Verhandlung B 5 RE 5/20 R
Rentenversicherung - Zeiten nicht erwerbsmäßiger Pflege - Pflichtbeiträge - Beanstandung
Verhandlungstermin
16.06.2021 12:30 Uhr
Terminvorschau
H. P. ./. Deutsche Rentenversicherung Bund, 1 Beigeladene
Die Beteiligten streiten über die Berücksichtigung von Zeiten nicht erwerbsmäßiger Pflege im Versicherungsverlauf der Klägerin.
Der 1987 geborene Sohn der Klägerin ist seit der Geburt erheblich behindert. Die beigeladene Pflegekasse bewilligte ab 1995 für ihn Leistungen nach der Pflegestufe I. Die Klägerin beantragte im Jahr 1996 bei der Beigeladenen die Versicherung in der GRV für ihre Pflegetätigkeit. Die Beigeladene teilte der Klägerin mit, dass sie dem zuständigen Rentenversicherungsträger ab dem 1.4.1995 Zeiten der nicht erwerbsmäßigen Pflegetätigkeit gemeldet und entsprechende Beiträge abgeführt habe. Auch für die Folgezeit bescheinigte die Beigeladene der Klägerin fortlaufend die für ihre Pflegetätigkeit an den Rentenversicherungsträger abgeführten Beiträge. Sie zahlte für die Zeit vom 1.4.1995 bis zum 31.3.2006 Beiträge in Höhe von insgesamt 79 130,54 Euro an die Beklagte.
Aufgrund einer Nachfrage der Beklagten im Jahr 2011 veranlasste die Beigeladene eine Überprüfung und teilte anschließend mit, dass für die Klägerin von Beginn an keine Rentenversicherungspflicht bestanden habe, da die wöchentliche Pflegezeit nach allen Pflegegutachten stets unter 14 Stunden betragen habe. Die Beklagte stellte daraufhin die im Versicherungsverlauf der Klägerin bis Ende 2004 enthaltenen Daten verbindlich fest. Zeiten der Versicherungspflicht für nicht erwerbsmäßige Pflege waren in diesem Versicherungsverlauf nicht enthalten. Auf den Widerspruch der Klägerin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 6.9.2011 den Antrag der Klägerin "auf Zahlung von Rentenversicherungsbeiträgen als Pflegeperson für die Zeit vom 01.04.1995 - 31.03.2006" ab. Der dagegen erhobene Widerspruch blieb erfolglos.
Das SG hat den Bescheid geändert und die Beklagte zu der Feststellung verurteilt, dass die vom 1.4. bis zum 30.6.1995 sowie vom 1.9.1995 bis zum 31.3.2006 für die Pflege entrichteten Beiträge als zu Recht entrichtete Beiträge gelten. Im Übrigen - hinsichtlich der Monate Juli und August 1995 - hat es die Klage abgewiesen, weil für diese Monate keine Beiträge entrichtet worden seien. Das LSG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Nach § 26 Abs 1 Satz 3 SGB IV gälten nach Ablauf der vierjährigen Verjährungsfrist die von der Beigeladenen für die Klägerin entrichteten Beiträge als zu Recht entrichtet, auch wenn die materiellen Voraussetzungen für eine Versicherungspflicht nach § 3 Satz 1 Nr 1a SGB VI nicht vorgelegen hätten. Die Vorschrift erfasse alle Pflichtbeiträge zur GRV und sei auch für sonstige Versicherte nach § 3 SGB VI anwendbar. Die Voraussetzungen des § 26 Abs 1 Satz 3 SGB IV seien auch erfüllt.
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 26 Abs 1 Satz 3 SGB IV. Die Vorschrift sei nach den systematischen Zusammenhängen und ihrem Sinn und Zweck nur auf Pflichtbeiträge aus einem Beschäftigungsverhältnis anwendbar.
Vorinstanzen:
Sozialgericht Osnabrück - S 47 R 460/13, 17.08.2016
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen - L 9 R 560/16, 21.05.2019
Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 22/21.
Terminbericht
Der Senat hat die Revision der Beklagten zurückgewiesen. Das LSG hat zu Recht entschieden, dass im Versicherungsverlauf der Klägerin die noch streitbefangenen Zeiträume als Pflichtbeitragszeiten für eine nicht erwerbsmäßige Pflegetätigkeit festzustellen sind.
Ob die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für eine Rentenversicherungspflicht nach § 3 Abs 1 Satz 1 Nr 1a SGB VI (insbesondere eine Pflegetätigkeit von wenigstens 14 Stunden wöchentlich) in diesen Zeiträumen vorlagen oder - wofür viel spricht - nicht vorlagen, konnte offenbleiben. Die Beklagte ist zur Vormerkung der von der beigeladenen Pflegekasse für die Pflegetätigkeit tatsächlich entrichteten Beiträge im Versicherungsverlauf der Klägerin schon deshalb verpflichtet, weil diese Beiträge gemäß § 26 Abs 1 Satz 3 SGB IV als zu Recht entrichtet gelten. Die in § 26 Abs 1 Satz 3 SGB IV angeordnete Fiktion gilt nicht nur für zu Unrecht gezahlte Beiträge aufgrund einer abhängigen Beschäftigung, sondern auch für die von einer Pflegekasse zu Unrecht entrichteten Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung wegen nicht erwerbsmäßiger Pflege. Die Vorschrift schließt im Interesse der finanziellen Stabilität der Rentenversicherung nach Ablauf einer bestimmten Frist die Rückerstattung zu Unrecht vereinnahmter Beitragszahlungen aus. Gleichzeitig werden die Versicherten dadurch begünstigt, dass die zu ihren Gunsten geleisteten Beiträge unabhängig von der materiellen Rechtslage als zu Recht entrichtet gelten. Beide Zielrichtungen sind im Hinblick auf zu Unrecht gezahlte Beiträge für nicht erwerbsmäßige Pflegetätigkeiten ebenso bedeutsam wie bei abhängig Beschäftigten.
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