Bundessozialgericht

Verhandlung B 4 AS 34/20 R

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Sozialhilfe - existenzsichernde Leistungen - Ausländer - Leistungsausschluss - Unionsbürger

Verhandlungstermin 12.05.2021 12:30 Uhr

Terminvorschau

1. V.-E. C., 2. S. G. P., 3. S. C. C., 4. A. P. ./. Jobcenter Bremerhaven, beigeladen: Stadt Bremerhaven
Die Kläger sind rumänische Staatsangehörige und wohnten im Zeitraum vom 23.12.2013 bis 15.4.2014, für den sie Leistungen nach dem SGB II oder dem SGB XII begehren, gemeinsam in Bremerhaven. Die 1987 geborene Klägerin zu 1 sowie der 1975 geborene Kläger zu 2 leben seit September/Oktober 2009 im Bundesgebiet und sind Eltern der 2007 und 2013 geborenen Klägerinnen zu 3 und 4. Die Klägerin zu 1 arbeitete vom 7.9. bis 7.10.2010 als Küchenhelferin. Der Kläger zu 2 hatte von Mai 2011 bis Dezember 2013 ein Gewerbe als Gerüstbauhelfer angemeldet. Für den Zeitraum von März bis November 2013 stellte er der Firma T. GmbH für diverse Gerüstbauarbeiten jeweils 952 Euro monatlich in Rechnung. Eine Tätigkeit aufgrund eines zum 1.3.2014 mit derselben Firma geschlossenen Arbeitsvertrags als Gerüstbauhelfer wurde wegen Insolvenz des Arbeitgebers nicht aufgenommen.

Der Beklagte lehnte den Antrag auf SGB II-Leistungen ab. Nach Beiladung der zuständigen Sozialhilfeträgerin hat das SG die Klage abgewiesen. Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen, weil die Kläger nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen seien. Sie erfüllten weder die Voraussetzungen für ein Aufenthaltsrecht nach dem FreizügG/EU noch nach dem begrenzt subsidiär anwendbaren AufenthG, sodass sie sich im streitigen Zeitraum allein zum Zwecke der Arbeitsuche im Bundesgebiet aufgehalten hätten. Es komme auch kein nachwirkendes Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs 3 FreizügG/EU in Betracht. Sofern man in der Tätigkeit des Klägers zu 2 als Gerüstbauer eine abhängige Beschäftigung sehe, stünde einem Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs 3 Satz 2 FreizügG/EU entgegen, dass ihm für diese Tätigkeit keine Arbeitserlaubnis-EU erteilt worden sei. Den Klägern stehe auch kein Anspruch auf unterhaltssichernde Leistungen nach dem SGB XII gegen die Beigeladene zu. Der zu § 23 SGB XII aF ergangenen Rechtsprechung des BSG schließe man sich nicht an.

Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision rügen die Kläger sinngemäß die Verletzung von § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II in der bis zum 28.12.2016 geltenden Fassung. Der Kläger zu 2 sei in dem Zeitraum März bis November 2013 selbständig tätig gewesen. Das LSG sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass eine selbständige Tätigkeit nur dann ein Aufenthaltsrecht nach dem FreizügG/EU vermitteln könne, wenn sie mehr als ein Jahr ausgeübt werde. § 2 Abs 3 Satz 2 FreizügG/EU sei auch auf Selbständige anwendbar.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Bremen - S 37 AS 370/14, 07.06.2017
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen - L 15 AS 180/17, 12.03.2020

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 18/21.

Terminbericht

Auf die Revisionen der Kläger sind die Urteile des LSG und des SG geändert worden. Hinsichtlich des Hauptantrags - Aufhebung der Bescheide des beklagten Jobcenters sowie dessen Verurteilung zur Erbringung von Leistungen nach dem SGB II - sind die Revisionen zurückgewiesen worden; jedoch ist die beigeladene Stadt als Sozialhilfeträger verurteilt worden, den Klägern in dem Zeitraum vom 23.12.2013 bis 15.4.2014 Leistungen nach dem SGB XII zu erbringen.

Die Kläger zu 1 und 2 sind vom Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II erfasst. Insbesondere konnte sich der Kläger zu 2 weder auf eine Freizügigkeitsberechtigung als Arbeitnehmer oder Selbständiger noch auf eine entsprechende nachwirkende Freizügigkeitsberechtigung berufen. Eine solche konnte sich nach den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanzen, wie von diesen angenommen, von vornherein nur aus dem Erhalt einer Arbeitnehmereigenschaft ergeben. Mangels Arbeitsgenehmigung-EU während seiner Tätigkeit als Gerüstbauer war der Kläger zu 2 jedoch von einer Freizügigkeitsberechtigung nach § 2 Abs 3 Satz 2 FreizügG/EU ausgeschlossen. Dies ergibt sich aus § 13 FreizügG/EU, der auf der Grundlage der Übergangsbestimmungen zu dem EU-Beitrittsvertrag von Rumänien in Übereinstimmung mit EU-Recht erlassen worden ist (vgl EuGH vom 28.2.2018 - C - 618/16 - Rechtssache Prefeta).

Als anderer leistungsverpflichteter Träger ist jedoch der beigeladene Sozialhilfeträger zu verurteilen gewesen, den Klägern Leistungen nach dem SGB XII in der Fassung vor der Neuregelung durch das Gesetz vom 22.12.2016 (BGBl I 3155) zu erbringen. Zwar sind sie nach § 23 Abs 3 Satz 1 SGB XII von einem Rechtsanspruch auf Sozialhilfe ausgeschlossen, nicht aber von Ermessensleistungen nach § 23 Abs 1 Satz 3 SGB XII. Mit der Verfestigung ihres Aufenthalts einher geht eine Ermessensreduzierung der Beigeladenen auf Null, so dass den Klägern Leistungen nach dem SGB XII in gesetzlicher Höhe zu erbringen sind. Insofern hält der Senat an der Rechtsprechung des BSG für die Grundsicherung für Arbeitsuchende fest (vgl BSG vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R; BSG vom 20.1.2016 - B 14 AS 35/15 R; BSG vom 13.7.2017 - B 4 AS 17/16 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 54; BSG vom 21.3. 2019 - B 14 AS 31/18 R).

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 18/21.

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