Bundessozialgericht

Verhandlung B 3 KR 5/20 R

Krankenversicherung - Krankengeld - Arbeitsunfähigkeit - Folgebescheinigung

Verhandlungstermin 29.10.2020 10:00 Uhr

Terminvorschau

B. ./. AOK Nordost - Die Gesundheitskasse
Im Streit steht die Zahlung weiteren Krankengelds (Krg) für die Zeit vom 15.11.2014 bis 6.7.2017.

Die 1959 geborene, bei der beklagten Krankenkasse (KK) pflichtversicherte Klägerin bezog Arbeitslosengeld (Alg) nach dem SGB III bis 21.10.2014 und im Anschluss daran Krg. Die behandelnde Vertragsärztin bescheinigte ihr am 10.10.2014 fortdauernde Arbeitsunfähigkeit (AU) wegen einer Entzündung der Schultergelenkkapsel bis 30.10.2014 und stellte abschnittsweise weitere Folge-AU-Bescheinigungen aus, ua am 6.11.2014 bis 14.11.2014 (Freitag) und am 17.11.2014 (Montag) bis 25.11.2014. Die Beklagte lehnte die weitere Zahlung von Krg - nach einem Teilanerkenntnis - schließlich ab 15.11.2014 ab, weil die weitere AU nicht - wie für die Aufrechterhaltung des Krg-Anspruchs erforderlich - spätestens am 14.11.2014 ärztlich festgestellt worden sei.

Das SG hat die Klage auf Zahlung von Krg für die Zeit über den 14.11.2014 hinaus abgewiesen. Das LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen: Zwar sei sie auch über dieses Datum hinaus weiterhin arbeitsunfähig gewesen. Da die fortdauernde AU aber nicht spätestens am 14.11.2014 ärztlich festgestellt worden sei, habe der Krg-Anspruch mit diesem Tag geendet. Die Klägerin sei nach § 192 Abs 1 Nr 2 SGB V nicht mehr mit Anspruch auf Krg ab 15.11.2014 versichert gewesen. Anderes ergebe sich auch nicht aus der Rechtsprechung des BSG (Hinweis auf Urteil vom 11.5.2017 - B 3 KR 22/15 R - BSGE 123, 134 = SozR 4-2500 § 46 Nr 8). Die Klägerin habe nicht alles ihr Mögliche und Zumutbare getan, um rechtzeitig eine Folge-AU-Bescheinigung zu erlangen. Sie habe es versäumt, sich spätestens am 14.11.2014 persönlich einem Arzt vorzustellen. Darauf, dass nach den Behauptungen der Klägerin ihr Ehemann am 13.11.2014 (Donnerstag) mit ihrer Hausärztin telefoniert und diese erklärt habe, ein Termin am 17.11.2014 reiche aus, komme es nicht an. Fehlberatungen einer vertragsärztlichen Praxis entlasteten Versicherte grundsätzlich nicht gegenüber der KK.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts (§ 46 Satz 1 Nr 2 SGB V idF bis 22.7.2015). Die Vertragsärztin habe sie unter Hinweis auf die Möglichkeit einer rückwirkenden Folge-AU-Bescheinigung davon abgehalten, bis spätestens 14.11.2014 einen Arzt aufzusuchen. Die nicht rechtzeitige Feststellung der AU sei daher nicht ihr, sondern der Beklagten zuzurechnen.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Frankfurt (Oder) - S 27 KR 315/14, 18.04.2018
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg - L 1 KR 155/18, 11.03.2020

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Terminbericht

Die Revision der Klägerin war im Sinne der Aufhebung der Entscheidung des LSG und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet. Die Klägerin kann entgegen der Auffassung der Vorinstanz Anspruch auf Zahlung von Krg ab dem 15.11.2014 haben, wenn die Gründe für den erst am 17.11.2014 (Montag) wahrgenommenen Termin zur ärztlichen AU-Feststellung in der Sphäre der Vertragsärztin lägen und zudem auch der KK zuzurechnen wären. Rechtsgrundlage des geltend gemachten Anspruchs auf Krg für beschäftigte Pflichtversicherte der GKV sind § 44 Abs 1 und § 46 Satz 1 Nr 2 SGB V in der bis 22.7.2015 geltenden Fassung iVm § 192 Abs 1 Nr 2 SGB V. Von den zu erfüllenden Anspruchsvoraussetzungen steht zwischen den Beteiligten im Streit, ob am 15.11.2014, dem ersten Tag nach dem Ende der zuletzt bis 14.11.2014 ärztlich festgestellten AU, noch eine Versicherung mit Anspruch auf Krg fortbesteht. Dies setzt einen lückenlosen Krg-Bezug oder Anspruch voraus, der nach § 46 Satz 1 Nr 2 SGB V aF auch bei fortbestehenden Dauererkrankungen erst vom Folgetag der ärztlichen AU-Feststellung an entsteht. Daher muss eine erneute ärztliche AU-Feststellung - ohne Karenztag - spätestens am letzten Tag des zuvor bescheinigten AU-Zeitraums erfolgen, hier am 14.11.2014 (statt - wie erfolgt - am 17.11.2014).

Das BSG hat von dem Erfordernis einer lückenlosen ärztlichen AU-Feststellung Ausnahmen anerkannt. Zuletzt hat der Senat diese Rechtsprechung dahin konkretisiert, dass es einem "rechtzeitig" erfolgten persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt gleichsteht, wenn der Versicherte alles in seiner Macht Stehende und ihm Zumutbare getan hat, um eine rechtzeitige ärztliche Feststellung der AU zu erhalten, und es zum persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt aus dem Vertragsarzt und der KK zurechenbaren Gründen erst verspätet, aber nach Wegfall dieser Gründe gekommen ist (BSG Urteil vom 26.3.2020 - B 3 KR 9/19 R - SozR 4-2500 § 46 Nr 10 und für BSGE vorgesehen). Gemessen hieran kann der Senat auf der Grundlage der Feststellungen des LSG nicht abschließend über den Krg-Anspruch entscheiden. Das LSG konnte seiner rechtlichen Prüfung noch nicht die Vorgaben aus der zeitlich erst nach dem angegriffenen Berufungsurteil ergangenen Senatsrechtsprechung zugrunde legen. Es wird im zurückverwiesenen Berufungsverfahren das darauf bezogene Vorbringen der Klägerin prüfen und würdigen müssen.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 41/20.

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