Bundessozialgericht

Verhandlung B 3 KR 8/20 R

Krankenversicherung - Hörgeräteversorgung - Vergütung - Versorgungsanzeige

Verhandlungstermin 12.08.2021 11:00 Uhr

Terminvorschau

K. GmbH ./. DAK-Gesundheit
Streitig ist die Vergütung einer Hörgeräteversorgung.

Die Klägerin - ein nach § 126 SGB V zur Versorgung zugelassener Mitgliedsbetrieb der Bundesinnung der Hörgeräteakustiker in Nordrhein-Westfalen - gab im März 2014 einer 1924 geborenen Versicherten der beklagten Ersatzkasse (im Folgenden: Versicherte) ärztlich verordnete Hörhilfen ab. Die Beklagte zahlte zunächst den dafür in Rechnung gestellten Betrag, lehnte die Vergütung nach Prüfung aber ab und verrechnete den deshalb geltend gemachten Erstattungsanspruch mit einer Forderung der Klägerin für eine anderweitige Hörgeräteversorgung. Die Klägerin habe die streitbefangene Versorgung entgegen dem "Vertrag zur Komplettversorgung mit Hörsystemen" vom 1.11.2013 zwischen dem Verband der Ersatzkassen und der Bundesinnung der Hörgeräteakustiker (im Folgenden: bihaV) - anders als von ihr vorgebracht - nicht vor der Hörgeräteanpassung angezeigt und daher keinen Vergütungsanspruch erworben.

Das SG hat die Beklagte zur Zahlung verurteilt (Urteil vom 15.5.2018). Die Berufung hiergegen hat das LSG zurückgewiesen: Zwar lasse sich nicht nachweisen, dass die Beklagte vor der streitbefangenen Hörgeräteversorgung eine Versorgungsanzeige der Klägerin nach dem bihaV erhalten habe. Jedoch sei deren rechtzeitiger Zugang für - wie hier - nicht berufstätige Versicherte dem Vertrag zufolge nicht Vergütungsvoraussetzung. Im Unterschied zur Versorgung berufstätiger Versicherter verlange der bihaV für nicht berufstätige Versicherte keinen Kostenvoranschlag vor Versorgungsbeginn. Auf eine Versorgungsanzeige prüfe die Beklagte nur, ob die Versicherten Mitglied seien und keine vorzeitige Wiederversorgung vorliege. Auf die Prüfung von Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit der Versorgung vor deren Beginn ziele die Versorgungsanzeige danach nicht (Urteil vom 27.6.2019).

Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung von § 127 Abs 1 SGB V iVm § 6 Abs 1 sowie Anlage 1 § 7 Abs 1 Satz 2 bihaV. Vergütungsansprüche entstünden danach nur nach einer Versorgungsanzeige. Diese diene hauptsächlich der Prüfung, ob die Versicherten Mitglieder seien und ob bei einer Folgeversorgung die sechsjährige Regelgebrauchszeit abgelaufen sei.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Düsseldorf - S 11 KR 1045/14, 15.05.2018
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - L 16 KR 541/18, 27.06.2019

Die Vorschau zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 31/21.

Terminbericht

Die Revision war erfolglos. Zutreffend haben die Vorinstanzen entschieden, dass die Klägerin trotz des nicht aufklärbaren Zugangs der Versorgungsanzeige Anspruch auf Vergütung der streitbefangenen Hörgeräteversorgung hat.

Rechtsgrundlage des Vergütungsanspruchs ist § 126 Abs 1 Satz 1 SGB V (idF des GKV-WSG vom 26.3.2007, BGBl I 378) in Verbindung mit § 127 Abs 2 SGB V (idF des GKV-OrgWG vom 15.12.2008, BGBl I 2426) sowie dem hierauf gestützten "Vertrag zur Komplettversorgung mit Hörsystemen" zwischen dem Verband der Ersatzkassen und der Bundesinnung der Hörgeräteakustiker vom 1.11.2013 (bihaV). Demgemäß haben deren Mitgliedsbetriebe Anspruch auf die dort bestimmte Vergütung, sobald sie Ersatzkassenversicherte in der rahmenvertraglich geregelten Weise mit Hörgeräten versorgt haben. Danach besteht bei einer ansonsten ordnungsgemäßen Versorgung Anspruch auf deren Vergütung auch dann, wenn der Hörgeräteakustiker die Abgabe der vertraglich vorgesehenen Versorgungsanzeige vor der Anpassung im Einzelfall versäumt hat. Das kann der Senat dem als Normsetzungsvertrag zu qualifizierenden, nämlich auf die Bindung der am Vertragsschluss nicht beteiligten Mitglieder der Bundesinnung der Hörgeräteakustiker zielenden bihaV angesichts dessen für die Hörgeräteversorgung aller Ersatzkassen bundesweit einheitlicher Geltung durch Vertragsauslegung selbst entnehmen (§ 162 SGG).

