Bundessozialgericht

Verhandlung B 6 KA 7/20 R

Vertragsarztrecht - vertragsärztliche Versorgung - Wirtschaftlichkeitsprüfung - Beschwerdeausschuss - Protokollierung - Vergleich

Verhandlungstermin 26.05.2021 10:00 Uhr

Terminvorschau

Dr. K. ./. Beschwerdeausschuss der Ärzte und Krankenkassen in Hessen, 7 Beigeladene
Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit eines im Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung geschlossenen Vergleichs.

Gegen den an der hausärztlichen Versorgung teilnehmenden Kläger setzte die Prüfungsstelle im Jahr 2011 für die vier Quartale des Jahres 2007 Honorarkürzungen in Höhe von ca 93 500 Euro "brutto" fest. Auf den Widerspruch des Klägers führte der beklagte Beschwerdeausschuss eine mündliche Anhörung durch. In dem Anhörungstermin, bei dem der Kläger von einem Rechtsanwalt begleitet wurde, wurde abweichend von dem angefochtenen Bescheid der Prüfungsstelle ein Regress in Höhe von 20 000 Euro vereinbart. Dem Kläger wurde ferner die Zahlung in acht Teilraten von je 2500 Euro zugestanden. Die Vereinbarung wurde in die gefertigte Niederschrift aufgenommen und nach dem Inhalt dieser Niederschrift laut vorgelesen und genehmigt. Nach der Übersendung der Niederschrift erklärte der Kläger, dass er mit falschen Angaben zur Höhe des drohenden Regresses zum Abschluss der Vereinbarung genötigt worden sei. Die Vereinbarung sei ungültig. Tatsächlich wäre ohne die Vereinbarung nur ein Regress in Höhe von 10 000 Euro netto angefallen. Die zu 1. beigeladene KÄV bezifferte den Nettobetrag des ursprünglichen Regresses (nach Quotierung, ohne die Vereinbarung) auf ca 23 000 Euro.

Der Beklagte stellte daraufhin mit Bescheid fest, dass das Widerspruchsverfahren durch die im Anhörungstermin geschlossene Vereinbarung erledigt sei. Soweit der Widerspruch aufrecht erhalten werde, werde er zurückgewiesen. Das SG hat die Klage im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, dass kein Grund vorliege, der den Kläger zur Anfechtung seiner im Anhörungstermin abgegebenen Erklärung berechtigen würde.

Auf die Berufung des Klägers hat das LSG den Bescheid des Beklagten sowie das Urteil des SG aufgehoben und festgestellt, dass das Widerspruchsverfahren nicht durch Vergleich erledigt worden ist. Die geschlossene Vereinbarung sei unwirksam, weil das für öffentlich-rechtliche Verträge geltende Schriftformerfordernis nicht eingehalten worden sei. Dieses könne zwar durch einen protokollierten gerichtlichen Vergleich ersetzt werden, nicht aber durch einen von dem beklagten Beschwerdeausschuss protokollierten Vertrag.

Mit seiner Revision rügt der Beklagte die Verletzung rechtlichen Gehörs aufgrund einer Überraschungsentscheidung des LSG. Außerdem sei das LSG zu Unrecht von der Formunwirksamkeit des Vertrags ausgegangen. Die Schriftform werde hier jedenfalls durch die Beachtung der in der Prüfvereinbarung enthaltenen Regelungen zur Protokollierung und außerdem durch den Schriftwechsel zwischen den Beteiligten im Anschluss an den Anhörungstermin erfüllt.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Marburg - S 16 KA 143/16, 03.04.2017
Hessisches Landessozialgericht - L 4 KA 11/17, 12.02.2020

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Terminbericht

Die Revision des beklagten Beschwerdeausschusses hat Erfolg. Das LSG hat die Entscheidung des SG, das die Klage abgewiesen hat, zu Unrecht aufgehoben. Das Widerspruchsverfahren ist durch die in dem Anhörungstermin vor dem beklagten Beschwerdeausschuss protokollierte Vereinbarung, mit der der vom Kläger zu zahlende Regressbetrag abweichend vom angefochtenen Bescheid der Prüfungsstelle auf 20 000 Euro festgelegt worden ist, erledigt. Allerdings bedarf diese Vereinbarung als öffentlich-rechtlicher Vertrag zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform (§ 56 SGB X). Eine entsprechende Urkunde, die sowohl vom Kläger als auch vom Vorsitzenden des Beklagten unterschrieben worden wäre, existiert nicht. Die anlässlich des Anhörungstermins gefertigte Niederschrift, in die der Inhalt der Vereinbarung aufgenommen worden ist, trägt allein die Unterschrift des Vorsitzenden des Beklagten sowie des Schriftführers und es handelt sich dabei auch nicht um einen gerichtlichen Vergleich iSd § 127a BGB.

Das Schriftformerfordernis des § 56 SGB X ist hier durch die Protokollierung gleichwohl gewahrt. In der Kommentarliteratur zu § 57 VwVfG, der wörtlich mit § 56 SGB X übereinstimmt, wird unwidersprochen die Auffassung vertreten, dass das für einen öffentlich-rechtlichen Vertrag geltende Schriftformerfordernis durch die Aufnahme des Vertragstextes zur Niederschrift der (vertragschließenden) Behörde gewahrt werden kann. Auch in den veröffentlichten Entscheidungen von Instanzgerichten zu § 57 VwVfG überwiegt diese Auffassung. Jedenfalls im Bereich der Wirtschaftlichkeitsprüfung und der vertragsärztlichen Zulassung, in dem die Entscheidung über Widersprüche bei paritätisch mit Vertretern der Ärzte und der Krankenkassen besetzten Gremien liegt, besteht kein Anlass, davon abzuweichen, wenn die Niederschrift - wie hier - in einem formalisierten Verfahren aufgenommen wird und inhaltlich den für die Protokollierung in gerichtlichen Verfahren geltenden Anforderungen (§ 162 Abs 1 ZPO) genügt, wonach entsprechende Erklärungen vorzulesen und zu genehmigen sind. Damit wird den Beteiligten in ausreichender Weises deutlich gemacht, dass sie nunmehr rechtsverbindliche Erklärungen abgeben. Gründe, die den Kläger zur Anfechtung des Vertrags berechtigen würden, liegen hier ebenfalls nicht vor.

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