Verhandlung B 5 RE 7/19 R
Versicherungspflicht - Rentenversicherung - Verletztengeldbezug - Säumniszuschläge
Verhandlungstermin
16.06.2021 14:00 Uhr
Terminvorschau
Berufsgenossenschaft Verkehrswirtschaft Post-Logistik Tele- kommunikation (BG Verkehr) ./. Deutsche Rentenversicherung Bund, 1 Beigeladener
Die Beteiligten streiten darüber, ob für das von dem Beigeladenen bezogene Verletztengeld Beiträge zur GRV und in welchem Umfang Säumniszuschläge zu entrichten sind.
Der Beigeladene arbeitete bis September 2013 in einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung. Im Anschluss übte er eine selbstständige, nicht rentenversicherungspflichtige Tätigkeit aus, für die er bei der klagenden Berufsgenossenschaft als Unternehmer unfallversichert war. Er bezog in der Zeit vom 10. bis 21.7.2014 von der Klägerin Verletztengeld infolge eines Arbeitsunfalls, den er in Ausübung seiner selbstständigen Tätigkeit erlitten hatte.
Die Beklagte setzte nach einer Prüfung von Beitragszahlungen aus Entgeltersatzleistungen nach § 212a SGB VI gegen die Klägerin eine Gesamtforderung in Höhe von 3324,87 Euro fest, die sich aus Beitragsforderungen für Verletztengeld in Höhe von 2612,87 Euro (davon Beitrag für den Beigeladenen: 100,80 Euro) und Säumniszuschlägen in Höhe von 712 Euro (davon für den Beitrag für den Beigeladenen: 25 Euro) zusammensetzte (Bescheid vom 30.11.2016). Zur Berechnung der Säumniszuschläge für jeden angefangenen Monat der Säumnis addierte die Beklagte die nicht gezahlten Beiträge für alle Versicherten und rundete erst den sich daraus ergebenden rückständigen Betrag auf 50 Euro nach unten ab.
Das SG hat die gegen die Beitragsnachforderung für den Beigeladenen und die Berechnungsweise der Säumniszuschlage gerichtete Klage abgewiesen. Das LSG hat das Urteil des SG geändert und den Bescheid der Beklagten hinsichtlich der Nachforderung des Beitrags für das Verletztengeld des Beigeladenen und der hierauf entfallenden Säumniszuschläge aufgehoben. Der Beigeladene sei während des Verletztengeldbezugs nicht gemäß § 3 Satz 1 Nr 3 SGB VI versicherungspflichtig gewesen. Er habe sich durch die Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit von der Rentenversicherung entfernt. Ähnlich wie nach der Entscheidung des BSG vom 15.12.2016 (B 5 RE 2/16 R) werde der Bezug von Verletztengeld hier nicht von der Versicherungspflicht erfasst, weil die Entgeltersatzleistung nicht an die Stelle sonst rentenversicherungsrechtlich relevanter Einnahmen getreten sei. Soweit die Klägerin die Berechnung der Säumniszuschläge anhand jedes einzelnen Versicherten gefordert hat, hat das LSG die Berufung zurückgewiesen. Die Berechnung der Beklagten unter Zugrundelegung der Gesamtforderung sei von § 24 Abs 1 SGB IV gedeckt.
Die Klägerin rügt mit ihrer Revision die Verletzung des § 86 SGB X iVm § 24 Abs 1 SGB IV. Die von der Beklagten gewählte Berechnung der Säumniszuschläge anhand der monatlich geschuldeten Gesamtsumme widerspreche dem Gebot der fairen und vertrauensvollen Zusammenarbeit der Sozialversicherungsträger. Sie benötige eine Einzelfallberechnung, weil sie auch die Säumniszuschläge auf die jeweiligen Einzelfälle umbuchen müsse.
Die Beklagte rügt mit ihrer Revision eine Verletzung des § 3 Satz 1 Nr 3 SGB VI. Die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Vorschrift seien immer dann erfüllt, wenn Empfänger von Lohnersatzleistungen zuletzt nicht von einem speziellen Alterssicherungssystem erfasst worden seien.
Vorinstanzen:
Sozialgericht Hamburg - S 36 U 330/16, 11.01.2018
Landessozialgericht Hamburg - L 3 R 38/18, 30.07.2019
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Terminbericht
Die Revision der Beklagten war erfolgreich. Das Urteil des LSG wurde dahingehend geändert, dass die Berufung der Klägerin auch hinsichtlich der Beitragsnachforderung zurückgewiesen wurde. Die Revision der Klägerin wurde zurückgewiesen.
Die Beklagte hat zu Recht Beiträge für das dem Beigeladenen gezahlte Verletztengeld festgesetzt. Der Beigeladene war gemäß § 3 Satz 1 Nr 3 SGB VI "im letzten Jahr vor Beginn der Leistung zuletzt versicherungspflichtig". Nicht erforderlich ist, dass er unmittelbar vor dem Bezug des Verletztengeldes rentenversicherungspflichtig war. Nach der Begründung des Gesetzentwurfs, mit dem die Vorschrift des § 3 Satz 1 Nr 3 SGB VI eingeführt wurde, sollten nur diejenigen nicht erfasst werden, die zuletzt in einem speziellen Sicherungssystem, zB der Beamtenversorgung oder einer berufsständischen Versorgungseinrichtung, abgesichert waren. Es ist nicht ersichtlich, dass Personen wie der Beigeladene, die als selbstständig Tätige zuletzt überhaupt keinem Sicherungssystem angehörten, ausgeschlossen sein sollten. Der Gesetzgeber ist vielmehr von der besonderen Schutzbedürftigkeit aller Bezieher von Entgeltersatzleistungen ausgegangen, soweit sie nicht zuletzt vor dem Bezug der Leistung einem speziellen Sicherungssystem angehörten. Den innerhalb der Rahmenfrist - "im letzten Jahr vor Beginn der Leistung" - zuletzt gesetzlich Versicherten wird das Risiko abgenommen, während des Bezuges der Entgeltersatzleistung selbst für eine Alterssicherung sorgen zu müssen. Soweit das BSG entschieden hat, dass Strafgefangene während des Verletztengeldbezuges nicht der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung unterliegen, war dies den sozialversicherungsrechtlichen Besonderheiten von Tätigkeiten im Strafvollzug geschuldet.
Keinen Erfolg hatte die Revision der Klägerin. Das BSG hat bereits entschieden, dass rückständige Beiträge nach § 24 Abs 1 Satz 1 SGB IV vor der Abrundung zu addieren sind. Das gilt nicht nur, wenn es sich um Beiträge für einen einzelnen Versicherten handelt, sondern auch dann, wenn Säumniszuschläge aufgrund rückständiger Beiträge für verschiedene Versicherte erhoben werden. Neben dem Wortlaut sprechen auch hier der Sinn und Zweck der Säumniszuschläge ‑ die Ausübung von Druck auf den Schuldner einerseits und der standardisierte Mindestschadensausgleich für den Beitragsgläubiger andererseits ‑ für die Abrundung erst nach Addition der im jeweiligen Monat rückständigen Beiträge.
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