Verhandlung B 14 AS 7/19 R
Verhandlungstermin
14.05.2020 10:00 Uhr
Terminvorschau
B. R. ./. Jobcenter Oberspreewald-Lausitz
Im Streit steht die Löschung von Kontoauszügen.
Die Klägerin bezog von Mai 2011 bis April 2013 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Anschließend forderte sie das beklagte Jobcenter auf, die bei ihr angeforderten Kontoauszüge von Girokonten aus ihrer Leistungsakte zu entfernen. Das Jobcenter lehnte das ab, soweit die Kontoauszüge Angaben enthielten, die "die Höhe des Leistungsbezuges beeinflussen, insbesondere auch dann, wenn der Zufluss von Geldleistungen nachgewiesen werden muss". Empfängerinformationen zu Auszahlungen könnten aber geschwärzt werden. Sonstige Kontoauszüge würden gelöscht.
Das SG hat die Klage abgewiesen, das LSG hat die Berufung gerichtet auf die Löschung von sechzehn im Einzelnen bezeichneten Kontoauszügen zurückgewiesen: Nach § 84 Abs 2 SGB X in der hier maßgebenden Fassung bei Erlass des Widerspruchsbescheids - noch vor Geltung der DSGVO - bestehe ein Löschungsanspruch nicht. Kontoauszüge zum Nachweis von Einkommenszuflüssen dürften wegen möglicher Korrekturen nach den §§ 44, 45 und 48 SGB X jedenfalls über einen Zeitraum von zehn Jahren gespeichert werden.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung von § 33 Abs 1 SGB X sowie § 84 Abs 2 SGB X aF. Die Entscheidung über ihr Löschungsbegehren sei schon nicht hinreichend bestimmt. Jedenfalls sei eine Speicherung der Daten nicht erforderlich. Bestehe über den Zufluss von Einkommen kein Streit, gebe es für eine Speicherung schon vor der Bestandskraft einer Leistungsbewilligung keinen Anlass. Bei Verfahren nach § 44 SGB X liege die Beweislast beim Antragsteller. Bei Rücknahmen nach § 45 SGB X laufe ein Zehnjahreszeitraum nur, wenn nachträglich leistungserhebliche Tatsachen unabhängig vom Akteninhalt bekannt würden, und dafür seien die zur Akte genommenen Kontoauszüge bedeutungslos.
Vorinstanzen:
Sozialgericht Cottbus - S 44 AS 418/14, 06.07.2016
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg - L 32 AS 2045/16, 06.12.2018
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Terminbericht
Die Revision der Klägerin war erfolglos. Zu Recht hat das LSG entschieden, dass der Beklagte die zur Leistungsakte genommenen Kontoauszüge der Klägerin noch nicht zu löschen hat.
Allerdings beurteilt sich das nach der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) und nicht nach der Rechtslage im Zeitpunkt der Behördenentscheidung. Seit Geltungsbeginn der DSGVO am 25. Mai 2018 richtet sich die weitere Verarbeitung von Sozialdaten etwa durch fortdauernde Speicherung ausschließlich nach der DSGVO und dem ergänzenden nationalen Recht. Ob die Klägerin die Entfernung der in der Leistungsakte gespeicherten Kontoauszüge verlangen kann, bestimmt sich deshalb nach dem Recht auf Löschung aus Art 17 DSGVO. Danach sind Kontoauszüge zu löschen, sofern sie bereits zu Beginn unbefugt verarbeitet wurden oder die Befugnis zur weiteren Speicherung inzwischen weggefallen ist.
Beides ist nicht der Fall, weil sich der Beklagte seit Beginn der Erhebung auf ausreichende Verarbeitungsbefugnisse stützen konnte und im Zeitpunkt der Revisionsentscheidung weiter kann. Jobcenter dürfen Sozialdaten erheben, speichern oder auf andere Weise verarbeiten, wenn dies für ihre Aufgaben erforderlich ist und beim Speichern der Erhebungszweck gewahrt ist (§ 67a Abs 1 Satz 1, § 67c Abs 1 Satz 1 SGB X). Danach dürfen Sozialdaten verarbeitet werden, soweit sie für die Aufgabenerfüllung des Jobcenters nicht ungeeignet sind und ihm zumutbar keine andere Mittel zur Verfügung stehen, die den Betroffenen weniger belasten. Danach beansprucht es der Beklagte zu Recht, sich bei Antragstellung Kontoauszüge vorlegen zu lassen und Kontoauszüge mit Angaben zu Zahlungseingängen für einen Zeitraum von zehn Jahren nach Bekanntgabe der Leistungsbewilligung zu speichern.
Leistungsentscheidungen nach dem SGB II sind nicht möglich ohne Kenntnis der Einnahmen der Leistungsbezieher. Das gilt nicht nur für die erstmalige Entscheidung. Feststellungen zum Einkommen erwachsen nicht in Bestandskraft, sondern müssen bei jeder Änderung erneut getroffen werden. Solange nachträgliche Änderungen nicht ausgeschlossen sind, muss das Jobcenter deshalb Zugriff auf die ihm bei Antragstellung vorgelegten Informationen zu den Einnahmen der Leistungsbezieher haben. Beim nachträglichen Bekanntwerden weiterer Einnahmen im Bewilligungszeitraum kann dies über einen Zeitraum von bis zu zehn Jahren nach der ursprünglichen Bewilligung erforderlich sein. Zumutbare und für die Betroffenen weniger belastende Möglichkeiten der nachträglichen Erhebung der Einnahmen im Bewilligungszeitraum bestehen insoweit jedoch nicht, weil die Jobcenter für nachträgliche Änderungen die Feststellungslast tragen und eine nachträgliche Leistungsversagung wegen der Verletzung von - auch dann noch bestehenden - Mitwirkungsobliegenheiten ausscheidet.
Der damit verbundene Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ist auch bei einer zehnjährigen Speicherung verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Zwar sind davon überwiegend Leistungsbezieher betroffen, die für nachträgliche Korrekturen wegen nicht angegebener Einnahmen keinen Anlass geben. Jedoch können zum einen nicht leistungsrelevante Angaben über Zahlungsempfänger auf Kontoauszügen geschwärzt werden. Zum anderen ist die Einsicht in die Kontoauszüge auf zulässige Zwecke beschränkt. Das haben auch die Datenschutzbeauftragten zu sichern. Unter Berücksichtigung dessen ist die Speicherung der Kontoinformationen im Interesse der Allgemeinheit an der Sicherung eines rechtmäßigen Mitteleinsatzes auch den Leistungsbeziehern zumutbar, die von Rückforderungen wegen verschwiegener Einnahmen nicht betroffen sind, zumal sie ohnehin in weitem Maße für Änderungen im laufenden Bewilligungszeitraum benötigt werden.
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