Bundessozialgericht

Verhandlung B 6 KA 8/20 R

Vertragsarztrecht - vertragsärztliche Vergütung - Bekanntmachung - Beschluss - Beschwerdeausschuss - Internet - Fundstelle - Deutsches Ärzteblatt

Verhandlungstermin 26.05.2021 12:30 Uhr

Terminvorschau

Gemeinschaftspraxis Dr. F. und Dr. K. ./. Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg
Die Klägerin wendet sich gegen eine sachlich-rechnerische Berichtigung für das Quartal 1/2014 im Hinblick auf die Budgetierung von Gesprächsleistungen im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä). Streitig zwischen den Beteiligten ist insbesondere, ob die entsprechende Änderung des EBM-Ä noch im Jahr 2013 wirksam bekannt gegeben wurde oder eine - ggf unzulässige - echte Rückwirkung entfaltet.

Der von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und dem GKV-Spitzenverband nach § 87 Abs 1 Satz 1 SGB V gebildete Bewertungsausschuss führte für die hausärztliche Versorgung mit Beschluss vom 27.6.2013 (309. Sitzung) zum 1.10.2013 eine neue, mit 90 Punkten bewertete Gebührenordnungsposition (GOP) 03230 (Problemorientiertes ärztliches Gespräch, das aufgrund von Art und Schwere der Erkrankung erforderlich ist) in den EBM-Ä ein. Zugleich regelte er, dass für diese GOP "ein Punktzahlvolumen für die gemäß der Gebührenordnungsposition 03230 erbrachten und berechneten Gespräche gebildet" werde. Das Punktzahlvolumen betrage 45 Punkte multipliziert mit der Anzahl der Behandlungsfälle. Dieses wird also bei der Abrechnung der Gesprächsgebühr in jedem zweiten Behandlungsfall (durchschnittlich 0,5 problemorientierte aufgrund von Art und Schwere der Erkrankung erforderliche Gespräche pro Behandlungsfall) erreicht. Mit weiterem Beschluss vom 18.12.2013 (319. Sitzung) ergänzte der Bewertungsausschuss diese Bestimmung um den Satz, dass über das Punktzahlvolumen hinausgehende Gespräche gemäß der GOP 03230 nicht vergütet werden. Dieser weitere Beschluss wurde am 20.12.2013 auf der Internetseite des Instituts des Bewertungsausschusses (www.institut-ba.de) und am 24.1.2014 im Deutschen Ärzteblatt veröffentlicht.

Für das Quartal 1/2014 vergütete die beklagte KÄV der Klägerin, einer aus zwei Fachärzten für Allgemeinmedizin bestehenden, zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Berufsausübungsgemeinschaft die nach der GOP 03230 abgerechneten 1263 Gespräche statt mit 90 lediglich mit 35,3 Punkten (Vergütungsquote von 39,27 % ausgehend von 1263 Ansätzen bei 992 Behandlungsfällen, also fast 1,3 problemorientierte aufgrund von Art und Schwere der Erkrankung erforderliche Gespräche pro Behandlungsfall). Widerspruch, Klage und Berufung der Klägerin sind erfolglos geblieben. Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, eine unzulässige rückwirkende Budgetierung für das Quartal 1/2014 liege - anders als die Klägerin meine - nicht vor. Der Beschluss vom 18.12.2013 sei bereits am 20.12.2013 im Internet veröffentlicht worden. Dies sei ausreichend, dem Beschluss Wirksamkeit zu verleihen. Soweit § 87 Abs 6 Satz 9 SGB V vorsehe, dass bei einer Bekanntmachung im Internet im Deutschen Ärzteblatt ein Hinweis auf die Fundstelle veröffentlicht werden müsse, solle dies nach der Gesetzesbegründung lediglich der besseren Auffindbarkeit der Rechtsnorm durch den Rechtsanwender dienen.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 87 Abs 6 Satz 9 SGB V (aF; heute: Satz 10). Die Veröffentlichung der Internetfundstelle in der Printausgabe diene nicht lediglich der Transparenz und der besseren Auffindbarkeit, sondern belege den Vorrang der Bekanntmachung von Beschlüssen des Bewertungsausschusses im Deutschen Ärzteblatt gegenüber der Veröffentlichung im Internet.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Stuttgart - S 5 KA 3268/16, 27.06.2018
Landessozialgericht Baden-Württemberg - L 5 KA 2830/18, 22.05.2019

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Terminbericht

Die Revision der klagenden Berufsausübungsgemeinschaft hat keinen Erfolg. Das Berufungsurteil steht nicht in vollem Umfang mit Bundesrecht im Einklang, erweist sich aber im Ergebnis als richtig.

