Bundessozialgericht

Verhandlung B 12 R 18/19 R

Rentenversicherungsträger - Betriebsprüfung - Arbeitnehmerüberlassung - Amtsermittlungsgrundsatz - Schätzung

Verhandlungstermin 27.04.2021 14:00 Uhr

Terminvorschau

J. P. GmbH ./. Deutsche Rentenversicherung Westfalen, beigeladen: 1. IKK classic, 2. IKK-Pflegekasse classic, 3. H. W., 4. Bundesagentur für Arbeit
Die Klägerin betreibt mit behördlicher Erlaubnis Arbeitnehmerüberlassung. Der Beigeladene zu 3. war von ihr im streitigen Zeitraum einem Entleihunternehmen als Staplerfahrer überlassen worden. Ein vergleichbarer Staplerfahrer aus dessen Stammbelegschaft erhielt nach einer vom LSG eingeholten Auskunft einen Stundenlohn von ca 9,50 Euro. Die Klägerin und der Beigeladene schlossen einen Arbeitsvertrag vom 5.11.2008, in dem Tarifverträge zwischen der Tarifgemeinschaft Christliche Gewerkschaften Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) und dem Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleister e.V. (AMP) für anwendbar erklärt wurden. Am 22.4.2010 vereinbarten sie entsprechend einem von der Klägerin verwendeten Musteranstellungsvertrag rückwirkend zum 1.1.2010 die Anwendung eines mehrgliedrigen Tarifwerks zwischen sechs christlichen Einzelgewerkschaften und dem AMP in jeweils gültiger Fassung. Auf dieser Grundlage erhielt der Beigeladene einen Stundenlohn in Höhe von zunächst 7,99 Euro bis zuletzt 8,38 Euro.

Aufgrund einer Betriebsprüfung für die Jahre 2010 bis 2013 forderte die Beklagte weitere Gesamtsozialversicherungsbeiträge iHv 1566,96 Euro für den Beigeladenen. Wegen der Unwirksamkeit der Tarifvertragsklausel ergebe sich nach dem "equal-pay"-Grundsatz ein höherer Vergütungsanspruch und damit eine höhere Bemessungsgrundlage für die Sozialversicherungsbeiträge. Das Personal der Klägerin hatte zuvor telefonisch von dem Entleihunternehmen die Vergleichslöhne für Staplerfahrer erfragt und mit "9,00 - 9,30" Euro pro Stunde vermerkt. Dem Beigeladenen ordnete die Beklagte einen Mittelwert von 9,15 Euro zu. Die Klage ist erfolglos gewesen. Das LSG hat das Urteil des SG sowie die Verwaltungsentscheidungen der Beklagten aufgehoben. Die Höhe der Nachforderung sei rechtswidrig, weil wegen einer Verletzung der Amtsermittlungspflicht die Voraussetzungen für eine Schätzung nicht vorgelegen hätten.

Mit ihrer Revision rügt die Beklagte die Verletzung des § 28f Abs 2 Satz 3 SGB IV. Das LSG habe die Anforderungen an den Amtsermittlungsgrundsatz überspannt. Selbst wenn dieser verletzt sei, hätte das LSG das Urteil des SG und die Verwaltungsentscheidungen nicht aufheben dürfen, sondern aufgrund eigener Ermittlungen entscheiden müssen. Eine Schlechterstellung der Klägerin sei wegen des Verböserungsverbots unzulässig.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Dortmund - S 22 R 564/15, 20.10.2015
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - L 8 R 758/17, 29.05.2019

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 16/21.

Terminbericht

Der Senat hat auf die Revision der Beklagten das Urteil des LSG aufgehoben und die Berufung der Klägerin gegen das klageabweisende Urteil des SG zurückgewiesen. Die Beklagte hat von der Klägerin zu Recht Beiträge und Umlagen für den Beigeladenen zu 3. nachgefordert. Der Beitragsbemessung ist das nach dem Entstehungsprinzip geschuldete Arbeitsentgelt zugrunde zu legen. Dieses richtet sich hier gemäß § 10 Abs 4 AÜG aF nach dem "equal-pay"-Gebot, das den Verleiher verpflichtet, dem Leiharbeitnehmer für die Zeit seiner Überlassung das vom Entleiher für einen vergleichbaren Arbeitnehmer geltende Arbeitsentgelt zu gewähren. Die stattdessen geringere Vergütung des Beigeladenen war nicht durch abweichende tarifliche Regelungen gerechtfertigt. Der zunächst in Bezug genommene Tarifvertrag zwischen der CGZP und dem AMP war wegen des vom BAG bindend festgestellten Fehlens der Tariffähigkeit der CGZP bei Abschluss des Tarifvertrags unwirksam. Die Bezugnahme auf einen mehrgliedrigen Tarifvertrag in der Änderungsvereinbarung vom 22.4.2010 verstößt als allgemeine Geschäftsbedingung gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs 1 Satz 2 BGB. Sie ist nach der Rechtsprechung des BAG (Urteile vom 13.3.2013 - 5 AZR 954/11 und 5 AZR 242/12), der sich der Senat angeschlossen hat, unbestimmt, wenn sie - wie hier - keine Kollisionsregel dazu enthält, welches tarifliche Regelwerk sich jeweils durchsetzen soll. Die Klägerin kann sich weder in Bezug auf die Tariffähigkeit der CGZP noch hinsichtlich der Wirksamkeit der Bezugnahmeklausel auf schutzwürdiges Vertrauen in eine gefestigte und langjährige höchstrichterliche Rechtsprechung berufen.

Entgegen der Auffassung des LSG kommt wegen einer Schätzung der Beklagten eine Aufhebung des angegriffenen Verwaltungsakts nicht in Betracht. Unter Berücksichtigung der bei Erlass des Widerspruchsbescheids gegebenen Verhältnisse hatte die Beklagte keine Veranlassung, an der von der Klägerin beim Entleiher erfragten Vergleichslohnspanne von 9,00 bis 9,30 Euro zu zweifeln. Sofern eine Tatsache nicht bestritten wird und sich einer Behörde auch im Übrigen keine Bedenken aufdrängen, braucht sie grundsätzlich keine Ermittlungen "ins Blaue hinein" aufzunehmen. Die Beklagte durfte im vorliegenden Fall auch den Verwaltungsaufwand für eine nähere Bestimmung des Vergleichsentgelts innerhalb dieser relativ geringen Lohnspanne als unverhältnismäßig ansehen und den Mittelwert von 9,15 Euro zugrunde legen. Ermittlungen des LSG waren daher nicht angezeigt.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 16/21.

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