Bundessozialgericht

Verhandlung B 6 KA 15/19 R

Verhandlungstermin 15.07.2020 09:30 Uhr

Terminvorschau

In den Verfahren zu B 6 KA 15/19 R und B 6 KA 24/19 R steht die Berechnung von Anästhesieleistungen bei augenärztlichen Kataraktoperationen im Streit. Umstritten ist, welche Positionen des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä) eine Anästhesistin berechnen kann, die den Patienten zunächst kurz narkotisiert, damit er die im Auge zu platzierende Retrobulbäranästhesie toleriert, die wiederum für den eigentlichen augenchirurgischen Eingriff notwendig ist. Die klagenden Anästhesistinnen setzten für die Narkose die Gebührenordnungsposition (GOP) 31822 EBM-Ä an, die mit 3080 Punkten bewertet ist und der eine Kalkulationszeit von 60 Minuten zugeordnet ist. Das hält die beklagte Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) für falsch, weil diese Position tatsächlich nicht - wie in der Leistungslegende gefordert - im Rahmen der Durchführung der Kataraktoperation erbracht werde, sondern nur zur Verabreichung der Lokalanästhesie im Auge. Aufgekommen ist der Streit im Zuge von Plausibilitätsprüfungen. Die Klägerinnen haben an einzelnen Tagen 22 bzw 16 Leistungen nach GOP 31822 EBM-Ä berechnet, was bei einer Prüfzeit von 53 Minuten zu rechnerischen Tagesarbeitszeiten von knapp 23 bzw knapp 17 Stunden geführt hat.

Dr. S. E. ./. Kassenärztliche Vereinigung Hessen, 2 Beigeladene
Die Klägerin, eine im Bezirk der beklagten KÄV zugelassene Fachärztin für Anästhesie, wendet sich gegen die sachlich-rechnerische Richtigstellung ihrer Honorarbescheide für die Quartale 3/2008 und 4/2008 anlässlich einer Plausibilitätsprüfung.

Die Beklagte vergütete der Klägerin lediglich 10% ihrer nach der GOP 31822 EBM-Ä ("Anästhesie und/oder Narkose, im Rahmen der Durchführung von Leistungen ua nach GOP 31351 <Kataraktoperation>") abgerechneten Leistungen und setzte im Übrigen stattdessen die GOP 31831 EBM-Ä ("Einleitung und Unterhaltung einer Analgesie und/oder Sedierung während eines operativen oder stationsersetzenden Eingriffs nach der Nr 31351") an. Zur Begründung berief sie sich darauf, dass eine Anästhesie nach der GOP 31822 EBM-Ä bei Kataraktoperationen nur ausnahmsweise erforderlich und vorliegend in lediglich 10% der Fälle plausibel sei.

Das Sozialgericht hat der Klage auf Vergütung der Leistungen nach GOP 31822 EBM-Ä stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG die Klage abgewiesen. Zwar habe die Klägerin zumeist eine "Kombinationsnarkose mit Maske" durchgeführt, jedoch nicht den Leistungsinhalt der GOP 31822 EBM-Ä vollständig erfüllt. Anders als es die GOP 31822 EBM-Ä voraussetze, sei die Anästhesie nicht bis zum Abschluss der Operation aufrechterhalten, sondern lediglich initial eingesetzt worden, um das Setzen der lokalen Retrobulbäranästhesie zu erleichtern. Das folge aus den Narkoseprotokollen, in denen die Messung des endexspiratorischen CO2-Wert jeweils lediglich einmal zu Beginn des Eingriffs dokumentiert worden sei.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin Verfahrensfehler und eine Verletzung der GOP 31822 EBM-Ä. Der Tatbestand der GOP 31822 EBM-Ä sei erfüllt. Vorausgesetzt werde zwar ein (medizinischer) Zusammenhang zwischen operativem Eingriff und Anästhesie, jedoch müsse die Anästhesie nicht während der gesamten Dauer der Operation aufrechterhalten werden.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Marburg - S 11 KA 655/13, 10.08.2016
Hessisches Landessozialgericht - L 4 KA 58/16, 20.02.2019

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 27/20.

