Bundessozialgericht

Verhandlung B 4 AS 3/20 R

Verhandlungstermin 17.09.2020 11:30 Uhr

Terminvorschau

W. H. ./. Jobcenter Neuburg-Schrobenhausen
Der Kläger, bei dem wegen einer Suchterkrankung ein Grad der Behinderung von 20 festgestellt ist, bezog laufend Alg II. Er war in einem "Zuverdienstprojekt" des Caritasverbandes tätig. Nach dem Inhalt des "Zuverdienstvertrags" zur "Bereitstellung von Betreuungsplätzen als Beschäftigungsmöglichkeiten" war ihm auf unbestimmte Dauer "für bis zu 14,99 Stunden wöchentlich" ein "Zuverdienstplatz" zur Verfügung gestellt. Ausgehend von den jeweils vorhandenen Arbeiten und auf der Basis der Kompetenzen, der persönlichen Neigungen, der Ziele und der Tagesverfassung des Klägers sollte er geeignete Tätigkeiten ausüben. Je Anwesenheitsstunde wurde eine Motivationszuwendung iHv 5 Euro geleistet. Für seine Arbeiten in den Bereichen Möbel-, Laden- und Gartenservice erhielt er als Motivationszuwendung in der Zeit von Februar bis September 2015 Beträge zwischen 127,25 Euro und 295 Euro monatlich.

Nach zunächst vorläufiger Bewilligung hat der Beklagte bei der endgültigen Festsetzung des Alg II vom 1.2.2015 bis 30.9.2015 die tatsächlich zugeflossene Motivationszuwendung unter Ausklammerung eines Freibetrags iHv 100 Euro berücksichtigt. Nach endgültiger Festsetzung des Alg II im Berufungsverfahren hat das LSG den Beklagten verurteilt, dem Kläger im Einzelnen ausgeurteiltes höheres Alg II von Februar bis September 2015 zu erbringen. Nach der sog Gerechtfertigkeitsprüfung des § 11a Abs 4 SGB II seien die Zuwendungen der Caritas bis zu einem monatlichen Betrag iHv 200 Euro nicht als Einkommen zu berücksichtigen. Regelungen im SGB II und SGB XII sei zu entnehmen, dass bis zu diesem Betrag nicht von einer Überkompensation der Grundsicherung und der sonstigen Einnahmen ausgegangen werden müsse. Soweit die Motivationszuwendungen in den einzelnen Monaten jeweils 200 Euro überstiegen, seien diese Beträge als Einkommen zu berücksichtigen. Hiervon seien jeweils 35 Euro monatlich (Versicherungspauschale iHv 30 Euro, sog Riestervertrag iHv 5 Euro) sowie im März 2015 die Kfz-Haftpflichtversicherung abzusetzen.

Mit seiner vom LSG zugelassenen Revision rügt der Beklagte eine Verletzung von § 11a Abs 4 SGB II.

Vorinstanzen:
Sozialgericht München - S 46 AS 1244/15, 28.08.2015
Bayerisches Landessozialgericht - L 7 AS 114/16, 21.03.2019

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 30/20.

Terminbericht

Auf die Revision des Beklagten wurde das Urteil des LSG geändert und der Beklagte verurteilt, dem Kläger von Februar bis September 2015 Alg II unter Berücksichtigung der Motivationszuwendungen wie Erwerbseinkommen zu zahlen. Auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des LSG kann nicht abschließend beurteilt werden, ob es sich bei diesem Einkommen um eine Zuwendung nach § 11a Abs 4 SGB II oder um solches aus Erwerbstätigkeit handelt. Bezogen auf die hier allein streitige Anrechenbarkeit des aus dem Zuverdienstprojekt erzielten Einkommens und möglicher Absetzbeträge bedarf es jedoch keiner Entscheidung dieser Frage. Auch im Rahmen des § 11a Abs 4 SGB II führt der Zufluss von Einkommen aus einem für den erwerbsfähigen Teilnehmer auf längere Dauer angelegten Zuverdienstprojekt zur Behandlung der Einkünfte nach den für Erwerbseinkommen geltenden Grundsätzen. Die vom Gesetzgeber ausdrücklich geforderte "Gerechtfertigkeitsprüfung", die der Umsetzung des Subsidiaritätsgrundsatzes dient, wirkt begrenzend und soll "Art, Wert, Umfang und Häufigkeit der Zuwendungen" einbeziehen. Bei dem Rechtskreis des SGB II zugeordneten erwerbsfähigen Berechtigten ist in erster Linie auf deren "Lage" bezogen auf Erwerbsmöglichkeiten und die Ausgestaltung der Leistungen nach dem SGB II abzustellen. Für die vorliegende Fallgestaltung der Zuwendungen in Form von regelmäßigen monatlichen Geldleistungen aus einem Zuverdienstprojekt an einen erwerbsfähigen SGB II-Berechtigten, die über einen längeren Zeitraum erbracht werden, ist deren Berücksichtigung entsprechend der für das Einkommen aus Erwerbstätigkeit geltenden Regelungen gerechtfertigt, also die Erwerbstätigenpauschale und der Erwerbstätigenfreibetrag von der Anrechnung auszunehmen. Diese Einkommensfreistellungen dienen ähnlichen Zwecken wie die vorliegenden Motivationszuwendungen. Die Erwerbszentriertheit des SGB II und dessen - im Unterschied zum SGB XII - pauschalierende Systematik haben zur Folge, dass erwerbsfähige Alg II-Berechtigte in Zuverdienstprojekten hinsichtlich der ihnen neben den SGB II-Leistungen verbleibenden Beträge nicht auf unbestimmte Dauer in wirtschaftlicher Hinsicht deutlich besser als der Personenkreis der Aufstocker gestellt werden. Der vom LSG herangezogenen Freistellung des Taschengeldes bei Freiwilligendiensten liegen demgegenüber abweichende Wertungen des Gesetzgebers für andere Personengruppen zugrunde.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 30/20.

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