichte durfte der Beklagte im Rahmen der durchgeführten Wirtschaftlichkeitsprüfung kraft seiner Annexkompetenz korrigieren. Trotz der für sich genommen nicht geringen Höhe der auf die Berichtigung entfallenden Beträge ist diese im Hinblick auf das Ausmaß der Kürzungen allein wegen Unwirtschaftlichkeit von untergeordneter Bedeutung. Dabei ist und bleibt eine im engen Zusammenhang mit einer „echten“ Wirtschaftlichkeitsprüfung erfolgende Honorarberichtigung Teil der Wirtschaftlichkeitsprüfung; Rechtsgrundlage ist nicht § 106d SGB V.
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