Bundessozialgericht

Verhandlung B 2 U 15/20 R

Unfallversicherung - landwirtschaftlicher Unternehmer - eingetragener Verein - Gemeinnützigkeit - Jagd - Naturschutz

Verhandlungstermin 10.08.2021 10:00 Uhr

Terminvorschau

M. e.V. ./.  Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG)
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger Mitglied der Beklagten ist und Beiträge für die Umlagejahre 2011, 2012 und 2015 sowie einen Beitragsvorschuss für das Jahr 2016 zahlen muss.

Der Kläger ist ein eingetragener, gemeinnütziger Verein. Er sieht seine Aufgaben ua darin, durch die Pflege und Förderung aller Zweige des Jagdwesens Natur- und Kulturlandschaften sowie alle in diesen Räumen lebenden Tier- und Pflanzenarten zu schützen und zu erhalten, Bestände von Tierarten zu regulieren und die natürlichen Ressourcen durch Hege und Bejagung nicht bedrohter Tierarten nachhaltig zu nutzen. Er vertritt die Interessen seiner Mitglieder und unterstützt ihre Aus- und Weiterbildung auf allen Gebieten der Jagd und des Naturschutzes. Die Sächsische Landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft (LBG) nahm ihn ab dem 01.04.1993 in ihr Unternehmerverzeichnis auf. Als deren Rechtsnachfolgerinnen setzten die LBG Mittel- und Ostdeutschland die Beiträge für 2011 auf 43,36 Euro und die Beklagte für 2012 auf 50,02 Euro fest.

Die Anträge des Klägers, die Beitragsbescheide sowie den Bescheid über die Aufnahme in das Unternehmerverzeichnis zurückzunehmen, lehnte die Beklagte ab und setzte den Beitrag für 2015 auf 84,65 Euro sowie den Beitragsvorschuss für 2016 auf 67,72 Euro fest. Das SG hat die Klagen abgewiesen. Auf die Berufung hat das LSG den Bescheid über den Beitrag für 2015 und den Beitragsvorschuss für 2016 sowie sämtliche Ablehnungsbescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den Aufnahmebescheid sowie die Beitragsbescheide zurückzunehmen. Die Aufnahme des Klägers in das Unternehmerverzeichnis sei von Anfang unrichtig und daher zurückzunehmen, weil er kein Unternehmen betreibe und deshalb auch kein Unternehmer sei, der Mitglied eines Unfallversicherungsträgers sein könne. Damit entfalle zugleich die Grundlage aller Beitragsbescheide.

Mit der Revision rügt die Beklagte die Verletzung materiellen Rechts. Der Kläger sei ihr Mitglied, weil er ein "Unternehmen zum Schutz und zur Förderung der Landwirtschaft" betreibe und deshalb landwirtschaftlicher Unternehmer sei. Daher habe ihn die Sächsische LBG zu Recht in ihr Unternehmerverzeichnis aufgenommen, und die Beitragsbescheide seien nicht zu beanstanden.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Leipzig - S 23 U 207/16, 26.01.2018
Sächsisches Landessozialgericht - L 6 U 63/18, 05.02.2020

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 32/21.

Terminbericht

Die Revision der Beklagten war begründet. Zu Unrecht hat das LSG den Bescheid über den Beitrag für 2015 und den Beitragsvorschuss für 2016 sowie sämtliche Ablehnungsbescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den Aufnahmebescheid sowie die Beitragsbescheide für 2011 und 2012 zurückzunehmen. Dem Anspruch auf Rücknahme des Aufnahmebescheids steht entgegen, dass die Sächsische LBG spätestens mit Inkrafttreten des § 136 Abs 1 Satz 1 SGB VII zum 01.01.1997 verpflichtet war, den Beginn ihrer Zuständigkeit für das landwirtschaftliche Unternehmen des Klägers festzustellen. Die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Vorschrift sind seit dem 01.01.1997 durchgehend erfüllt. Der unfallversicherungsrechtliche Begriff des Unternehmens im Sinne der §§ 123 Abs 1, 121 Abs 1 SGB VII umfasst jede "Tätigkeit" im Sinne einer willentlichen, zielgerichteten Aktivität. Er knüpft nicht an eine bestimmte Rechtsform oder das Vorliegen einer organisatorischen Einheit an und setzt weder einen Geschäftsbetrieb noch ein Tätigwerden voraus, das auf Erwerb oder Gewinnerzielung gerichtet ist. Indem der Kläger als gemeinnütziger Jagdverband aktiv war, dessen Ergebnis ihm unmittelbar zum Vor- oder Nachteil gereichte (§ 136 Abs 3 Nr 1 SGB VII aF), betrieb er als Unternehmer ein landwirtschaftliches Unternehmen, das unmittelbar der Sicherung, Überwachung oder Förderung der Landwirtschaft überwiegend diente (§ 123 Abs 1 Nr 7 SGB VII). Denn der Begriff der "Landwirtschaft" im Sinne des § 123 Abs 1 Nr 7 SGB VII ist weit zu verstehen und erfasst auch Jagden, die gemäß § 123 Abs 1 Nr 5 SGB VII landwirtschaftliche Unternehmen sind. Diese förderte der klagende Jagdverband "überwiegend" und - zB durch Aus- und Weiterbildung seiner Mitglieder - auch "unmittelbar". War die Sächsische LBG damit verpflichtet, mit Wirkung zum 01.01.1997 einen Zuständigkeitsbescheid zu erlassen, kann der Kläger nicht verlangen, den weitgehend inhaltsgleichen Aufnahmebescheid zurückzunehmen. Für Zeiten vor dem 01.01.1997 besteht ebenfalls kein Beseitigungsanspruch, weil die Rücknahme des Aufnahmebescheids für den Kläger keine günstigen Auswirkungen mehr haben kann.

Steht die Eigenschaft des Klägers als landwirtschaftlicher Unternehmer und Beitragsschuldner damit fest, so waren die Rechtsnachfolgerinnen der Sächsischen LBG die zuständigen Beitragsgläubigerinnen, die die zu zahlenden Beiträge für die Umlagejahre 2011 und 2012 satzungsgemäß in Höhe von 43,36 Euro (= 40,00 Euro Grundbeitrag + 3,36 Euro Risikobeitrag) und in Höhe von 50,02 (= 40,00 Euro Grundbeitrag + 10,02 Euro Risikobeitrag) festgesetzt und gefordert haben. Gleiches gilt für die Festsetzung des Beitrags für das Umlagejahr 2015 und das entsprechende Zahlungsgebot, wobei etwaige Anhörungsfehler (§ 24 Abs 1 SGB X) während des Widerspruchsverfahrens durch das Aufklärungsschreiben vom 22.09.2016 wirksam nachgeholt und damit "unbeachtlich" (§ 41 Abs 1 Nr 3, Abs 2 SGB X) geworden sind. Über die Festsetzung des Beitragsvorschusses für das Umlagejahr 2016 und das entsprechende Zahlungsgebot war nicht mehr zu entscheiden.

Die Berichte zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 32/21.

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