Bundessozialgericht

Verhandlung B 2 U 14/19 R

Unfallversicherung - starke vorläufige Insolvenzverwaltung - Beitragsforderung - Masseverbindlichkeit - Gesamtsozialversicherungsbeiträge

Verhandlungstermin 15.12.2020 12:00 Uhr

Terminvorschau

Rechtsanwalt P. W. als Insolvenzverwalter der K.H. GmbH & Co KG ./. Berufsgenossenschaft Holz und Metall
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte zu Recht für den Zeitraum der vorläufigen Verwaltung des Klägers vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine Beitragsabfindung festgesetzt hat und ob diese als Masseverbindlichkeit gilt.

Der Kläger ist der Insolvenzverwalter der K. H. GmbH & Co KG, die Mitglied der Beklagten war. Mit Beschluss vom 29.1.2015 ordnete das Amtsgericht die vorläufige Verwaltung des Vermögens der KG an. Mit Beschluss vom 5.3.2015 ordnete es ein allgemeines Verfügungsverbot an und übertrug die Verfügungsbefugnis über das Vermögen der KG auf den Kläger als vorläufigen (sog starken) Insolvenzverwalter. Mit Beschluss vom 1.4.2015 eröffnete es das Insolvenzverfahren und bestellte den Kläger zum Insolvenzverwalter.

Mit an den Kläger als Insolvenzverwalter der KG gerichteten Bescheid teilte die Beklagte ihm mit, dass die Zugehörigkeit zu ihrer Berufsgenossenschaft mit Ablauf des 31.3.2015 ende, setzte zunächst für den Zeitraum vom 29.1.2015 bis 31.3.2015 eine Beitragsabfindung in Höhe von 5107,76 Euro fest und forderte ihn zur Zahlung auf. Diesen Bescheid änderte sie während des Widerspruchsverfahrens ab und forderte eine Beitragsabfindung nur noch für den Zeitraum vom 5.3.2015 bis 31.3.2015 in Höhe von 2143,39 Euro. Den Widerspruch des Klägers wies sie zurück. Das SG hat die Klage auf Aufhebung der Bescheide und Feststellung, dass es sich bei der Beitragsforderung nicht um eine Masseverbindlichkeit handelt, abgewiesen. Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen. Die Beitragsforderung für den Zeitraum der sog starken vorläufigen Insolvenzverwaltung vom 5.3.2015 bis zum 31.3.2015 gelte als sonstige Masseverbindlichkeit. Während Sozialversicherungsbeiträge aus der Zeit vor der Verfahrenseröffnung grundsätzlich lediglich Insolvenzforderungen seien, seien Sozialversicherungsbeiträge, die auf Beschäftigungszeiträume der sog starken vorläufigen Insolvenzverwaltung entfielen, in denen nach § 22 Abs 1 InsO ein allgemeines Verfügungsverbot angeordnet und die Verfügungsbefugnis dem vorläufigen Insolvenzverwalter übertragen sei, gemäß § 55 Abs 1 Nr 1 Alt 2 InsO Masseverbindlichkeiten. Zwar würden gemäß § 55 Abs 3 Satz 2 InsO iVm § 175 Abs 1 Satz 1, Abs 2 Satz 1 SGB III, § 28d SGB IV Gesamtsozialversicherungsbeiträge zu einfachen Insolvenzforderungen iS des § 38 InsO zurückgestuft, so dass diese Beitragsforderungen zur Tabelle anzumelden seien und ihre Geltendmachung durch Verwaltungsakt gegenüber dem Insolvenzverwalter ausgeschlossen sei. § 55 Abs 3 Satz 2 InsO erfasse jedoch die Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung nicht. Für eine analoge Anwendung dieser Vorschrift fehle es an einer planwidrigen Regelungslücke.

Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 55 Abs 3 InsO.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Speyer - S 9 U 144/16, 26.10.2018
Landessozialgericht Rheinland-Pfalz - L 2 U 9/19, 21.10.2019

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Terminbericht

Die Revision des Klägers hatte keinen Erfolg. Im Revisionsverfahren war nur noch darüber zu entscheiden, ob die Beklagte hinsichtlich der Beitragsabfindung für den Zeitraum vom 5.3. bis 31.3.2015 dem Kläger zu Recht ein Zahlungsgebot erteilt hat, weil die Abfindung eine Masseverbindlichkeit war. Nur insoweit hatte der Kläger die Bescheide der Beklagten im Revisionsverfahren angefochten; die Feststellungsklage hatte er zurückgenommen.

