Bundessozialgericht

Verhandlung B 2 U 2/20 R

Unfallversicherung - Wegeunfall - Betriebsstätte - dritter Ort

Verhandlungstermin 10.08.2021 11:00 Uhr

Terminvorschau

S. ./. Berufsgenossenschaft Holz und Metall
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin und ihr verstorbener Ehemann am 19.08.2013 versicherte Wegeunfälle erlitten haben und ihr Heilbehandlungskosten und Hinterbliebenenleistungen zustehen.

Die Eheleute waren in einem Autohaus in Berlin-X beruflich tätig, dessen Inhaber der Ehemann war. Nach einer Urlaubsabwesenheit in Thüringen fuhren sie mit ihrem Motorrad am 19.08.2013 nach Berlin zurück, um ihre Tochter wegen deren Zahnarzttermins im Autohaus abzulösen. Auf dem Weg erlitten sie in Berlin-Y einen Unfall, bei dem sich die Klägerin erhebliche Verletzungen zuzog und der Ehemann verstarb. Die Beklagte lehnte die Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall gegenüber der Klägerin ebenso ab wie Hinterbliebenenleistungen aufgrund des tödlichen Unfalls ihres Ehemanns, weil sich beide nicht auf einem versicherten Weg befunden hätten. Die hiergegen gerichteten Klagen blieben vor dem SG erfolglos. Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen. Zum Unfallzeitpunkt hätten sich die Eheleute weder auf einem Betriebsweg noch auf einem durch die Wegeunfallversicherung geschützten Weg befunden. Der Weg sei rechtlich wesentlich davon geprägt gewesen, einen eigenwirtschaftlichen Besuch am dritten Ort abzuschließen.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 8 Abs 2 Nr 1 und des § 63 Abs 1 Satz 1 Nr 1 und 3 SGB VII. Sie und ihr Ehemann hätten die Handlungstendenz gehabt, die Betriebsstätte zu erreichen, um dort ihre versicherten Tätigkeiten aufzunehmen. Dies werde objektiv dadurch bestätigt, dass die Tochter im Betrieb habe abgelöst werden müssen und die Eheleute die Autobahn A 10 (Berliner Ring) am Abzweig zur A 113 verlassen und sich damit nicht mehr auf dem Weg zu ihrer privaten Wohnung in Berlin-Z befunden hätten.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Berlin - S 25 U 16/15, 23.02.2017
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg - L 21 U 70/17, 17.10.2019

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 32/21.

Terminbericht

Die Revision der Klägerin war im Sinne der Aufhebung des Berufungsurteils und der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet. Die festgestellten Tatsachen reichen nicht für eine abschließende Entscheidung darüber aus, ob die Klägerin und ihr verstorbener Ehemann auf dem Weg von Thüringen nach Berlin versicherte Wegeunfälle erlitten haben und der Klägerin deshalb Heilbehandlungskosten und Hinterbliebenenleistungen zustehen.

Das LSG stützt sein ablehnendes Urteil tragend darauf, der Weg der Eheleute vom dritten Ort in Thüringen sei unangemessen länger als der "übliche" Weg von ihrer Berliner Wohnung zum Ort der beruflichen Tätigkeit in einem anderen Stadtteil Berlins und wesentlich davon geprägt gewesen, den eigenwirtschaftlichen Besuch am dritten Ort abzuschließen. Diese Argumentation beruht auf der früheren Rechtsprechung des BSG, wonach der Weg von oder nach dem dritten Ort unter Berücksichtigung aller Umstände in einem angemessenen Verhältnis zu dem Weg stehen musste, den der Versicherte "üblicherweise" zwischen seiner Wohnung und dem Ort der Tätigkeit zurücklegte. Diese Rechtsprechung hat der Senat zwischenzeitlich aufgegeben. Seitdem steht das objektive Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem dritten Ort bei einer entsprechenden subjektiven Handlungstendenz unter dem Schutz der Wegeunfallversicherung, ohne dass es auf einen wertenden Angemessenheitsvergleich mit der üblichen Wegstrecke, den Zweck des Aufenthalts am dritten Ort, die Beschaffenheit der Wege, das benutzte Verkehrsmittel, den Zeitaufwand, das Unfallrisiko oder weitere Kriterien ankommt. Deshalb könnten sich die Eheleute zum Zeitpunkt des Unfalls auf einem versicherten Weg befunden und unter Unfallversicherungsschutz gestanden haben.

Das LSG hat - nach seiner Rechtsauffassung konsequent - nicht festgestellt, ob die Klägerin als Beschäftigte, (Mit-)Unternehmerin oder mitarbeitende Ehegattin kraft Gesetzes oder freiwillig versichert war, ob ihr Ehemann als Unternehmer ggf freiwillig versichert war, ob sich die Eheleute zum Unfallzeitpunkt objektiv auf der unmittelbaren Wegstrecke zum Autohaus befanden und ob sie beide diesen Weg mit der subjektiven Handlungstendenz zurücklegten, dort ihre berufliche Tätigkeiten aufzunehmen. Diese Feststellungen werden nachzuholen sein.

Die Berichte zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 32/21.

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