Die hier umstrittene Ergänzung der Präambel 3.1. im hausärztlichen Versorgungsbereich des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä) um Nr 10 Satz 3, wonach über das Punktzahlvolumen hinausgehende Gespräche gemäß Gebührenordnungsposition (GOP) 03230 nicht vergütet werden, ist nicht bereits mit der Veröffentlichung des entsprechenden Beschlusses vom 18.12.2013 auf der Internetseite des Instituts des Bewertungsausschusses am 20.12.2013 amtlich publiziert und damit wirksam geworden. Dies war erst mit der Veröffentlichung im Deutschen Ärzteblatt vom 24.1.2014 der Fall. § 87 Abs 6 Satz 9 (jetzt: Satz 10) SGB V bestimmt, dass Beschlüsse des Bewertungsausschusses im Deutschen Ärzteblatt oder im Internet bekannt zu machen sind; falls die Bekanntmachung im Internet erfolgt, muss im Deutschen Ärzteblatt ein Hinweis auf die Fundstelle veröffentlicht werden. Diese Vorschrift ist so zu verstehen, dass erst mit der Veröffentlichung des vollen Textes oder zumindest des Hinweises im Deutschen Ärzteblatt der Beschluss des Bewertungsausschusses als bekannt gemacht gilt und damit wirksam wird. Der Gesetzgeber hat gerade nicht bestimmt, dass die Veröffentlichung auf der Internetseite des Bewertungsausschusses für sich schon als Bekanntgabe gilt.

Der erst im Januar 2014 wirksam veröffentlichte Beschluss zu Nr 10 Satz 3 der Präambel 3.1. entfaltete damit echte Rückwirkung für das Quartal 1/2014. Hierzu war der Bewertungsausschuss ausnahmsweise berechtigt. Nach der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG ist die echte Rückwirkung von Normen in ganz engen Grenzen zulässig. Diese können insbesondere dann gewahrt sein, wenn die Betroffenen mit einer Änderung rechnen mussten, weil die Rechtslage unvollständig und/oder verworren war und sich daher ausnahmsweise kein Vertrauen auf den unveränderten Bestand der Rechtslage bilden konnte. Diese Voraussetzungen sind für das hier streitige Quartal 1/2014 erfüllt. Der Beschluss des Bewertungsausschusses über die Bildung eines Punktzahlvolumens für die Leistungen nach GOP 03230 EBM-Ä vom 27.6.2013 mit Wirkung zum 1.10.2013 war insofern unvollständig, als nicht bestimmt war, was mit Gesprächsleistungen geschehen sollte, die über das Volumen hinaus abgerechnet werden. Klar war jedoch immer, dass eine Abrechnung zum vollen Punktwert ausgeschlossen war, weil das mit dem Sinn eines Punktzahlvolumens für eine Einzelleistung unvereinbar ist. Es bestand nur die Wahl zwischen einer Abstaffelung und einem Ausschluss der Berechnung der über das Punktzahlvolumen hinausgehenden Gesprächsleistungen, wie er dann am 18.12.2013 beschlossen wurde. Mit diesem Beschluss hat der Bewertungsausschuss geklärt, was nach seiner Intention schon ab dem Quartal 4/2013 gewollt, im Beschluss vom 27.6.2013 aber nur unvollständig formuliert worden war. Insoweit enthält der Beschluss vom 18.12.2013 zwar keine reine Klarstellung eines missverständlichen Normtextes. Die zu seiner Umsetzung erforderliche Vervollständigung des Beschlusses durfte sich aber ausnahmsweise Rückwirkung beimessen.

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