Die Beklagte hat den Kläger in den angefochtenen Bescheiden zu Recht aufgefordert hat, die Beitragsabfindung für den Zeitraum vom 5.3. bis 31.3.2015 zu zahlen. Diese Forderung konnte die Beklagte mit einem vollstreckbaren Verwaltungsakt (vgl § 168 Abs 1 Satz 1, § 164 Satz 2 SGB VII, § 34 Abs 4 iVm § 31 Abs 1 der Satzung der Beklagten) gegenüber dem Kläger als Insolvenzverwalter geltend machen. Es handelt sich um eine Masseverbindlichkeit iS der §§ 53, 55 Abs 2 InsO. Masseverbindlichkeiten sind gemäß § 53 InsO aus der Insolvenzmasse vorweg zu berichtigen. Als Masseverbindlichkeiten gelten gemäß § 55 Abs 2 InsO auch Verbindlichkeiten, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter mit Verfügungsbefugnis begründet worden sind oder die aus Dauerschuldverhältnissen herrühren, soweit von ihm die Gegenleistung in Anspruch genommen wurde. Die Arbeitsentgelte der Arbeitnehmer, die von dem sogenannten starken vorläufigen Insolvenzverwalter mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen der Gemeinschuldnerin (vgl § 22 Abs 1 InsO) beschäftigt bzw weiterbeschäftigt werden, sowie die auf deren Beschäftigung beruhenden Sozialversicherungsbeiträge sind Verbindlichkeiten iS des § 55 Abs 2 Satz 2 iVm Satz 1 InsO. Hierunter fallen auch die Beitragsforderungen eines Trägers der gesetzlichen Unfallversicherung für Zeiten vor der Insolvenzeröffnung, die auf der Mitgliedschaft des Unternehmers bei Fortführung des Unternehmens und der Weiter- oder Neubeschäftigung von Arbeitnehmern durch den sogenannten starken vorläufigen Insolvenzverwalter beruhen. Durch die Mitgliedschaft während der Fortführung des Unternehmens durch den sogenannten starken vorläufigen Insolvenzverwalter sind Beiträge zu zahlen und dafür besteht - als Gegenleistung - Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung fort. Eine Abfindung von Beiträgen der gesetzlichen Unfallversicherung für einen Zeitraum vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, in dem ein sogenannter starker vorläufiger Insolvenzverwalter das Unternehmen fortführt und Arbeitnehmer (weiter-)beschäftigt, gilt damit als Masseverbindlichkeit.

Die in den angefochtenen Bescheiden festgesetzte Abfindung der Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung ist danach eine Masseverbindlichkeit. Es handelt sich um Beiträge, die auf den Zeitraum vom 5.3. bis 31.3.2015 entfallen, in dem der Kläger als sogenannter starker vorläufiger Insolvenzverwalter die KG fortführte, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (weiter-) beschäftigte und grundsätzlich Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung bestand.

Entgegen der Auffassung der Revision folgt aus der Ausnahmevorschrift des § 55 Abs 3 InsO nicht, dass die Beklagte die Beitragsabfindung nur als Insolvenzgläubigerin geltend machen kann. Als Ausnahme von der Regelung des § 55 Abs 2 InsO, nach der die dort genannten Forderungen grundsätzlich als Masseverbindlichkeiten gelten, nimmt § 55 Abs 3 InsO bestimmte Forderungen, die anderweitig gesichert sind, hiervon aus und stuft sie zu Insolvenzforderungen zurück. So kann die Bundesagentur für Arbeit die gemäß § 55 Abs 2 InsO durch den sogenannten starken vorläufigen Insolvenzverwalter begründeten, auf sie wegen Ansprüchen auf Insolvenzgeld übergegangenen Ansprüche auf Arbeitsentgelt (§ 169 SGB III) nur als Insolvenzgläubigerin geltend machen (§ 55 Abs 3 Satz 1 InsO). Auch die Gesamtsozialversicherungsbeiträge nach § 28d SGB IV auf diese Arbeitsentgelte, die die Agentur für Arbeit gemäß § 175 Abs 1 SGB III an die Einzugsstelle zu zahlen hat, während der Anspruch auf die Beiträge gegenüber dem Schuldner bestehen bleibt, können nur als Insolvenzforderungen geltend gemacht werden (§ 55 Abs 3 Satz 2 InsO). Diese Regelungen, mit denen Masseverbindlichkeiten iS des § 55 Abs 2 InsO zu Insolvenzforderungen zurückgestuft werden, finden jedoch auf die Abfindung der Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung keine Anwendung. Bereits der Wortlaut des § 55 Abs 3 InsO erfasst die Unfallversicherungsbeiträge nicht. Insbesondere fallen sie nicht unter den Begriff des Gesamtsozialversicherungsbeitrags nach § 28d SGB IV. Auch eine entsprechende Anwendung des § 55 Abs 3 Satz 2 InsO scheidet hier aus. Weder die Entstehungsgeschichte des § 55 Abs 2 und Abs 3 InsO noch systematische Erwägungen geben einen Hinweis darauf, dass eine Regelungslücke vorliegen könnte, die durch richterliche Rechtsfortbildung zu schließen wäre. Mit der Rückstufung der Arbeitsentgelte und der auf sie entfallenden Gesamtsozialversicherungsbeiträge sollte die Masse von vor Insolvenzeröffnung begründeten Masseforderungen entlastet werden; der dadurch ggf entstehende Nachteil, der durch die Insolvenzgeldumlage aufgefangen wird und daher nicht zu Lasten der Arbeitnehmer, der Agentur für Arbeit oder der Träger der gesetzlichen Kranken-, Pflege-, Arbeitslosen- oder Rentenversicherung geht, wurde dabei bedacht. Eine insolvenzrechtliche Rückstufung der Unfallversicherungsbeiträge, die zu Lasten der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung ginge, wurde dabei nicht erwogen. Es ist auch nicht feststellbar, dass eine insolvenzrechtliche Gleichbehandlung von Unfallversicherungsbeiträgen einerseits und Arbeitsentgelt und Gesamtsozialversicherungsbeiträgen andererseits aus systematischen Gründen hätte erfolgen müssen.

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