Bundessozialgericht

Verhandlung B 7 AY 4/20 R

Asylbewerberleistungsrecht - Analogleistungen - Kirchenasyl - Aufenthaltsdauer 

Verhandlungstermin 24.06.2021 10:45 Uhr

Terminvorschau

K. ./. Stadt Bayreuth
Die Klägerin ist äthiopische Staatsangehörige und reiste im Sommer 2016 über Italien nach Deutschland ein. Ihr Asylantrag wurde im sog Dublin-III-Verfahren als unzulässig abgelehnt. Um nicht innerhalb der Überstellungsfrist nach Italien abgeschoben zu werden, begab sich die Klägerin in der Zeit vom 26.2.2017 bis zum 22.9.2017 in die Räumlichkeiten einer Kirchengemeinde; von Beginn und Ende des Aufenthalts machte der Pfarrer der Ausländerbehörde Mitteilung (sog offenes Kirchenasyl). Nach Ablauf der Überstellungfrist ist das Asylverfahren in Deutschland fortgesetzt worden. Der Antrag der Klägerin, ihr nach 15 Monaten Aufenthalt in Deutschland höhere Leistungen nach dem AsylbLG (sog Analogleistungen in entsprechender Anwendung des SGB XII) zu gewähren, ist ohne Erfolg geblieben. Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, dass die Klägerin durch die Inanspruchnahme von Kirchenasyl die Dauer ihres Aufenthalts rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst habe.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Revision.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Bayreuth - S 4 AY 61/18, 07.11.2018
Bayerisches Landessozialgericht - L 19 AY 38/18, 28.05.2020

Die Vorschau zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 25/21.

Terminbericht

Der Senat, der nach Abschluss eines sog Überprüfungsvergleichs nur noch über Ansprüche der Klägerin im Juni 2018 zu entscheiden hatte, hat das Urteil des LSG und den Gerichtsbescheid des SG aufgehoben und den Beklagten zur Gewährung höherer Leistungen verurteilt. Die Klägerin, die im Juni 2018 länger als 15 Monate ununterbrochen in Deutschland lebte, hat einen Anspruch auf Analogleistungen nach § 2 Abs 1 AsylbLG. Ihr Aufenthalt im sog offenen Kirchenasyl im Jahr zuvor stellt sich nicht als rechtsmissbräuchliche Verlängerung der Aufenthaltsdauer dar. Der Senat hält an seiner Rechtsprechung fest, wonach rechtsmissbräuchlich im Sinne der Norm ein Verhalten nur ist, wenn es unter jeweiliger Berücksichtigung des Einzelfalls, der besonderen Situation eines Ausländers in der Bundesrepublik Deutschland und der besonderen Eigenheiten des AsylbLG unentschuldbar im Sinne von Sozialwidrigkeit ist. Nach umfassender Umgestaltung des AsylbLG im Übrigen ist nicht erkennbar geworden, dass der Gesetzgeber seit 2015 eine andere, restriktivere Auslegung normativ vorgeben wollte, wie es das LSG meint. Nach der Rechtsprechung des Senates genügt es für die Annahme eines Rechtsmissbrauchs nicht, wenn ein Ausländer, der Inhaber einer Duldung ist, trotz Ausreisepflicht sowie bei Möglichkeit und Zumutbarkeit der Ausreise im Inland verbleibt. Nicht anders stellt sich der faktische Verzicht des Staats auf die Durchsetzung der Ausreisepflicht beim offenen Kirchenasyl dar; denn weder das Verhalten der Kirche noch der Klägerin hat die Umsetzung der Ausreiseverpflichtung rechtlich oder tatsächlich unmöglich gemacht.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 25/21.

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