Bundessozialgericht

Verhandlung B 10 ÜG 1/19 R

Nichtvermögensnachteil - Widerlegung der gesetzlichen Vermutung - einfache Beiladung

Verhandlungstermin 17.12.2020 10:00 Uhr

Terminvorschau

T. gGmbH ./. Land Sachsen-Anhalt
Die Entschädigungsklägerin ist Trägerin eines Wohnheims für Suchtkranke. In dem Ausgangsverfahren vor dem SG Magdeburg (S 22 SO 55/11) erhob der dortige Kläger, der in einem Wohnheim der Entschädigungsklägerin lebte, im April 2011 Klage wegen Fahrkosten nach dem SGB XII. In den Verfahren S 22 SO 57/11 und S 22 SO 59/11 hatte er ebenfalls Klage wegen entsprechender Fahrkosten erhoben. Das SG verband die drei Verfahren unter dem führenden Aktenzeichen S 22 SO 55/11 (später S 19 SO 55/11) und lud auf Antrag des dortigen Klägers im November 2014 die Entschädigungsklägerin einfach bei. Anfang April 2016 teilte der Bevollmächtigte des dortigen Klägers mit, dass dieser verstorben sei. Aller Voraussicht nach werde daher die Klage zurückgenommen, jedoch müsse zunächst noch ermittelt werden, ob Hinterbliebene vorhanden seien. Mitte August 2016 rügte die beigeladene Entschädigungsklägerin die überlange Dauer des Ausgangsverfahrens, bevor Ende August 2016 die Klagerücknahme erfolgte.

Ende Februar 2017 hat die Entschädigungsklägerin Klage auf Entschädigung für immaterielle Nachteile wegen überlanger Verfahrensdauer erhoben. Addiert lägen in jedem der drei Verfahren insgesamt 37 Monate mit Phasen gerichtlicher Inaktivität vor. Dass die Beiladung erst im November 2014 erfolgt sei, sei irrelevant. Sofern für den Beginn des entschädigungsrelevanten Zeitraums gleichwohl auf den Tag der Beiladung abzustellen sei, sei jedenfalls von einer Zeit der gerichtlichen Untätigkeit von jeweils 13 Monaten in jedem der drei Verfahren auszugehen.

In der mündlichen Verhandlung hat das Entschädigungsgericht unter anderem darauf hingewiesen, dass im Falle einer einfachen Beiladung eine besondere Begründung des Schadens infolge einer überlangen Verfahrensdauer erforderlich, hier aber fraglich sei. Das Entschädigungsgericht hat die Klage trotz der Ankündigung weiteren Vortrags aufgrund des Hinweises abgewiesen und ua ausgeführt, die Entschädigungsklägerin habe keinen eine Entschädigung rechtfertigenden immateriellen Nachteil erlitten. Die gesetzliche Vermutung sei widerlegt. Für einen einfach Beigeladenen bestehe kein Anspruch auf Beteiligung an dem Verfahren und daher auch kein Anspruch auf eine zügige Entscheidung des Verfahrens.

Die Entschädigungsklägerin rügt mit ihrer Revision eine Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Entschädigungsgericht habe ua eine unzulässige Überraschungsentscheidung getroffen, indem es auf den Hinweis in der mündlichen Verhandlung keinen Schriftsatznachlass gewährt habe. Das Entschädigungsgericht habe auch nicht davon ausgehen dürfen, dass eine einfache Beiladung im Ausgangsverfahren die gesetzliche Vermutung des immateriellen Nachteils im Entschädigungsverfahren widerlege.

Vorinstanz:
Landessozialgericht Sachsen-Anhalt - L 10 SF 2/17 EK, 14.11.2018

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 50/20.

Terminbericht

Die Revision der Entschädigungsklägerin ist im Sinne der Zurückverweisung begründet. Der Senat kann mangels tatsächlicher Feststellungen des Entschädigungsgerichts nicht abschließend entscheiden, ob und inwieweit der Entschädigungsklägerin ein Anspruch auf Entschädigung immaterieller Nachteile wegen überlanger Dauer des vor dem SG Magdeburg zuletzt unter dem Aktenzeichen S 19 SO 55/11 geführten Klageverfahrens zusteht.

Das Entschädigungsgericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass die gesetzliche Vermutung eines Nichtvermögensnachteils aufgrund der Verfahrensdauer widerlegt sei, weil der Justizgewährungsanspruch für einfach Beigeladene nicht gelte und es allein auf einen nachweisbaren Nachteil im Einzelfall ankomme. Das Entschädigungsgericht hat daher - von seinem Standpunkt folgerichtig - ungeprüft gelassen, ob die (unangemessene) Verfahrensdauer in einer Gesamtbewertung ihrer Folgen für den Entschädigungskläger zu immateriellen Nachteilen geführt hat. Insoweit fehlen bereits Feststellungen, ob und ggf in welchem Umfang überhaupt eine unangemessene Verfahrensdauer vorliegt. Hierbei wird das Entschädigungsgericht von einem - wenn auch verbundenen - Gerichtsverfahren auszugehen haben, das für die Entschädigungsklägerin mit der Zustellung des Beiladungsbeschlusses begann.

Die von der Entschädigungsklägerin erhobenen Verfahrensrügen sind nicht mehr entscheidungserheblich, weil das Urteil des Entschädigungsgerichts bereits aus materiell-rechtlichen Gründen aufzuheben ist. Daher kommt es nicht darauf an, ob die von der Klägerin geltend gemachte Verletzung rechtlichen Gehörs ebenfalls zu einer Aufhebung des angefochtenen Urteils führen würde.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 50/20.

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