Bundessozialgericht

Verhandlung B 5 RE 4/20 R

Versicherungspflicht - Rentenversicherung - Befreiung - angestellter Jurist - Änderung der Tätigkeit

Verhandlungstermin 16.06.2021 11:00 Uhr

Terminvorschau

T. O. ./. Deutsche Rentenversicherung Bund, 2 Beigeladene
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger aufgrund des Bescheides der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA), vom 9.8.1995 für seine ab dem 1.10.2014 bei der Beigeladenen zu 1 ausgeübte Beschäftigung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) befreit ist.

Der Kläger war ab 1992 bei der Beigeladenen zu 1 als Jurist versicherungspflichtig beschäftigt. Nach verschiedenen Änderungen seines Aufgabenbereichs übernahm er ab dem 1.10.2014 die Funktion des "Chief Executive Officer (CEO) Services". Von 2016 bis 2018 war der Kläger im "Contract Management" tätig.

Der Kläger ist seit dem 1.2.1995 als Rechtsanwalt zugelassen und seit dem 2.3.1995 aufgrund seiner Pflichtmitgliedschaft in der Rechtsanwaltskammer durchgehend Pflichtmitglied des zu 2 beigeladenen Versorgungswerks. Auf seinen Antrag befreite ihn die BfA mit Formularbescheid vom 9.8.1995 von der Versicherungspflicht in der GRV für seine "seit dem 15.2.1992" bestehende versicherungspflichtige Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 1. Nach den Entscheidungen des Senats vom 3.4.2014 (B 5 RE 13/14 R ua) meldete die Beigeladene zu 1 den Kläger ab dem 1.1.2015 (vorsorglich) in der GRV an. Der Kläger bat daraufhin die Beklagte um Bestätigung, dass der Bescheid über die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht vom 9.8.1995 bestandskräftig sei und weiterhin Gültigkeit habe. Die Beklagte entschied, dass für die ab dem 1.10.2014 ausgeübte Tätigkeit keine Befreiung nach § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI erteilt werden könne. Der Befreiungsbescheid vom 9.8.1995 habe sich nur auf die konkrete Beschäftigung als Referent bezogen und sich mit der Aufgabe dieser Beschäftigung erledigt.

Das SG hat den ablehnenden Bescheid der Beklagten aufgehoben und festgestellt, dass der Kläger aufgrund des Bescheids der BfA vom 9.8.1995 weiterhin von der Versicherungspflicht in der GRV befreit sei. Das LSG hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Der Befreiungsbescheid beziehe sich ausschließlich auf diejenige Beschäftigung, die im Befreiungsantrag angegeben worden sei, und erstrecke sich nicht auf folgende gleichartige Beschäftigungsverhältnisse. Dies gelte sowohl bei einem Arbeitgeberwechsel als auch bei einer wesentlichen Änderung des Tätigkeitsbereiches. Die im Bescheid vom 9.8.1995 ausgesprochene Befreiung sei nur für die Tätigkeit als Jurist im Bereich Recht erteilt worden und spätestens mit dem Wechsel des Klägers in die Funktion eines CEO weggefallen.

Der Kläger rügt mit seiner Revision die Verletzung des § 231 Abs 2 SGB VI. Soweit die Befreiung sich auf die "jeweilige Beschäftigung" beschränke, sei nicht die konkrete Tätigkeit, sondern das Arbeitsverhältnis gemeint. Eine Änderung der konkreten Tätigkeit bei demselben Arbeitgeber sei anders zu behandeln als der Fall des Arbeitgeberwechsels.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Gelsenkirchen - S 52 R 672/15, 09.04.2018
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - L 18 R 351/18, 27.09.2019

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Terminbericht

Die Revision ist ohne Erfolg geblieben. Das LSG hat zutreffend entschieden, dass der Kläger aufgrund des Befreiungsbescheids aus dem Jahr 1995 für die ab Oktober 2014 ausgeübten Tätigkeiten bei der Beigeladenen zu 1 nicht mehr von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit war.

Bei Anwendung der Grundsätze für die Auslegung formularmäßiger Befreiungsbescheide war auch der dem Kläger erteilte Befreiungsbescheid vom 9.8.1995 auf die damals von ihm für seinen Arbeitgeber konkret verrichtete Tätigkeit bezogen. Nachfolgend fand zwar kein Arbeitgeberwechsel statt, der das Arbeitsverhältnis beendet hätte. Im Falle eines Betriebsübergangs nach § 613a BGB tritt der neue Inhaber in das zum Zeitpunkt des Übergangs bestehende Arbeitsverhältnis ein; entsprechendes gilt bei Umwandlungen des Rechtsträgers eines Unternehmens nach dem Umwandlungsgesetz. Derartige Änderungen haben bei unverändert fortgeführter Tätigkeit keine Auswirkungen auf eine erteilte Befreiung von der Versicherungspflicht. Hier führten aber wesentliche Änderungen der ausgeübten Tätigkeit zum Wegfall der Befreiung.

Ob eine Änderung der Beschäftigung wesentlich ist, lässt sich nur im Einzelfall aufgrund eines wertenden Vergleichs der Aufgabenstellungen und Funktionen feststellen. Dies wird regelmäßig nicht anzunehmen sein, wenn zB innerhalb einer Rechtsabteilung lediglich ein anderes Rechtsgebiet bearbeitet wird. Für eine wesentliche Änderung können aber die Festlegung einer geänderten Aufgabenzuständigkeit in einem neuen Arbeitsvertrag und die Einräumung zusätzlicher Entscheidungskompetenzen sprechen. Eine wesentliche Änderung ist in aller Regel auch verbunden mit der Berufung zum Mitglied eines Organs, das die juristische Person des Arbeitgebers gesetzlich vertritt und als solches gesellschaftsrechtlichen Weisungen unterliegt. Eine Änderung ist jedenfalls dann wesentlich, wenn die Spezifika der Beschäftigung, für die ursprünglich die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht erteilt wurde, in der nunmehr ausgeübten Tätigkeit keine oder nur noch eine untergeordnete Rolle spielen.

Nach diesen Grundsätzen ist die Bewertung des LSG nicht zu beanstanden, der Befreiungs­bescheid vom 9.8.1995 habe sich spätestens zum 1.10.2014 erledigt, als der Kläger die Leitung der Rechtsabteilung abgab und auf der Grundlage eines neuen Anstellungsvertrags als CEO Führungsaufgaben im Management übernahm. Ein weitergehender Bestandsschutz zugunsten des Klägers ergibt sich weder aus § 231 Abs 2 SGB VI noch aus Gründen des Vertrauensschutzes. Der hinfällig gewordene Befreiungsbescheid aus 1995 konnte auch nicht wieder aufleben, als der Kläger ab 1.10.2016 eine neue Tätigkeit im "Contract Management" übernahm.

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