Demgemäß ist die Einbindung der Ersatzkassen in den Prozess der Hörgeräteabgabe ausdrückliche Abrechnungsvoraussetzung nur in Fällen, für die sich die Ersatzkassen die Genehmigung der Hörgeräteversorgung vor der Abgabe vorbehalten haben. Nur dafür ist explizit bestimmt, dass die Versorgung nur abgerechnet werden kann, wenn ua "das zur Versorgung geeignete Hörgerät genehmigt" wurde (vgl § 9 Abs 3 Satz 2 lit d bihaV, Anlage 1 § 7 Abs 3 Satz 4). Vergleichbares ist für Versorgungsanzeigen weder ausdrücklich geregelt noch gibt der Vertrag sonst Hinweise darauf, dass deren Eingang ebenso Abrechnungsvoraussetzung ist wie der Kostenvoranschlag des Hörgeräteakustikers in den Genehmigungsfällen. Dagegen spricht im Gegenteil, dass der bihaV insoweit - wie der Rechtsstreit anschaulich macht - weder Eingangsbestätigungen für Versorgungsanzeigen noch sonst Regelungen vorsieht, die im Streitfall deren nachträgliche Abgabe erlauben.

Das ist nicht deshalb entbehrlich, weil Leistungserbringer im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung Vergütungsansprüche nur erlangen, wenn sämtliche Abgabevoraussetzungen erfüllt sind; daran wird ausdrücklich festgehalten (stRspr; vgl nur BSG vom 20.4.2016 - B 3 KR 23/15 R - SozR 4-2500 § 124 Nr 4 RdNr 32 mwN). Im Sinne dieser Rechtsprechung kann auch der mit der Versorgungsanzeige verfolgte Zweck nicht allein mit dem Begriff der bloßen Ordnungsfunktion erfasst werden (vgl dazu nur BSG vom 24.1.2008 - B 3 KR 17/07 R - SozR 4-2500 § 109 Nr 7 RdNr 29 mwN). Denn den Vertragspartnern ist es - gerade auch im Interesse der Hörgeräteakustiker selbst - nicht verwehrt, auf die Vermeidung von Versorgungen hinzuwirken, die sich im Nachhinein wegen Unzuständigkeit der in Anspruch genommenen Ersatzkasse oder wegen einer noch nicht abgelaufenen Wiederversorgungsfrist als nicht vergütungsfähig erweisen.

Mindestens in dem durch den bihaV vorgegebenen Rahmen rechtfertigt ein Verstoß gegen die Pflicht zur Abgabe einer Versorgungsanzeige dennoch nicht den Wegfall des Vergütungs-anspruchs für eine Hörgeräteversorgung, die ansonsten vollständig im Einklang mit seinen Anforderungen steht. Anders als bei genehmigungsbedürftigen Versorgungen (vgl zu diesen nur BSG vom 10.4.2008 - B 3 KR 8/07 R - SozR 4-2500 § 127 Nr 2 RdNr 24; letztens BSG vom 13.8.2020 - B 3 KR 9/20 B - juris RdNr 9) wird mit einem solchen Fehler das Entscheidungsmonopol der Ersatzkassen für die im Verhältnis zu den Versicherten zu erbringende Sachleistung nicht unterlaufen. Soweit die Versorgungsanzeige "hauptsächlich der leistungsrechtlichen Prüfung der Ersatzkasse" dienen soll (Anlage 1 § 6 Abs 1 bihaV), beschränkt sich das schon dem Gegenstand nach auf die Frage der Mitgliedschaft - und nur bei Abgabe der Versorgungsanzeige - und - sofern der Ersatzkasse dazu Unterlagen vorliegen - der Wiederversorgungsfrist. Auch darin gewährleistet das Anzeigeverfahren hier indes keine sichere Steuerung des einzelnen Abgabevorgangs, weil dem bihaV nicht zu entnehmen ist, bis wann die Ersatzkasse die vorgelagerte Prüfung auf die Voranzeige abgeschlossen und bei einem Abgabehindernis eine entsprechende "Rückmeldung" (vgl Anhang 2 bihaV) gegeben haben muss, und ab wann der Hörgeräteakustiker bei deren Ausbleiben demzufolge im berechtigten Vertrauen auf die Vergütungsfähigkeit mit der angezeigten Versorgung fortfahren kann. Mindestens damit begründet das Versorgungsanzeigeerfordernis des bihaV keinen präventiven Kontrollmechanismus, dessen Verletzung im Einzelfall den vollständigen Wegfall des ansonsten erworbenen Vergütungsanspruchs rechtfertigen könnte (anders dagegen die vom 24.1.2013 - B 3 KR 5/12 R - BSGE 113, 40 = SozR 4-3250 § 14 Nr 19, RdNr 19 zugrunde liegende Vertragsgestaltung).

Soweit aus Sicht der Ersatzkasse Anlass zur Reaktion auf die Verletzung der Pflicht zur Abgabe einer Versorgungsanzeige besteht, ist danach jedenfalls nach der Vertragsgestaltung hier in Anlehnung an die Regelungen zur Vermeidung von Nullretaxationen aufgrund rein formaler Fehler in den §§ 125 und 129 SGB V (vgl Art 1 Nr 57 lit a) sowie Nr 58 lit a) GKV-Versorgungsstärkungsgesetz <GKV-VSG> vom 16.7.2015, BGBl I 1211 und die Erwägungen dazu in BT-Drucks 18/4095 S 117 f) Raum nur auf Grundlage der Vertragsstrafenregelung in § 13 bihaV, wofür es nach der bindenden Feststellung des LSG allerdings an der dafür erforderlichen Ermessensbetätigung fehlt (vgl § 13 Abs 4 Satz 1 bihaV).

Die Berichte zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 31/21.

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