Bundessozialgericht

Verhandlung B 7 AY 3/20 R

Asylbewerberleistungsrecht - Analogleistungen - deutsches Kind - Hilfebedürftigkeit

Verhandlungstermin 24.06.2021 13:00 Uhr

Terminvorschau

M. ./.  Landeshauptstadt Dresden
Die Klägerin ist serbische Staatsangehörige. Sie bezog nach Einreise in das Bundesgebiet von der Beklagten ab November 2004 Grundleistungen nach § 3 AsylbLG. Ihr Asylantrag wurde 2005 bestandskräftig abgelehnt. Im September 2006 brachte die Klägerin ihren Sohn zur Welt, der nach seinem Vater die deutsche Staatsbürgerschaft inne hat. Seit Juni 2007 verfügt die Klägerin über eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 5 AufenthG und übte eine geringfügige Beschäftigung als Reinigungskraft auf. Ab November 2008 bewilligte die Beklagte sog Analogleistungen. Widersprüche und Klagen gegen die Ablehnung von Analogleistungen bereits für die Monate Januar bis März sowie Oktober und November 2007 blieben ohne Erfolg. Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, das Erfordernis einer Vorbezugsdauer von 36 bzw 48 Monaten in § 2 AsylbLG in der damals geltenden Fassung könne für die Gruppe der Ausländer, die eine Aufenthaltserlaubnis erhalten hätten, weil sie (dauerhaft) ein deutsches Kind aufziehen, nicht gelten. Ihr Aufenthalt stelle sich nicht typisierend als kurzfristig dar, sondern sei von der Geburt an verfestigt, sodass ihr existenznotwendiger Bedarf nach der Rechtsprechung des BVerfG nicht abweichend vom Bedarf von Hilfebedürftigen mit dauerhaftem Aufenthaltsrecht bestimmt werden dürfe. Die Klägerin habe dennoch keinen Anspruch auf eine Nachzahlung, weil sie nicht ununterbrochen hilfebedürftig gewesen sei und dementsprechend keinen Anspruch auf Leistungen für rückwärtige Zeiträume habe.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Revision.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Dresden - S 54 AY 18/12, 25.02.2014
Sächsisches Landessozialgericht - L 8 AY 4/14, 07.05.2020 

Die Vorschau zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 25/21.

Terminbericht

Der Senat hat das Urteil des LSG aufgehoben und die Sache zurückverwiesen. Die Klägerin hat zwar für die streitgegenständlichen Zeiträume keinen Anspruch auf Analogleistungen nach § 2 AsylbLG, weil sie die damals noch vorausgesetzten Vorbezugszeiten von 36 bzw 48 Monaten erst zum November 2008 erfüllt hat. Der vom Berufungsgericht vorgenommenen Auslegung des § 2 Abs 1 AsylbLG aF, wonach bei Ausübung des Sorgerechts im Inland für Kinder mit deutscher Staatsangehörigkeit vom Erfordernis einer Vorbezugszeit abzusehen sei, vermag der Senat nicht zu folgen. Zwar hat das BVerfG in der Entscheidung vom 18.7.2012 aufgezeigt, dass die damalige Vorbezugszeit aus den vom LSG dargestellten Gründen erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnete. Es hat jedoch einerseits gerade vor dem Hintergrund des dem Gesetzgeber zustehenden Gestaltungsspielraums lediglich im Hinblick auf die unzureichende Höhe der Grundleistungen von seiner Verwerfungskompetenz Gebrauch gemacht, hingegen nicht zur Zahlung von Analogleistungen verpflichtet; andererseits hat es für Zeiträume vor dem 1.1.2011 die gesetzliche Konstruktion, die inzwischen vollständig durch den Gesetzgeber reformiert wurde, für hinnehmbar erklärt. Für eine Auslegung gegen den Wortlaut des § 2 Abs 1 AsylbLG aF ist damit wegen Bezugszeiten vor dem 1.1.2011 kein Raum.

Der Senat kann wegen der fehlenden Feststellungen zur Höhe erzielten Einkommens jedoch nicht beurteilen, ob die Klägerin Anspruch auf höhere Grundleistungen nach § 3 AsylbLG hat. Bei dieser von ihm nachzuholenden Prüfung wird das LSG zu beachten haben, dass entgegen seiner Auffassung die Bewilligung nachträglich höherer Leistungen nicht vom Nachweis ununterbrochen bestehender Bedürftigkeit während des Gerichtsverfahrens abhängt. In der Rechtsprechung von BVerwG und BSG ist seit jeher anerkannt, dass die erst im Rechtsbehelfsverfahren erstrittene Sozialhilfe auch für die Vergangenheit zu bewilligen ist (vgl Art 19 Abs 4 GG). Dies gilt erst recht, wenn das Gerichtsverfahren - wie hier - in der ersten Instanz mehr als sechs Jahre und das Berufungsverfahren ebenso lange gedauert hat.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 25/21.

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