Verhandlung B 5 R 1/21 R
Rentenversicherung - Rente wegen Erwerbsminderung - vorzeitige Wartezeiterfüllung - Arbeitsunfall - geringfügige Beschäftigung
Verhandlungstermin
21.10.2021 15:00 Uhr
Terminvorschau
F. C. ./. Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg
Der 1981 geborene Kläger begehrt eine Rente wegen Erwerbsminderung. Im September 1999 erlitt er auf dem Weg zur Abendrealschule einen Unfall, der als Arbeitsunfall anerkannt worden ist; seitdem ist er querschnittsgelähmt. Seinen Rentenantrag vom Oktober 2013 lehnte der beklagte Rentenversicherungsträger ab, weil die Wartezeit von fünf Jahren nicht erfüllt sei. Bei Eintritt des Arbeitsunfalls sei der Kläger nicht versicherungspflichtig gewesen und er habe auch in den letzten zwei Jahren davor nicht mindestens ein Jahr an Pflichtbeiträgen vorzuweisen.
Widerspruch, Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben. Das LSG hat ausgeführt, es stehe zwar fest, dass der Kläger im September 1999 sowohl bei einer Reinigungsfirma als auch bei einer Tankstelle gegen Arbeitsentgelt beschäftigt gewesen sei. Nicht mehr feststellbar sei aber, dass bei vorausschauender Betrachtung in einer dieser Beschäftigungen oder bei ihrer Zusammenrechnung die Grenzen der Geringfügigkeit mit einer Wochenarbeitszeit von 15 Stunden oder einem regelmäßigen monatlichen Entgelt von 630 DM überschritten worden wären. Ab September sei er von der Reinigungsfirma, in der er zuvor einen Ferienjob gehabt habe, als geringfügig entlohnt gemeldet worden und habe für diesen Monat 146,60 DM Lohn erhalten. Die Beschäftigung bei der Tankstelle habe der dortige Arbeitgeber für den Zeitraum vom 1.9. bis zum 30.11.1999 ebenfalls als entgeltgeringfügig gemeldet. Zwar habe der Kläger hier allein im September Lohn in Höhe von 698 DM erzielt. Es sei aber nicht mehr feststellbar, ob das eine einmalige Abweichung oder in dieser Höhe regelmäßig zu erwarten gewesen sei. Da die objektive Beweislast für das Vorliegen einer versicherungspflichtigen Beschäftigung zum Zeitpunkt des Arbeitsunfalls beim Kläger liege, gehe die Nichterweislichkeit zu seinen Lasten.
Der Kläger rügt mit seiner Revision sinngemäß eine Verletzung des § 53 SGB VI. Die zur Beurteilung einer geringfügigen Beschäftigung iS des § 8 Abs 1 Nr 1 SGB IV gebotene voraus-schauende Betrachtungsweise dürfe bei Anwendung des § 53 SGB VI mit Rücksicht auf den Schutzzweck dieser Norm keine Rolle spielen. Zudem sei vom Regelfall einer versicherungspflichtigen Beschäftigung auszugehen, solange das Vorliegen einer geringfügigen Beschäftigung nicht positiv bewiesen sei.
Vorinstanzen:
Sozialgericht Ulm - S 14 R 1326/14, 25.09.2019
Landessozialgericht Baden-Württemberg - L 11 R 350/20, 01.12.2020
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Terminbericht
Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg. Die Entscheidung des LSG, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung nicht nachgewiesen sind, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Auch vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit von fünf Jahren kann ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung entstehen, wenn der Versicherte wegen eines Arbeitsunfalls vermindert erwerbsfähig geworden ist. Der Kläger erlitt einen Arbeitsunfall. Die Anwendung der Regelung zur vorzeitigen Wartezeiterfüllung in § 53 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI setzt nach Satz 2 der Vorschrift aber auch voraus, dass Versicherungspflicht bei Eintritt des Arbeitsunfalls bestand oder in den letzten zwei Jahren davor mindestens ein Jahr Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit entrichtet wurden. Hier kommt nur die erste Alternative (versicherungspflichtig bei Eintritt des Arbeitsunfalls) in Betracht. Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, dass es bei der Beurteilung von Versicherungspflicht auf eine vorausschauende Betrachtung ankommt. Die Versicherungspflicht ist grundsätzlich anhand der zu Beginn einer Beschäftigung bekannten Umstände zu klären, weil sie für die Beitragsentrichtung ebenso wie für die Leistungsansprüche der Betroffenen von entscheidender Bedeutung ist. Für die Feststellung der Versicherungspflicht bei Eintritt eines Arbeitsunfalls gilt nichts anderes, zumal es sich bei § 53 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI um eine Ausnahmevorschrift handelt. Die Beweiswürdigung des LSG, dass bei prospektiver Betrachtung zum Zeitpunkt des Arbeitsunfalls nicht mit der erforderlichen Sicherheit von einer mehr als geringfügigen Beschäftigung des Klägers ausgegangen werden konnte, verletzt kein Bundesrecht. Die Nichterweislichkeit des Bestehens von Versicherungspflicht geht nach den allgemeinen Regeln über die Beweislastverteilung zu Lasten des Klägers. Anhaltspunkte dafür, dass in den Fällen des § 53 Abs 1 Satz 2 SGB VI eine Beweislastumkehr eingreifen soll, bestehen nicht.
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