Verhandlung B 6 KA 12/19 R
Verhandlungstermin
15.07.2020 13:30 Uhr
Terminvorschau
In den Verfahren zu B 6 KA 12/19 R, B 6 KA 4/20 R und B 6 KA 5/20 R ist zwischen den Beteiligten streitig, ob es mit dem aus Art 3 Abs 1 GG abgeleiteten Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit vereinbar ist, dass die beklagte Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) in ihrem Honorarverteilungsmaßstab (HVM) eine Vergütungsobergrenze allein für Vertragsärzte und angestellte Ärzte eingeführt hat, die nicht in Vollzeit tätig sind.
Im streitbefangenen Zeitraum verteilte die Beklagte das vertragsärztliche Honorar übergangsweise weiterhin maßgeblich auf der Grundlage von Regelleistungsvolumen (RLV). Danach wurden einem Vertragsarzt seine RLV-relevanten Fälle bis zu 150% der durchschnittlichen RLV-Fallzahl der Arztgruppe mit vollem Fallwert vergütet. Erst für die darüber hinausgehenden RLV-Fälle minderte sich der Fallwert. Nicht der RLV-Systematik unterfallenden Arztgruppen wurden die Leistungen ohne jegliche Begrenzung vergütet. Hiervon abweichend führte die Beklagte in ihrem HVM für "Ärzte mit anteiliger Arztstelle" ab dem 1.4.2013 eine sog "Vergütungsobergrenze" ein. Danach wurden Leistungen nur bis zum anteiligen durchschnittlichen Umsatz der jeweiligen Arztgruppe aus dem Vorjahresquartal voll, oberhalb der Vergütungsobergrenze dagegen lediglich mit abgestaffelten Preisen (Abstaffelungsfaktor 0,1) vergütet. Diese Regelung galt bis zum Quartal 4/2013, ab dem die Beklagte eine grundsätzlich veränderte Honorarverteilung eingeführt hat.
BAG Dr. B. ua ./. Kassenärztliche Vereinigung Schleswig-Holstein
Die Klägerin ist eine aus Orthopäden, Chirurgen und einem Neurochirurgen bestehende überörtliche Berufsausübungsgemeinschaft. In den Quartalen 2/2013 und 3/2013 begrenzte die beklagte KÄV das RLV der nur mit hälftigem Versorgungsauftrag zugelassenen Ärzte der Klägerin auf den anteiligen Durchschnitt ihrer Fachgruppe im Vorjahresquartal.
Das SG hat auf die sowohl gegen die RLV-Mitteilungen als auch gegen die Honorarbescheide erhobene Klage die Beklagte zur Neubescheidung verurteilt; die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten blieb erfolglos. Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, die Regelung des HVM stelle eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung von Ärzten mit anteiligem Versorgungsauftrag gegenüber Ärzten mit vollem Versorgungsauftrag dar.
Mit ihrer Revision macht die Beklagte geltend, die streitbefangene Regelung verhindere eine übermäßige Ausdehnung der vertragsärztlichen Tätigkeit durch Teilzeitärzte (Hinweis auf § 87b Abs 2 Satz 1 SGB V). Demgegenüber bestehe bei Vertragsärzten mit vollem Versorgungsauftrag bereits aus zeitlichen und physischen Gründen eine natürliche Leistungsgrenze.
Vorinstanzen:
Sozialgericht Kiel - S 2 KA 663/14, 14.06.2016
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht - L 4 KA 57/16, 15.01.2019
Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 27/20.
Terminbericht
Die Revision der beklagten KÄV hat keinen Erfolg gehabt. Die vorinstanzlichen Gerichte haben zutreffend entschieden, dass die zum 1.4.2013 in Kraft getretene Differenzierung bei der Zuweisung von RLV und QZV zwischen Ärzten mit voller Zulassung und solchen mit "anteiligen Arztstellen" mit dem Gebot der Honorarverteilungsgerechtigkeit unvereinbar ist.
Für die Zeit bis zum Ende des Quartals 3/2013 verteilte die Beklagte für die Mehrzahl der Arztgruppen das Honorar nach der für die Jahre 2009 bis 2012 bundesrechtlich vorgegebenen und vom Senat mehrfach gebilligten RLV-/QZV-Systematik. Danach war eine Abstaffelung der Fallwerte im RLV erst ab einer Überschreitung der durchschnittlichen Zahl der RLV-relevanten Fälle der jeweiligen Arztgruppe um 150% vorgesehen. Daran hat der HVM ab dem Quartal 2/2013 allerdings nur für Ärzte mit vollem Versorgungsaufrag festgehalten, während die Abstaffelungen bei Ärzten mit "anteiliger Arztstelle" sofort bei Überschreitungen der anteiligen Durchschnittsfallzahl einsetzt. Zudem ist der Abstaffelungseffekt, der sich vor allem bei den Ärzten auswirkt, deren Fallzahl im maßgeblichen Vorjahresquartal deutlich überdurchschnittlich war, bei Ärzten mit "anteiliger Arztstelle" sehr viel schärfer, da deren Honoraranforderungen oberhalb der Obergrenze um 90% vermindert werden, während die Abstaffelung der Fallwerte bei vollem Versorgungsauftrag in der ersten Stufe nur 25% beträgt.
Diese Differenzierung steht mit Bundesrecht nicht in Einklang. Es war nie umstritten, dass die Berechnung von RLV und QZV in der Zeit bis Ende 2012 für Ärzte mit vollem und mit anteiligem Versorgungsauftrag nach denselben Grundsätzen zu erfolgen hatte. Auch hinsichtlich der Plausibilitätsprüfung nach Tages- und Quartalsprofilen ist durch den Senat geklärt worden, dass beide Gruppen von Ärzten gleich zu behandeln sind. Soweit eine KÄV der Auffassung ist, Ärzte weiteten ihre Tätigkeit zu sehr aus, ist sie nach dem seit 2013 geltenden Recht nicht gehindert, darauf im HVM durch mengenbezogene Abstaffelungsregelungen deutlich unterhalb der Plausibilitätsgrenzen zu reagieren. Allerdings muss sie dies für Ärzte mit vollen und mit anteiligen Versorgungsaufträgen in gleicher Weise umsetzen.
Da die Beklagte deutlich gemacht hat, für Ärzte mit vollem Versorgungsauftrag jedenfalls für die Zeit bis zum Beginn des Quartals 4/2013, ab dem eine ganz neue Vergütungssystematik gilt, keine Beschränkungen über die Abstaffelungsregelungen im Beschluss des Bewertungsausschusses hinaus einführen zu wollen, ist es hier - anders als in anderen Konstellationen des gleichheitswidrigen Begünstigungsausschlusses - nicht geboten, der Beklagten allein für die Quartale 2/2013 und 3/2013 die Möglichkeit zu einer rückwirkenden Neugestaltung zu geben. Sie muss - wie das SG richtig gesehen hat - das Honorar der Klägerin dergestalt berechnen, dass die durch die nur zeitanteilig tätigen Ärzte erwirtschafteten Honorare so berücksichtigt werden, als hätten die ursprünglichen Vorgaben zu den RLV und den QZV für diese Ärzte uneingeschränkt gegolten.
Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 27/20.