Bundessozialgericht

Verhandlung B 3 KR 13/19 R

Verhandlungstermin 18.06.2020 10:00 Uhr

Terminvorschau

S. ./. Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See als Trägerin der Krankenversicherung
Die Klägerin beantragte bei der Beklagten am 18.5.2016 die Bewilligung einer Sauerstoff-Langzeit-Therapie mit Flüssigsauerstoff und trug unter Vorlage eines ärztlichen Attests vor, sie leide an einer COPD IV und einem Lungenemphysem. Hierzu holte die Beklagte ohne Information der Klägerin eine Stellungnahme des SMD ein, in der dieser darauf verwies, dass die verordnende Klinik jedenfalls zuletzt eine Versorgung im Rahmen der Sauerstofftherapie mit einem kostengünstigeren Sauerstoffkonzentrator sowie einer Homefill-Anlage für mobile Druckgas-Leichtflaschen statt einer Flüssigsauerstoffgewährung für ausreichend erachtet habe. Daraufhin bewilligte die Beklagte die Sauerstoff-Langzeit-Therapie in der Versorgungsform des Sauerstoffkonzentrators und lehnte die Versorgung mit Flüssigsauerstoff mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 8.6.2016 ab.

Unter Hinweis auf den Eintritt einer fiktiven Genehmigung ihres Leistungsantrags nach § 13 Abs 3a SGB V stellte die Klägerin sodann einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X; die erfolgte Versorgung mit einem Sauerstoffkonzentrator sei ihr aufgrund seiner Schwere und der damit verbundenen Geräuschentwicklung auch nicht zumutbar; ihr ursprünglicher Leistungsantrag sei erst mit Bescheid vom 8.6.2016 abgelehnt worden, ihr mithin nicht innerhalb der gesetzlichen 3-Wochen-Frist zugegangen. Somit sei eine fiktive Genehmigung der begehrten Leistung eingetreten. Die Beklagte lehnte den Überprüfungsantrag ab, weil der ursprüngliche Antrag innerhalb der Frist des § 13 Abs 3a SGB V beschieden worden sei.

Im anschließenden Klageverfahren hat die Beklagte "vorsorglich" eine etwa eingetretene fiktive Genehmigung nach § 45 SGB X mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen. Das SG hat die Beklagte unter Aufhebung des Überprüfungsbescheids in der Gestalt des Widerspruchsbescheids sowie des vorsorglichen Rücknahmebescheids verurteilt, die Klägerin im Rahmen einer Sauerstoff-Langzeit-Therapie mit Flüssigsauerstoff zu versorgen. Die Klägerin habe aufgrund fingierter Genehmigung einen Naturalleistungsanspruch auf die begehrte Versorgung mit Flüssigsauerstoff (statt der vorhandenen Versorgung mit einem Sauerstoffkonzentrator). Die Beklagte habe den Antrag der Klägerin nicht fristgerecht beschieden. Der mit zum Gegenstand des Klageverfahrens gewordene Rücknahmebescheid sei rechtswidrig, weil die fiktive Genehmigung wegen des Ablaufs der gesetzlichen Bearbeitungsfrist rechtmäßig sei.

Das LSG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen: Zu Recht habe das SG die Beklagte verurteilt, die Klägerin im Rahmen der Sauerstoff-Langzeit-Therapie mit Flüssigsauerstoff zu versorgen und die angefochtenen Bescheide aufgehoben. Der im Wege der allgemeinen Leistungsklage geltend gemachte Leistungsanspruch ergebe sich aus § 13 Abs 3a SGB V. Aufgrund des Leistungsanspruchs sei die Klägerin durch die ablehnenden Bescheide beschwert und die Beklagte sei nicht befugt gewesen, die fingierte Genehmigung auf Grundlage von § 45 SGB X zurückzunehmen. - Feststellungen zu einer bereits erfolgten Beschaffung des begehrten Hilfsmittels hat das LSG nicht getroffen.

Hiergegen richtet sich die Revision der Beklagten. Sie rügt die Verletzung von § 13 Abs 3a SGB V und § 45 SGB X. Im Übrigen bestehe auf die von der Klägerin begehrte Versorgung mit Flüssigsauerstoff kein Anspruch, weil sie medizinisch nicht notwendig sei.

Der Senat hat die Beteiligten auch hier auf das im Fall 1) genannte Urteil des 1. Senats des BSG vom 26.5.2020 hingewiesen. Anschließend hat die Beklagte ihren Aufhebungsbescheid aufgehoben und die Revision insoweit zurückgenommen.

Vorinstanzen:
Sozialgericht für das Saarland - S 1 KR 585/17, 11.07.2018
Landessozialgericht für das Saarland - L 2 KR 49/18, 25.09.2019

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 21/20.

Terminbericht

Die Revision der beklagten Krankenkasse war im Sinne der Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen und Zurückverweisung der Sache an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet.

Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen hat die Klägerin keinen Anspruch auf die Versorgung mit dem begehrten Hilfsmittel als Sachleistung aufgrund einer fingierten Genehmigung nach § 13 Abs 3a Satz 6 SGB V. Diese begründet ihrem Inhalt nach keinen Sachleistungsanspruch, sondern nur einen - hier nicht den Gegenstand des Rechtsstreits betreffenden - Kostenerstattungsanspruch. Ob die Klägerin einen Anspruch auf das Hilfsmittel nach Maßgabe des § 33 SGB V hat, konnte der Senat auf der Grundlage der Tatsachenfeststellungen der Vorinstanz nicht abschließend entscheiden.

Die gesetzlich fingierte Genehmigung begründet keinen eigenständig durchsetzbaren Sachleistungsanspruch. Sie vermittelt nur eine vorläufige Rechtsposition, die zur Selbstbeschaffung berechtigt, und kann nur zu einem Anspruch auf Kostenerstattung bzw Kostenfreistellung führen. Der erkennende 3. Senat schließt sich insoweit der kürzlich geänderten Rechtsprechung des 1. Senats des BSG an (BSG Urteil vom 26.5.2020 - B 1 KR 9/18 R -; BSG-Terminvorschau 19/20 und Terminbericht 19/20, jeweils unter 1). Soweit der 3. Senat bisher - im Anschluss an die frühere Rechtsprechung des 1. Senats - ebenfalls von einem Sachleistungsanspruch bei Hilfsmitteln zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung als Rechtsfolge einer fingierten Genehmigung ausgegangen ist (Urteil vom 15.3.2018 - B 3 KR 18/17 R - BSGE 125, 189 = SozR 4-2500 § 13 Nr 41, RdNr 15), hält er in diesem Punkt an seiner Rechtsprechung nicht mehr fest. Gegen einen eigenständig durchsetzbaren Sachleistungsanspruch als Rechtsfolge einer Genehmigungsfiktion sprechen die Systematik der Kostenerstattungsregelungen des § 13 SGB V, in die § 13 Abs 3a SGB V seit 2013 eingebettet ist, und die zur Entstehung des § 13 Abs 3a SGB V führenden Gesetzesmaterialien (vgl zB Regierungsentwurf BT-Drucks 17/10488 S 32). In diese Argumentation fügt sich ein, dass auch der seit 2018 geltenden Regelung einer Genehmigungsfiktion in § 18 SGB IX ("Erstattung selbstbeschaffter Leistungen") im Recht der Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen die Konzeption einer Kostenerstattungsregelung zu entnehmen ist, für die § 13 Abs 3a SGB V Vorbildcharakter haben sollte (vgl Regierungsentwurf BT-Drucks 18/9522 S 238).

Verfassungsrecht steht dieser Auslegung von § 13 Abs 3a SGB V nicht entgegen. Insbesondere folgt aus dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG nicht, dass eine fingierte Genehmigung nach nicht fristgemäßer Entscheidung über einen Leistungsantrag deshalb einen Anspruch auf die beantragte Sachleistung zur Rechtsfolge haben muss, damit (auch) mittellose Versicherte sich Leistungen zulasten der GKV verschaffen können, auf die materiell-rechtlich nach dem Leistungsrecht des SGB V kein Anspruch besteht. Entscheidend bleibt, dass alle Versicherten nach den gleichen rechtlichen Grundsätzen Zugang zu den Sachleistungsansprüchen der GKV haben. Dass finanziell besser gestellte Versicherte sich eine (umstrittene) Leistung grundsätzlich einfacher auf ihre Kosten beschaffen können, war schon bisher auch bei der Anwendung des § 13 Abs 3 SGB V (= Kostenerstattung für selbstbeschaffte Leistungen in einem Notfall bzw bei nach vorherigem Antrag zu Unrecht erfolgter Ablehnung) möglich, ohne dass die Rechtsprechung des BSG dies als verfassungswidrig eingestuft hat.

Eine Kostenerstattung oder auch nur Kostenfreistellung wurde vorliegend von der Klägerin nicht begehrt. Nach den für den Senat maßgeblichen Feststellungen der Vorinstanzen waren auch Selbstbeschaffungen der beantragten Hilfsmittel bis dahin nicht erfolgt. Der Senat konnte deshalb offenlassen, ob jeweils eine Genehmigungsfiktion eingetreten ist.

Ein Sachleistungsanspruch der Klägerin auf das Hilfsmittel kann jedoch nach Maßgabe des § 33 SGB V bestehen. Der sachliche Anwendungsbereich des § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V ist eröffnet, weil es sich nach den bindenden Feststellungen der Vorinstanzen bei den beantragten Leistungen nach deren allgemeiner Einordnung jeweils um Hilfsmittel handelt. Ob nach Maßgabe der weiteren Leistungsvoraussetzungen des § 33 SGB V ein Anspruch der Klägerin auf Versorgung mit diesen Hilfsmitteln besteht, konnte der Senat nicht abschließend selbst entscheiden. Die Vorinstanzen haben - nach ihrer von einem Sachleistungsanspruch aufgrund fingierter Genehmigung ausgehenden Rechtsauffassung folgerichtig - hierzu keine Feststellungen getroffen. Das LSG wird jeweils die fehlenden Feststellungen im Berufungsverfahren nachzuholen haben und muss gestützt hierauf über den geltend gemachten Anspruch der Klägerin auf Hilfsmittelversorgung neu entscheiden.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 21/20.

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