Bundessozialgericht

Verhandlung B 1 KR 18/20 R

Krankenversicherung - Krankenhausvergütung - transvaskuläre Aortenklappen-Implantation

Verhandlungstermin 16.08.2021 11:45 Uhr

Terminvorschau

H. Kliniken GmbH ./. AOK - Die Gesundheitskasse in Hessen
Die Klägerin ist Trägerin eines Krankenhauses, das im Jahr 2013 ua mit Fachabteilungen für Innere Medizin und Chirurgie, nicht aber für Herzchirurgie in den Krankenhausplan des Landes Hessen aufgenommen war. In diesem Krankenhaus behandelte sie eine Versicherte der beklagten Krankenkasse im Jahr 2013 vollstationär. Sie führte bei dieser aufgrund einer Aortenklappen-Stenose eine transvaskuläre Aortenklappen-Implantation (TAVI) durch. Dabei wird eine biologische Herzklappenprothese über einen kleinen Zugang mittels eines Katheters implantiert. An der Behandlung wirkten auf der Grundlage eines Dienstleistungsvertrages zwei Ärztinnen (Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie) der Universitätsklinik Mainz mit. Die Klägerin stellte der Beklagten für die Behandlung 33 662,39 Euro auf der Grundlage der DRG F98Z in Rechnung. Die Beklagte lehnte die Vergütung ab, weil die Behandlung nicht vom Versorgungsauftrag der Klinik gedeckt sei. Das SG hat die auf Zahlung des Rechnungsbetrages nebst Zinsen gerichtete Klage abgewiesen. Das LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Ungeachtet der Frage, ob die TAVI vom Versorgungsauftrag der Klinik der Klägerin umfasst gewesen sei, habe jedenfalls deren Durchführung in einem Krankenhaus ohne Fachabteilung für Herzchirurgie im Behandlungsjahr 2013 nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprochen. Die TAVI sei 2013 noch ein junges, durch randomisierte Studien nur wenig wissenschaftlich erforschtes und nur für bestimmte Indikationen anerkanntes Verfahren gewesen, welches nach ganz überwiegender Expertenmeinung nur unter bestimmten äußeren Bedingungen, insbesondere in einem Krankenhaus mit jeweils einer Fachabteilung für Kardiologie und Herzchirurgie angewandt werden sollte. Die Klägerin könne den Vergütungsanspruch auch nicht auf die vom Gemeinsamen Bundesausschuss erst Anfang 2015 geschaffene Übergangsregelung in § 9 der Richtlinie zu minimalinvasiven Herzklappeninterventionen (MHI-RL) stützen.

Die Klägerin rügt die Verletzung von § 109 Abs 4 Satz 3, § 39, § 2 Abs 1 Satz 3 SGB V sowie § 137 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB V aF iVm der MHI-RL.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Wiesbaden - S 18 KR 75/14, 26.10.2016
Hessisches Landessozialgericht - L 8 KR 511/16, 30.04.2020

Die Vorschau zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 33/21.

Terminbericht

Die Revision des klagenden Krankenhauses hatte keinen Erfolg. Das LSG hat die Berufung gegen das klageabweisende Urteil des SG zu Recht zurückgewiesen. Dem Krankenhaus steht der geltend gemachte Vergütungsanspruch nicht zu.

Die Durchführung einer transvaskulären Aortenklappen-Implantation (TAVI) in einem Krankenhaus ohne herzchirurgische Fachabteilung verstieß im Jahr 2013 gegen das allgemeine Qualitätsgebot. Dieses stellt auch Anforderungen an die Struktur- und Prozessqualität der Behandlung. Dies ergibt sich auch aus § 135a Abs 1 Satz 2 SGB V. Danach müssen nicht nur die Leistungen als solche dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entsprechen, sondern sie müssen auch in der fachlich gebotenen Qualität erbracht werden. Konkretisiert werden die Mindestanforderungen an die Struktur- und Prozessqualität nach § 137 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB V in der hier noch maßgeblichen Fassung in erster Linie durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA). Mindestanforderungen an die Struktur- und Prozessqualität, die von der großen Mehrheit der einschlägigen Fachleute aufgrund des Standes der medizinischen Erkenntnisse befürwortet werden, sind vom Krankenhaus auch ohne verpflichtende Vorgabe des GBA oder durch Normenverträge zu beachten. Anderenfalls handelt es sich um eine ungeeignete Versorgung, die nicht im Rechtssinne "erforderlich" ist. Hierfür kann das Krankenhaus auch innerhalb seines Versorgungsauftrags keine Vergütung beanspruchen. Ist der Nutzen einer Methode im Grundsatz zwar anerkannt, fehlt es hinsichtlich der Einzelheiten der Leistungserbringung aber noch an verbindlichen rechtlichen Vorgaben und einem allgemeinen wissenschaftlichen Konsens, gebieten es das Qualitäts- und das Wirtschaftlichkeitsgebot, den Weg des gesicherten Nutzens zu gehen und Gesundheitsgefahren für die Versicherten soweit wie möglich auszuschließen.

Danach entsprach die Durchführung der TAVI im Krankenhaus der Klägerin im Jahr 2013 nicht dem Qualitätsgebot. Es existierten keine rechtlich verbindlichen Vorgaben über die bei der Durchführung von TAVI-Behandlungen zu beachtenden Anforderungen an die Strukturqualität. Diese sind mit der MHI-RL des GBA erst im Jahr 2015 in Kraft getreten. Die Durchführung der TAVI in einer Klinik ohne herzchirurgische Abteilung entsprach nach den Feststellungen des LSG im Jahr 2013 nicht dem anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse. Es gab jedenfalls keinen breiten fachlichen Konsens darüber, dass TAVI-Leistungen auch in Krankenhäusern ohne herzchirurgische Fachabteilung erbracht werden konnten. Einen solchen breiten fachlichen Konsens gab es auch nicht für das von der Klägerin praktizierte Kooperationsmodell. Zudem handelte es sich bei der TAVI im Jahr 2013 noch um eine relativ neue und hochkomplexe Behandlungsmethode. Auch aus diesem Grund war es geboten, im Interesse des Versichertenschutzes den "sicheren" Weg zu wählen und die TAVI-Behandlung spezialisierten Krankenhäusern vorzubehalten, in denen beide Fachabteilungen vorhanden waren.

Die Klägerin kann sich auch nicht auf die Übergangsregelung in § 9 Satz 1 MHI-RL berufen. Die MHI-RL ist erst am 25.7.2015 in Kraft getreten und regelt die Leistungserbringung insgesamt erst ab diesem Tag. Eine rückwirkende Geltung ist nicht angeordnet. Sie lässt sich auch nicht dem Regelungszweck des § 9 MHI-RL entnehmen.

Die Berichte zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 33/21.

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