Bundessozialgericht

Verhandlung B 4 AS 9/20 R - ohne mündliche Verhandlung

Verhandlungstermin 24.06.2020 00:00 Uhr

Terminvorschau

1. T.O., 2. Y.O. ./. Jobcenter Herne
Der Kläger, der im Jahre 2016 abhängig beschäftigt war und sich ab April 2016 in Elternzeit befand, lebte mit seiner 2001 geborenen Tochter, der Klägerin, in einem Haushalt. Er verfügte über zwei Girokonten (Postbank/Commerzbank), die 2016 durchgehend ein Debet aufwiesen. Auf beiden Konten waren Dispositionskredite bis Ende September 2016 eingeräumt, auf demjenigen bei der Commerzbank in Höhe von 3100 Euro. Auf dem Konto bei der Commerzbank ging am 7.3.2016 eine Einkommenssteuererstattung (2382,92 Euro) ein, woraus sich ein Debet in Höhe von 356,92 Euro ergab. Im Einzelnen fanden sich jeweils negative Kontostände am 31.5.2016 von - 1472,12 Euro, am 30.6.2016 von - 2314,52 Euro, am 31.7.2016 von - 2262,26 Euro und am 31.8.2016 von - 2673,34 Euro.

Nach vorläufiger Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II setzte der Beklagte die Leistungen für den streitigen Zeitraum von Juni bis September 2016 endgültig fest und rechnete - wie bereits im April/Mai 2016 - einen monatlichen Betrag in Höhe von 367,15 Euro als sonstiges Einkommen aus der Einkommenssteuererstattung an.

Das LSG hat den klageabweisenden Gerichtsbescheid abgeändert. Es ist davon ausgegangen, dass den Klägern im streitigen Zeitraum höhere als die endgültig festgesetzten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zustünden. Zwar habe der Kläger durch die im März 2016 zugeflossene Einkommenssteuererstattung wegen Rückführung des Debets auf seinem Girokonto einen wertmäßigen Zuwachs in Höhe von 2382,92 EUR erlangt. Diese einmalige Einnahme sei auf sechs Monate, beginnend ab 1.4.2016, aufzuteilen. Ab Juni 2016 habe die Einnahme aber nicht mehr uneingeschränkt als "bereites Mittel" zur Verfügung gestanden. Ein erwerbsfähiger Leistungsberechtigter könne nicht auf die Inanspruchnahme eines Dispositionskredits mit erhöhter Zinsbelastung aufgrund einer fortbestehenden Kontokorrentabrede zur Bestreitung seines Lebensunterhalts als "bereites Mittel" verwiesen werden. Er müsse keine neuen Schulden eingehen. Die Klägerin habe Anspruch auf Sozialgeld ohne Anrechnung der Steuererstattung.

Mit seiner vom LSG zugelassenen Revision rügt der Beklagte eine Verletzung des § 11 SGB II. Durch die auf den Konten bei der Postbank und der Commerzbank eingeräumten und nicht in vollem Umfang ausgeschöpften Dispositionskredite hätten "bereite" Mittel zur Verfügung gestanden.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Gelsenkirchen - S 33 AS 646/17, 14.06.2018
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - L 19 AS 1034/18, 12.09.2019

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 22/20.

Terminbericht

Die Revision des beklagten Jobcenters wurde zurückgewiesen. Bei der endgültigen Festsetzung konnten die Kläger höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ohne Anrechnung eines Einkommens aus der Steuererstattung beanspruchen. Zwar wäre die Einkommenssteuererstattung aufgrund der normativen Vorgaben des § 11 Abs 3 SGB II auch (noch) im streitigen Zeitraum vom 1.6.2016 bis 30.9.2016 anzurechnen. Das LSG ist aber zutreffend davon ausgegangen, dass deren anteiliger Anrechnung im Verteilzeitraum die vom BSG entwickelten Grundsätze zu den "bereiten Mitteln" entgegenstehen. Es fehlte an einer tatsächlichen Verfügbarkeit des Wertzuwachses, weil der Kläger nicht mehr auf den im März 2016 seinem Konto gutgeschriebenen Betrag in Höhe von 2382,92 Euro im Sinne eines tatsächlich vorhandenen "aktiven Guthabens" zurückgreifen konnte. Einer Anwendbarkeit der Grundsätze zu den bereiten Mitteln steht nicht entgegen, dass sich der Kläger durch erneute Inanspruchnahme des Dispositionskredits bereite Mittel für den Lebensunterhalt hätte verschaffen können. Eine solche Obliegenheit bestand nicht. Zwar kann der gesetzgeberischen Entscheidung, einmalige Einnahmen in einem Verteilzeitraum von sechs Monaten anzurechnen, zugleich entnommen werden, dass ein abweichendes Ausgabeverhalten dem Grundsatz der Eigenverantwortung vor Inanspruchnahme der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zuwiderläuft. Konsequenzen für den Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II hat dies jedoch erst aufgrund der zum 1.1.2017 in Kraft getretenen Regelung des § 24 Abs 4 Satz 2 SGB II, nach der die existenzsichernden Leistungen als rückzahlbares Darlehen erbracht werden, soweit Leistungsberechtigte einmalige Einnahmen entgegen deren gesetzlich vorgesehenen Berücksichtigung im Verteilzeitraum vorzeitig verbraucht haben.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 22/20.

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