Bundessozialgericht

Verhandlung B 6 KA 6/20 R

Vertragsarztrecht - Belegarztanerkennung - vertragsärztliche Versorgung - Facharzt für Orthopädie und Chirurgie - überörtliche Berufsausübungsgemeinschaft - Fahrzeit - Wohnung - Praxis - Krankenhaus

Verhandlungstermin 17.03.2021 12:30 Uhr

Terminvorschau

L. ./. KÄV Bayerns, 6 Beigeladene
Die Beteiligten streiten um die Anerkennung des Klägers als Belegarzt an einem Krankenhaus in M. Der Kläger ist Facharzt für Orthopädie und Chirurgie und seit 2017 mit Praxissitz in E. zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Er ist Mitglied einer überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft (BAG), die ihren Hauptsitz in M. hat. Zwei Mitglieder der überörtlichen BAG sind bereits als Belegärzte für Orthopädie an dem Krankenhaus in M. zugelassen. Die in dem Krankenhaus vorgehaltenen Belegbetten in der Orthopädie werden im Rahmen eines kooperativen Belegarztmodells von mehreren Belegärzten genutzt.

Die beklagte Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) lehnte den Antrag des Klägers auf Belegarztanerkennung ab. Der Vertragsarztsitz des Klägers in E. liege 42 km vom Klinikum in M. entfernt. Hierfür sei eine Fahrzeit von ca 39 Minuten zu kalkulieren. Damit sei eine unverzügliche und ordnungsgemäße Versorgung der Belegpatienten nicht gewährleistet, so dass der Kläger nach § 39 Abs 5 Nr 3 BMV-Ä als Belegarzt nicht geeignet sei. Das SG hat die Beklagte verpflichtet, dem Kläger die Belegarztanerkennung zu erteilen. Das LSG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Grundsätzlich sei eine unverzügliche und ordnungsgemäße Versorgung der Belegpatienten gewährleistet, wenn der Belegarzt innerhalb von ca 30 Minuten Fahrzeit sowohl von seiner Wohnung als auch von seiner Praxis aus das Belegkrankenhaus erreichen könne. Im Einzelfall könne jedoch eine Abweichung von diesen zeitlichen Vorgaben vertretbar sein, soweit eine ordnungsgemäße Versorgung der Patienten gewährleistet sei. Dies sei hier der Fall, da der Kläger in einer für die belegärztliche Tätigkeit relevanten ärztlichen Kooperation tätig sei. Er sei Mitglied einer überörtlichen BAG, in der zwei weitere Mitglieder dieser BAG bereits als Belegärzte am selben Krankenhaus tätig seien. Die gemeinsame Berufsausübung der BAG beziehe sich auch auf den Ort des Belegkrankenhauses. Zudem wolle der Kläger im Rahmen des kooperativen Belegarztwesens tätig werden. Dadurch sei die durchgehende ärztliche Versorgung der Belegpatienten und die Vertretung bei Abwesenheit der Belegärzte gewährleistet.

Zur Begründung ihrer Revision macht die Beklagte geltend, dass die Belegarztanerkennung personenbezogen ausgestaltet sei. Der Belegarzt übernehme die volle Verantwortung für die Patienten und müsse in der Lage sein, bei Komplikationen kurzfristig die erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Daher müsse der Kläger die Eignungsvoraussetzungen nach § 39 Abs 5 Nr 3 BMV-Ä in eigener Person erfüllen. Die Kooperationen des Klägers mit weiteren (Beleg)Ärzten im Rahmen der überörtlichen BAG und am Belegkrankenhaus könnten daher für die Frage seiner Eignung keine Rolle spielen.

Vorinstanzen:
Sozialgericht München - S 28 KA 596/17, 05.02.2019
Bayerisches Landessozialgericht - L 12 KA 10/19, 22.01.2020

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 10/21.

Terminbericht

Die Revision der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung war erfolgreich. Der Senat hat die Urteile des SG und des LSG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Einer Belegarztanerkennung für den klagenden Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie steht entgegen, dass die unverzügliche und ordnungsgemäße Versorgung iS des § 39 Abs 5 Nr 3 Bundesmantelvertrag Ärzte (BMV-Ä) der vom Kläger zu betreuenden Versicherten aufgrund der Entfernung zwischen seinem Vertragsarztsitz in E. und dem Krankenhaus mit der Belegabteilung in M. nicht gewährleistet ist. Die Vorgaben dieser Vorschrift gelten auch nach Abschaffung der Residenzpflicht für Vertragsärzte im Rahmen der Belegarztanerkennung weiterhin. Hierdurch wird dem Umstand Rechnung getragen, dass der Belegarzt eine besondere persönliche Verantwortung für seine stationären Patienten trägt, die es erfordert, dass er neben seiner ambulanten Tätigkeit bedarfsgerecht im Belegkrankenhaus anwesend sein kann. Bereits aus dem Wortlaut des § 39 Abs 5 Nr 3 BMV-Ä ergibt sich, dass auf den Praxissitz abzustellen ist, in welchem der Arzt, der eine Belegarztanerkennung begehrt, hauptsächlich seine ambulante vertragsärztliche Tätigkeit ausübt. Dabei muss die Praxis so nahe beim Krankenhaus liegen, dass der Arzt dieses von der Praxis aus innerhalb von 30 Minuten typischerweise erreichen kann. Die Fahrzeit zwischen dem Praxissitz des Klägers in E. und dem Krankenhaus in M. beträgt nach den Feststellungen des LSG ca 39 Minuten, so dass die erforderliche räumliche Nähe zwischen Vertragsarztsitz und Krankenhaus hier nicht gegeben ist. Auch der Umstand, dass der Kläger mit anderen Belegärzten der überörtlichen BAG bzw des Krankenhauses kooperativ im Rahmen seiner Tätigkeit als Belegarzt zusammenarbeiten will, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Durch die gemeinsame Tätigkeit mehrerer Belegärzte gleicher Fachrichtung an einem Krankenhaus kann eine kontinuierliche individuelle Krankenversorgung und eine bessere Zusammenarbeit bei der Abdeckung der Bereitschaftsdienste und Rufbereitschaften sichergestellt werden. Dies ändert aber nichts daran, dass die Belegarztanerkennung stets personenbezogen zu prüfen und zu erteilen ist. Es ist Sache der Partner der Bundesmantelverträge, die Voraussetzungen der Anerkennung als Belegarzt zu modifizieren, wenn das ihnen im Hinblick auf die Tätigkeiten von Ärzten in (überörtlichen) BAGen und MVZ zur künftigen Gewährleistung der belegärztlichen Tätigkeit geboten erscheint.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 10/21.

Hinweis zur Verwendung von Cookies

Wir verwenden ausschließlich Sitzungs-Cookies, die für die einwandfreie Funktion unserer Webseite erforderlich sind. Mit der Nutzung unserer Dienste erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir diese Cookies einsetzen. Unsere Informationen zum Datenschutz erhalten Sie über den Link Datenschutz.

OK