Verhandlung B 6 KA 32/19 R
Vertragsarztrecht - vertragsärztliche Versorgung - Job-Sharing-Praxis - Regelleistungsvolumen - Berufsausübungsgemeinschaft - Zuschlag
Verhandlungstermin
17.03.2021 13:30 Uhr
Terminvorschau
M.-S. ./. KÄV Bayerns
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte dem Kläger für das Quartal 1/2016 höheres Honorar unter Berücksichtigung eines 10 %-igen Zuschlags auf sein Regelleistungsvolumen (RLV) zu gewähren hat.
Der zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassene Kläger beschäftigt eine angestellte Ärztin der gleichen Fachrichtung im Rahmen eines sog Job-Sharings. Das bedeutet, dass sich beide Ärzte in einem wegen Überversorgung gesperrten Planungsbereich einen Vertragsarztsitz "teilen". Für Job-Sharing-Praxen wie die des Klägers gelten deshalb besondere Reglungen zur Begrenzung des Umfangs der abrechenbaren Leistungen.
Der HVM der Beklagten regelt eine Begrenzung der zum vollen Punktwert vergüteten Leistungen der Arztpraxis auf der Grundlage von RLV. Das RLV ist bei Berufsausübungsgemeinschaften, MVZ und Praxen mit angestellten Ärzten der gleichen Fachrichtung um 10 % zu erhöhen (sog BAG-Zuschlag). Mit Honorarbescheid für das Quartal 1/2016 setzte die Beklagte das Honorar des Klägers ohne Berücksichtigung eines BAG-Zuschlags fest. Widerspruch, Klage und Berufung des Klägers blieben ohne Erfolg. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG im Wesentlichen ausgeführt, dass die Regelung zum BAG-Zuschlag auf Job-Sharing-Konstellationen nicht anwendbar sei. Der Zuschlag sei im Jahre 2009 zum Ausgleich von Fallzählungsverlusten eingeführt worden, die aufgrund der im HVM geregelten Berechnungsweise bei Job-Sharing-Praxen nicht auftreten würden. Zudem sei die für das Job-Sharing geltende Leistungsbegrenzung mit einem Zuschlag auf das RLV nicht zu vereinbaren und auch aus der Systematik des HVM folge die Unanwendbarkeit der Bestimmungen zum BAG-Zuschlag.
Zur Begründung seiner Revision macht der Kläger im Wesentlichen geltend, dass die Regelung zum BAG-Zuschlag, deren Auslegung hier umstritten sei, zwar im HVM enthalten sei, sodass es sich um Landesrecht handele. Inhaltlich damit übereinstimmende Regelungen, die sich an entsprechenden Vorgaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung orientierten, würden aber auch in anderen KÄV-Bezirken gelten, sodass die maßgebenden Vorschriften revisibles Recht seien. Fachgleiche Praxen mit angestellten Ärzten hätten Anspruch auf den BAG-Zuschlag. Der Wortlaut des HVM sei eindeutig und Ausnahmen für Job-Sharing-Anstellungen seien auch unter Hinweis auf die Systematik und den Sinn der Regelungen zum BAG-Zuschlag nicht begründbar. Insbesondere diene der Zuschlag nicht allein oder in erster Linie dem Ausgleich von Fallzählungsverlusten, sondern einer Förderung von Kooperationen. Ferner bestünde kein Widerspruch zwischen der für Job-Sharing-Praxen geltenden Leistungsbegrenzung und der Erhöhung des RLV um einen BAG-Zuschlag.
Vorinstanzen:
Sozialgericht München - S 38 KA 338/17, 21.03.2018
Bayerisches Landessozialgericht - L 12 KA 21/18, 16.01.2019
Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 10/21.
Terminbericht
Die Revision des Klägers hatte Erfolg. Der Senat hat die Urteile von SG und LSG sowie den angefochtenen Widerspruchsbescheid aufgehoben; die Beklagte muss über den Honoraranspruch des Klägers für das Quartal 1/2016 unter Berücksichtigung eines um 10% erhöhten RLV neu entscheiden.