Terminbericht

Die Revision der Klägerin ist zurückgewiesen worden.

Die von der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) durchgeführte Plausibilitätsprüfung der Abrechnung der Klägerin hatte in den Quartalen 2/2013 und 3/2013 Tagesprofile mit maximalen Arbeitszeiten von 22 bzw fast 23 Stunden ergeben, weswegen die Beklagte berechtigt war, den Gründen für diese Implausibilitäten nachzugehen. Dabei hat sich ergeben, dass die Klägerin in zahlreichen Fällen die Gebührenordnungsposition (GOP) 31822 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä - "Anästhesie und/oder Narkose im Rahmen der Durchführung von Leistungen entsprechend einer der Gebührenordnungspositionen (…) 31351") zu Unrecht abgerechnet hatte. Die kurzzeitige Narkotisierung des Patienten mit dem Ziel, in diesem Zustand die für die Kataraktoperation notwendige Retrobulbäranästhesie (Injektion durch das Lid hinter den Augapfel) durchführen zu können, war schon bis zum Ende des Quartals 2/2016 nach dieser Position nicht berechnungsfähig; seit dem Quartal 3/2016 folgt das noch deutlicher als zuvor aus dem Wortlaut der Legende.

Die Klägerin hat die Narkose zwar im Zusammenhang, aber nicht - wie von der GOP 31822 EBM-Ä vorausgesetzt - "im Rahmen" der Durchführung einer Operation nach der GOP 31351 ("Intraocularer Eingriff der Kategorie X2") erbracht. Denn die Vollnarkose wurde weder über die gesamte Dauer der Operation aufrechterhalten noch mit dem Ziel verabreicht, das Bewusstsein des Patienten während des gesamten Eingriffs am Auge vollständig auszuschalten. Das Tatbestandsmerkmal "im Rahmen" hat hier auch eine zeitliche Dimension in dem Sinne, dass die Narkose bis zum Ende des eigentlichen Eingriffs der GOP 31351 EBM-Ä (Kalkulations- und Prüfzeit von 39 bzw 31 Minuten) aufrechterhalten worden sein muss. Soweit sich das nicht schon aus dem Wortlaut der Leistungslegende ergibt, sprechen die normativ vom Bewertungsausschuss festgelegten Kalkulations- und Prüfzeiten sowie die punktzahlmäßigen Bewertungen der maßgeblichen Positionen des EBM-Ä sowie systematische Erwägungen für diese Auslegung.

Der Abrechnungsausausschluss der GOP 31820 ("Leitungsanästhesie eines Nerven oder Ganglions an der Schädelbasis") neben der GOP 31822 deutet darauf hin, dass die Kataraktoperation entweder vollständig unter Vollnarkose oder unter der Kombination von Sedierung und Lokalanästhesie im Augenbereich durchgeführt werden konnte. Eine Vollnarkose lediglich zur Vorbereitung der Lokalanästhesie war im EBM-Ä nicht abgebildet. Die GOP 31822 EBM-Ä durfte für diese Leistung selbst dann nicht angesetzt werden, wenn aus medizinischen Gründen eine kurze Vollnarkose für die Tolerierung der Retrobulbäranästhesie durch den Patienten erforderlich war.

Die Beklagte durfte die Fehlansätze der GOP 31822 EBM-Ä berichtigen, die sich als Ursache der über die Zeitprofile ermittelten fehlenden Plausibilität der Abrechnung der Klägerin erwiesen haben. Insoweit bedurfte es weder einer Schätzung des unplausiblen Mehraufwandes noch des Nachweises einer grob fahrlässigen Falschabrechnung durch die Klägerin.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 27/20.

Hinweis zur Verwendung von Cookies

Wir verwenden ausschließlich Sitzungs-Cookies, die für die einwandfreie Funktion unserer Webseite erforderlich sind. Mit der Nutzung unserer Dienste erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir diese Cookies einsetzen. Unsere Informationen zum Datenschutz erhalten Sie über den Link Datenschutz.

OK