Bundessozialgericht

Verhandlung B 12 R 16/19 R

Sozialversicherungspflicht - Sozialversicherungsfreiheit - Service- und Sicherheitspersonal - Öffentlicher Personennahverkehr

Verhandlungstermin 27.04.2021 10:00 Uhr

Terminvorschau

S. H. AöR ./. Deutsche Rentenversicherung Bund, beigeladen: 1. Y. K., 2. AOK Rheinland/Hamburg - Die Gesundheitskasse, 3. Pflegekasse bei der AOK Rheinland/Hamburg - Die Gesundheitskasse, 4. Bundesagentur für Arbeit, 5. Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See
Die klagende, den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) der Stadt H betreibende Anstalt öffentlichen Rechts setzte ua den Beigeladenen zu 1. in der Zeit vom 1.1.2007 bis zum 31.8.2008 zur Fahrkartenkontrolle ein. Die zuvor mit dem ÖPNV betraute GmbH hatte mit dem Beigeladenen einen "Dienstleistungsvertrag über stundenweise Beschäftigung als Service- und Sicherheitspersonal" abgeschlossen. Danach betrug der Stundenlohn 13,50 € zuzüglich Mehrwertsteuer. Die monatliche Arbeitszeit richtete sich nach den Erfordernissen des "Arbeitgebers" und wurde in Absprache mit dem Beigeladenen festgelegt. Ein Anspruch auf Urlaubstage, Urlaubs- oder Weihnachtsgeld sowie auf ein bestimmtes monatliches Stundenkontingent bestand nicht. Der Beigeladene, der 2004 das Gewerbe einer "Detektivtätigkeit" angemeldet hatte, stellte der Klägerin die von ihm sowie im ersten Halbjahr 2007 auch die von einem anderen Fahrkartenkontrolleur geleisteten Stunden in Rechnung

Ein bei der Klägerin beschäftigter Mitarbeiter organisierte und kontrollierte die Einsätze der Kontrolleure. In Dienstplänen legte er - gegebenenfalls unter Berücksichtigung hierzu geäußerter Wünsche - ihre Einsatzorte und -zeiten in Zweierteams fest. Den Kontrolleuren wurden Dienstkleidung sowie aktuelle Beförderungsbestimmungen, Fahrpläne und Tarifordnungen zur Verfügung gestellt. Außerdem erhielten sie einen mitzuführenden Dienstausweis und ein bei der Fahrkartenkontrolle einzusetzendes Datenerfassungsgerät. Die Klägerin überwachte die Einhaltung der Dienstzeiten; freigestellt war die Teilnahme an gesondert vergüteten monatlichen Teambesprechungen zum Informationsaustausch.

Auf den Statusfeststellungsantrag des Beigeladenen stellte die Beklagte Versicherungspflicht in den Zweigen der Sozialversicherung aufgrund abhängiger Beschäftigung fest. Klage und Berufung sind erfolglos geblieben. Der Beigeladene sei weisungsgebunden und in die Arbeitsorganisation der Klägerin eingegliedert gewesen. Die Klägerin habe die zeitliche, inhaltliche, technische und organisatorische Abwicklung der Kontrolltätigkeit einseitig festgelegt und Betriebsmittel zur Verfügung gestellt. Die Berücksichtigung einzelner Änderungswünsche stehe dem nicht entgegen und die Teilnahme an Dienstbesprechungen sei faktisch verpflichtend gewesen. Der Beigeladene habe nicht über eine eigene Betriebsstätte verfügt und kein unternehmerisches Risiko getragen. Seine Weisungsgebundenheit und Eingliederung seien von der Abrechnung der Tätigkeit eines anderen im ersten Halbjahr 2007 eingesetzten Mitarbeiters unberührt geblieben. Dieser habe den Beigeladenen auch nicht vertreten.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI und § 7 Abs 1 SGB IV. Eine fehlende Entscheidungsfreiheit ergebe sich nicht daraus, dass der Beigeladene das ihm eingeräumte Recht, die Übernahme von Tätigkeiten abzulehnen, nicht ausgeübt habe. Das Tragen der Dienstkleidung sei lediglich gestattet, aber nicht angeordnet worden. Das Mitführen des Dienstausweises sowie die Vorgaben im Umgang mit Fahrgästen ohne Fahrschein und den insoweit erhobenen Daten seien durch die öffentlich-rechtliche Kontrollfunktion im ÖPNV bedingt. Weil die Teilnahme an den Dienstbesprechungen nicht habe angeordnet werden können, sei sie gesondert vergütet worden. Zudem sei der Beigeladene durch seinen eigenen Arbeitnehmer vertreten worden, der nach eigener Aussage für diesen gearbeitet habe.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Köln - S 33 R 1024/14, 14.11.2014
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - L 8 R 1088/14, 27.03.2019

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 16/21.

Terminbericht

Die Revision der Klägerin ist erfolglos geblieben. Der Beigeladene war in seiner Tätigkeit als Service- und Sicherheitsmitarbeiter (Fahrkartenkontrolleur) versicherungspflichtig beschäftigt. Er war in den Betrieb der Klägerin eingegliedert und unterlag einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht. Die nach den vertraglichen Regelungen an den "Erfordernissen des Arbeitgebers" ohne Anspruch auf ein bestimmtes Zeitkontingent orientierten, in einem Dienstplan von der Klägerin festgelegten Arbeitszeiten ließen - trotz Berücksichtigung von Wünschen der Kotrolleure - kaum zeitliche Gestaltungsmöglichkeiten. Dem Beigeladenen boten sich aufgrund der weitreichenden inhaltlichen, technischen und organisatorischen Vorgaben der Klägerin auch sonst keine unternehmerischen Freiheiten. Umstände, die einer Tätigkeit ihrer Eigenart nach immanent, durch gesetzliche Vorschriften oder eine öffentliche-rechtliche Aufgabenwahrnehmung bedingt sind oder auf sonstige Weise "in der Natur der Sache" liegen, bleiben bei der Gesamtabwägung nicht unberücksichtigt. Die Indizwirkung für eine selbstständige Tätigkeit hängt davon ab, ob die noch verbleibende Weisungsfreiheit die Tätigkeit insgesamt als eine unternehmerische kennzeichnet. Die Freistellung der Teilnahme an Teambesprechungen, die Anmeldung des Gewerbes einer Detektivtätigkeit sowie die Abrechnung von Arbeitsstunden eines anderen nach den Weisungen der Klägerin (nicht des Beigeladenen) eingesetzten Fahrkartenkontrolleurs genügen dazu nicht.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 16/21.

Hinweis zur Verwendung von Cookies

Wir verwenden ausschließlich Sitzungs-Cookies, die für die einwandfreie Funktion unserer Webseite erforderlich sind. Mit der Nutzung unserer Dienste erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir diese Cookies einsetzen. Unsere Informationen zum Datenschutz erhalten Sie über den Link Datenschutz.

OK