Verhandlung B 6 KA 10/20 R
Vertragsarztrecht - Abrechnungsprüfung - Leistungen - Sozialversicherungsabkommen - falscher Kostenträger
Verhandlungstermin
26.05.2021 11:00 Uhr
Terminvorschau
Techniker Krankenkasse ./. Kassenärztliche Vereinigung Saarland
Die Beteiligten streiten um die sachlich-rechnerische Richtigstellung von Behandlungsfällen, die als "Grenzgänger/SVA" gekennzeichnet waren. Die klagende Krankenkasse beantragte die Richtigstellung, weil die abgerechneten Behandlungsfälle entweder eigene Versicherte beträfen oder die Anspruchsberechtigung nach der VO (EG) 883/2004 bzw nach einem Sozialversicherungsabkommen nicht nachgewiesen sei. Die beklagte KÄV lehnte dies mit dem Argument ab, bei diesen Behandlungsfällen handele es sich nicht um vertragsärztliche Versorgung, weshalb § 106a SGB V aF nicht anwendbar sei.
Das SG hat die KÄV verpflichtet, über den Antrag der Klägerin hinsichtlich der Fallgruppe der eigenen Versicherten auf der Grundlage von § 106a Abs 3 SGB V aF neu zu entscheiden und hinsichtlich der weiteren Fallgruppe des fehlenden Anspruchsnachweises auf der Grundlage von § 106a Abs 2 und 4 SGB V aF eine gezielte Prüfung durchzuführen. Das LSG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Nach § 106a Abs 2 und 3 SGB V aF erfolge eine Prüfung der "Abrechnungen der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Einrichtungen". Die Fallgruppe der Angabe eines falschen Kostenträgers sei mit Inkrafttreten des § 106a Abs 3 SGB V aF der sachlich-rechnerischen Richtigstellung zugeordnet worden.
Die Beklagte rügt mit ihrer Revision eine Verletzung von § 106a SGB V aF. Zu Unrecht habe das LSG angenommen, dass diese Vorschrift auch in den Behandlungsfällen sonstiger Kostenträger anwendbar sei. Eine sachlich-rechnerische Richtigstellung finde nach § 106a SGB V aF nur im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung, dh bei der Überprüfung von GKV-Behandlungsfällen, statt. Die streitigen "Grenzgänger/SVA"-Behandlungsfälle würden hiervon nicht erfasst. Es existiere auch eine gesamtvertragliche Rechtsgrundlage, die sachlich-rechnerische Richtigstellungen ohne Rückgriff auf § 106a SGB V aF ermögliche. Danach habe die Klägerin auch bereits Richtigstellungsanträge für andere Kostenträger gestellt. Ein wesentlicher Unterschied zu Behandlungsfällen nach der VO (EG) 883/2004 oder nach einem Sozialversicherungsabkommen bestehe nicht. Die Klägerin zahle für diese Behandlungsfälle keine morbiditätsbedingte Gesamtvergütung und diese unterfielen weder der Honorarverteilung noch den Arznei- oder Heilmittelbudgets.
Vorinstanzen:
Sozialgericht für das Saarland - S 2 KA 8/16, 29.05.2018
Landessozialgericht für das Saarland - L 3 KA 2/18, 24.06.2020
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Terminbericht
Die Revision der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung blieb ohne Erfolg. Zutreffend hat das LSG die Verpflichtung der Beklagten bejaht, über die von der klagenden Krankenkasse beantragte sachlich-rechnerische Berichtigung der Abrechnungen von Leistungen im Rahmen der Leistungsaushilfe in 17 Fällen neu zu entscheiden und in zwei Fällen zu prüfen, ob die Behandlungen zu deren Lasten abgerechnet werden durften.
In 17 Fällen waren die behandelten Patienten tatsächlich Versicherte der Klägerin, die Abrechnung erfolgte aber als Leistungsaushilfe nach der VO (EG) 883/2004. Die Behandlung von Versicherten ist bereits mit der Gesamtvergütung abgegolten, wohingegen die Kosten der Behandlung im Falle der Leistungsaushilfe von der Beklagten extrabudgetär in Rechnung gestellt werden. In den beiden übrigen Fällen waren die Anspruchsvoraussetzungen für die Leistungsaushilfe nach der VO (EG) 883/2004 nicht dokumentiert. Beide Konstellationen sind vom Antragsrecht der Krankenkasse nach § 106a Abs 3 bzw Abs 4 iVm Abs 2 SGB V aF (heute § 106d SGB V) erfasst, weil die Behandlung der Patienten im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung erfolgt ist. Nach der VO (EG) 883/2004 werden die Leistungsberechtigten vollständig in das Leistungssystem des aushelfenden Trägers - hier der Klägerin - integriert und stehen den Versicherten in leistungsrechtlicher Hinsicht gleich. Diese Integration bestimmt auch den rechtlichen Rahmen für die Leistungserbringung. Davon gehen auch die Partner des BMV-Ä aus, indem sie in der Anlage 20 zum BMV-Ä nähere Regelungen zum Umfang des Anspruchs und zum Verfahren der Leistungsaushilfe getroffen haben.
Die Beklagte ist daher verpflichtet, über den Antrag der Klägerin auf Berichtigung der Abrechnung in den Fällen neu zu entscheiden, in denen die Klägerin auf der Grundlage des § 106a Abs 3 Satz 1 Nr 1 SGB V ihre Leistungspflicht (als aushelfender Träger) verneint hat, weil die Betroffenen bei ihr versichert waren. In den beiden anderen Fällen hat die Klägerin zu Recht auf der Grundlage des § 106a Abs 4 Satz 1 SGB V aF eine gezielte Prüfung von Abrechnungsfehlern, die auch die hier vorliegenden Lücken in der Dokumentation der Anspruchsberechtigung nach § 2 der Anlage 20 zum BMV-Ä umfassen, verlangt.
Dem Anspruch der Klägerin auf sachlich-rechnerische Berichtigung bzw formelle Prüfung von Abrechnungen steht nicht entgegen, dass die Beklagte gegenüber den Vertragsärzten und Krankenhäusern, von denen die betroffenen Patienten ambulant behandelt worden sind, wegen Ablauf der Frist von (damals) vier Jahren vermutlich keine Berichtigungen mehr vornehmen kann. Ein etwaiges Unterlassen der Beklagten, eine Hemmung der Ausschlussfrist durch Information der betroffenen Ärzte und Krankenhäuser über die Anträge der Klägerin herbeizuführen, kann nicht zu Lasten der Klägerin gehen.
Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 21/21.