Bei den Vorschriften des HVM, deren Auslegung hier zwischen den Beteiligten umstritten ist, handelt es sich um revisibles Recht, weil in mindestens einem weiteren KÄV-Bezirk - dem der KÄV Baden-Württemberg - inhaltsgleiche Vorschriften galten. Diese Übereinstimmung war nicht zufällig, sondern gewollt, weil die KÄVen damit ausdrücklich bundesweit geltende "Vorgaben" der Kassenärztlichen Bundesvereinigung umsetzen wollten. Von der den KÄVen ausdrücklich eingeräumten Befugnis zur Abweichung haben jedenfalls diese beiden KÄVen im maßgeblichen Zeitraum keinen Gebrauch gemacht.
Nach Abschnitt B Nr 7.3.6 Satz 4 Buchst b des im Bezirk der Beklagten geltenden HVM wird "das praxisbezogene RLV" bei "nicht standortübergreifenden fach- und schwerpunktgleichen Berufsausübungsgemeinschaften, Medizinischen Versorgungszentren und Praxen mit angestellten Ärzten der gleichen Arztgruppe" um 10% erhöht (sogenannter BAG-Zuschlag). Die Praxis des Klägers gehört zur Gruppe der "Praxen mit angestellten Ärzten" im Sinne dieser Vorschrift, weil der Kläger eine Job-Sharing-Partnerin angestellt hat. Entgegen der Auffassung der Beklagten sind Praxen mit Job-Sharing-Anstellungen nicht von dem Zuschlag ausgeschlossen. Eine solche Einschränkung könnte zwar zweifellos ohne Verstoß gegen höherrangiges Recht im HVM geregelt werden. Sowohl der aktuelle HVM der Beklagten als auch zB der im Bezirk der KÄV Hessen geltende HVM enthalten Regelungen, die Job-Sharing-Praxen, in denen sich zwei Ärzte lediglich einen Versorgungsauftrag teilen, von dem Zuschlag ausschließen. Der hier noch maßgebende im Quartal 1/2016 geltende HVM der Beklagten enthielt eine solche einschränkende Regelung jedoch nicht und auch unter systematischen Gesichtspunkten sowie unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck ist eine vom Wortlaut abweichende Auslegung nach Auffassung des Senats nicht zu begründen. Der Umstand, dass für die Ermittlung des praxisbezogenen RLV nach dem im Bezirk der Beklagten geltenden HVM bei Job-Sharing-Anstellungen besondere Regelungen gelten und für den sogenannten Juniorpartner kein eigenes RLV gebildet wird, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Ausgangspunkt für die streitige Erhöhung des RLV um 10% ist allein das RLV der Arztpraxis. Über ein solches verfügen auch Job-Sharing-Praxen. Abschnitt B Nr 7.3.6 Satz 4 Buchst b HVM machte den Anspruch auf den Zuschlag nicht davon abhängig, wie das praxisbezogene RLV ermittelt wurde. Die Beklagte kann ihre Auffassung auch nicht mit Erfolg darauf stützen, dass bei Job-Sharing-Praxen keine sogenannten Fallzählungsverluste auftreten würden, die durch den Zuschlag ausgeglichen werden könnten. Das folgt bereits daraus, dass der auf der Grundlage des § 87b Abs 2 Satz 2 SGB V und des Teils D der Vorgaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung gem § 87b Abs 4 SGB V geregelte sogenannte BAG-Zuschlag der Förderung von Kooperationen dient und deshalb nicht auf das Ziel eines Ausgleichs von Fallzählungsverlusten reduziert werden kann. Die Beklagte kann auch nicht mit Erfolg einwenden, dass Job-Sharing-Konstellationen angesichts der für diese geltenden besonderen Regelungen zur Leistungsbegrenzung von der Zuschlagsregelung ganz offensichtlich nach deren Sinn und Zweck nicht erfasst werden sollten. Die Begrenzung des Umfangs der von Job-Sharing-Praxen abrechenbaren Leistungen steht einer Erhöhung des Anteils der innerhalb des RLV zum vollen Punktwert vergüteten Leistungen nicht entgegen. Das zeigt auch die Verwaltungspraxis der KÄV Baden-Württemberg, die Job-Sharing-Praxen auf der Grundlage einer inhaltsgleichen Regelung im HVM nicht vom Anspruch auf den Kooperationszuschlag ausschließt.
Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 10/21.