Verhandlung B 14 AS 13/19 R
Grundsicherung für Arbeitsuchende - Leistungsverweigerung - fehlende Mitwirkung - Feststellung der Erwerbsfähigkeit
Verhandlungstermin
26.11.2020 11:30 Uhr
Terminvorschau
L. ./. Jobcenter Main-Tauber
Im Streit steht die Versagung von Leistungen nach dem SGB II für Februar bis Juli 2014 wegen fehlender Mitwirkung an der Feststellung von Erwerbsfähigkeit.
Die 1983 geborene Klägerin stand seit 2005 im Leistungsbezug nach dem SGB II. Der Ärztliche Dienst der Agentur für Arbeit verneinte nach beigezogenen ärztlichen Unterlagen in einem Gutachten nach Aktenlage ein ausreichendes Leistungsvermögen der Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt; es bestehe eine Ernährungsproblematik und es sei von einer psychischen Problematik auszugehen. Nach Widerspruch des Sozialhilfeträgers wurde die Deutsche Rentenversicherung um eine gutachterliche Stellungnahme gebeten, wofür diese die vollständige Vorlage des Gutachtens des Ärztlichen Dienstes als notwendig ansah. Dazu erteilte die Klägerin keine Einwilligung, weil das Gutachten falsch und ohne ihr Wissen erstellt worden sei. Nach Eingang des Weiterbewilligungsantrags für den streitbefangenen Zeitraum forderte das beklagte Jobcenter sie - wie bereits zuvor - unter Hinweis auf die Folgen fehlender Mitwirkung auf, in dessen Übermittlung einzuwilligen, und versagte die Leistungen wie für vorangegangene Bewilligungszeiträume nach fruchtlosem Fristablauf ab dem 1.2.2014 ganz.
Das SG hat die Klage abgewiesen, das LSG hat die Berufung zurückgewiesen: Die Voraussetzungen für eine Leistungsversagung seien gegeben. Die Klägerin sei der Aufforderung zur Weitergabe der erforderlichen Unterlagen nicht nachgekommen. Ohne Sanktionierung dessen hätte sie einen zeitlich unbegrenzten Anspruch nach § 44a Abs 1 Satz 7 SGB II. Für krankheitsbedingte Mitwirkungshindernisse bestünden keine hinreichenden Anhaltspunkte.
Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung des Rechts der informationellen Selbstbestimmung sowie der §§ 66, 60 SGB I. Das Gutachten des Ärztlichen Dienstes sei auf ärztliche Unterlagen gestützt, die ohne ihre Zustimmung aufgrund von Schweigepflichtentbindungserklärungen ihres damaligen Betreuers beigezogen worden seien, die er nicht wirksam habe abgeben können. Dies habe die Unverwertbarkeit des Gutachtens zur Folge und entziehe dem Mitwirkungsverlangen, auf das sich die Versagungsentscheidung stütze, die Grundlage.
Vorinstanzen:
Sozialgericht Heilbronn - S 3 AS 2232/14, 25.02.2016
Landessozialgericht Baden-Württemberg - L 7 AS 1264/16, 02.05.2018
Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 43/20.
Terminbericht
Auf die Revision der Klägerin sind die vorinstanzlichen Entscheidungen und der Versagungsbescheid des Beklagten in der Gestalt des Widerspruchsbescheids aufgehoben worden.
Für das Verfahren zur Feststellung der Erwerbsfähigkeit einer Person nach § 44a Abs 1 - 3 SGB II gelten die allgemeinen Regelungen zur Amtsermittlung (§§ 20 ff SGB X) und den Mitwirkungspflichten (§§ 60 ff SGB I) gleichermaßen für alle beteiligten Leistungsträger sowie für die genannte Person.
Von den sich aus § 66 Abs 1 SGB I ergebenden Voraussetzungen für den angefochtenen Versagungsbescheid ist die erhebliche Erschwerung der Sachverhaltsaufklärung nach den Feststellungen des LSG nicht gegeben. Gegen eine Erschwerung aufgrund Zeitablaufs seitens der Klägerin spricht schon, dass das strittige Gutachten des Ärztlichen Dienstes vom 27.9.2010 stammt, der Auftrag des Beklagten an den Rentenversicherungsträger über zwei Jahre später erfolgte und die dem vorliegenden Verfahren zugrunde liegende Mitwirkungsaufforderung vom 20.2.2014 datiert. Für eine gutachterliche Stellungnahme über die Erwerbsfähigkeit der Klägerin im Februar/März 2013 - dem Zeitpunkt der ersten Aufforderung der Beklagten - oder März/April 2014 - der vorliegend strittigen Aufforderung - ist die Vorlage des vollständigen Gutachtens vom 27.9.2010 zwar wünschenswert, aber keinesfalls streitentscheidend. Dies gilt vor allem, wenn die Ermittlungen zu Klärung der vergleichbaren Voraussetzungen nach § 43 SGB VI für eine Rente wegen Erwerbsminderung in den Blick genommen werden, in denen solche Gutachten von nachgeordneter Bedeutung sind und in aller Regel ein Gutachten nach körperlicher Untersuchung eingeholt wird.
Die übrigen im Laufe des Verfahrens erörterten Streitpunkte können dahingestellt bleiben.
Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 43/20.