Verhandlung B 5 R 28/21 R
Rentenversicherung - Kindererziehungs- und Berücksichtigungszeiten - Ausland - unverheiratete Eltern - Pflichtbeitragszeiten
Verhandlungstermin
21.10.2021 11:30 Uhr
Terminvorschau
N. S. ./. Deutsche Rentenversicherung Bund, beigeladen: K. H.
Die Beteiligten streiten im Überprüfungsverfahren über die Vormerkung von Kindererziehungs- und Berücksichtigungszeiten, die die Klägerin im Ausland zurückgelegt hat.
Die Klägerin ist Mutter eines am 7.1.2011 geborenen Sohnes. Von November 2012 bis März 2016 lebte sie mit ihrem Kind und dessen Vater in Thailand. Der beigeladene Vater des Kindes war von seinem Arbeitgeber dorthin entsandt worden und leistete während des gesamten Aufenthalts Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung in Deutschland. Die Kindererziehung erfolgte überwiegend durch die Klägerin. Mit dem Beigeladenen war sie nicht verheiratet. Die Beklagte lehnte zuletzt in einem Überprüfungsverfahren die Vormerkung einer Kindererziehungszeit vom 1.11.2012 bis zum 31.1.2014 und einer Berücksichtigungszeit vom 1.11.2012 bis zum 31.3.2016 ab, weil das Kind im Ausland erzogen worden sei.
Widerspruch, Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben. Auch das LSG hat einen Anspruch der Klägerin auf Vormerkung der begehrten rentenrechtlichen Zeiten verneint. Die Klägerin sei in Thailand nicht erwerbstätig und deshalb auch nicht nach deutschem Recht versicherungspflichtig gewesen. Nach dem Gesetz sei eine Erziehungszeit im Ausland nur berücksichtigungsfähig, wenn der Ehegatte des erziehenden Elternteils Pflichtbeiträge habe. Die aufgrund Entsendung fortbestehende Rentenversicherungspflicht ihres Lebensgefährten sei nicht ausreichend. Es sei verfassungsrechtlich nicht geboten, nicht verheiratete Elternteile bei der Anerkennung von Kindererziehungszeiten im Ausland einzubeziehen. Art 6 Abs 1 GG schütze zwar die Beziehung eines Elternteils zum Kind, begünstige aber nicht den nicht verheirateten Elternteil. Das gesetzliche Anknüpfungsmerkmal (der Auslandsaufenthalt) habe seine kausale Veranlassung in der - verfassungsrechtlich nicht geschützten - eheähnlichen Lebensgemeinschaft. Aus Art 6 Abs 5 GG folge ebenfalls keine verfassungsrechtliche Verpflichtung zur Gleichbehandlung der Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft, weil diese Norm nur nichteheliche Kinder und nicht deren Eltern begünstige. Auch liege kein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz vor. Der Gesetzgeber bewege sich bei der Begünstigung von Ehegatten und diesen gleichgestellten eingetragenen Lebenspartnern innerhalb seines Gestaltungsspielraums.
Die Klägerin rügt mit ihrer Revision einen Verstoß gegen Art 6 Abs 1 und Abs 5 GG. Im Rahmen verfassungskonformer Auslegung sei § 56 Abs 3 Satz 3 SGB VI auch auf nicht verheiratete Elternteile anzuwenden.
Vorinstanzen:
Sozialgericht Stuttgart - S 24 R 5274/18, 28.01.2019
Landessozialgericht Baden-Württemberg - L 13 R 741/19, 17.09.2019
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Terminbericht
Die Revision der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Vormerkung von Kindererziehungs- und Berücksichtigungszeiten für Zeiten ihres Aufenthalts in Thailand.
Nach § 56 Abs 1 Satz 2 SGB VI ist Voraussetzung für Kindererziehungszeiten grundsätzlich, dass die Erziehung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfolgt. Das BVerfG hat bereits entschieden, dass dies verfassungsgemäß ist.
Ungeachtet dessen hat der Gesetzgeber mit § 56 Abs 3 Satz 2 und 3 SGB VI eine Vorschrift geschaffen, nach der auch eine Erziehung im Ausland unter besonderen Voraussetzungen zu berücksichtigen ist. Diese liegen hier nicht vor. Die Klägerin selbst hat in Thailand keine Pflichtbeitragszeiten zurückgelegt. Da der Beigeladene in der streitbefangenen Zeit nicht Ehegatte der Klägerin war, vermittelten ihr auch die von ihm zurückgelegten Pflichtbeitragszeiten keinen Anspruch auf Vormerkung von Kindererziehungszeiten.
Der Senat hat keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschrift. Art 6 Abs 5 GG scheidet von vornherein als betroffenes Grundrecht aus, da § 56 Abs 3 Satz 3 SGB VI nicht zwischen ehelichen und nichtehelichen Kindern unterscheidet. Die Regelung verstößt auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art 3 Abs 1 GG, weil die Beschränkung der Begünstigung auf Ehegatten oder Lebenspartner sachlich gerechtfertigt ist. Zwar ist beim Prüfungsmaßstab zu berücksichtigen, dass Art 6 Abs 1 GG mittelbar berührt ist. Dieser schützt das Zusammenleben der Familienmitglieder und die Freiheit, über die Art und Weise des familiären Zusammenlebens zu entscheiden. § 56 Abs 3 Satz 3 SGB VI ist jedoch von der Befugnis des Gesetzgebers zur rechtlichen Ausgestaltung des Leistungsrechts der gesetzlichen Rentenversicherung gedeckt. Für den Gesetzgeber besteht insofern ein weiter Spielraum. Das gilt auch im Hinblick darauf, dass die rentenrechtliche Honorierung von Kindererziehungszeiten aus Bundesmitteln zum sozialen Ausgleich finanziert wird. Eine Erziehung im Ausland soll nur dann der Erziehung im Inland ausnahmsweise gleichgestellt sein, wenn eine fortdauernde Integration in das inländische Arbeits- und Erwerbsleben besteht. Ist dies bei dem erziehenden Elternteil nicht selbst der Fall, reicht eine mittelbare Integration durch den Ehepartner oder den Partner der eingetragenen Lebensgemeinschaft aus. Das entspricht dem Umstand, dass auch in anderen Bereichen der gesetzlichen Rentenversicherung, etwa bei der Hinterbliebenenrente, an die Ehe oder die eingetragene Lebenspartnerschaft angeknüpft wird. Bei diesen rechtlich verbindlichen Lebensgemeinschaften ist die Annahme gerechtfertigt, dass die gemeinsame Verlegung des Familienwohnsitzes ins Ausland nur vorübergehend ist. Dem steht nicht entgegen, dass auch nichteheliche Lebensgemeinschaften langfristig angelegt und stabil sein können. Bei der Vormerkung von Kindererziehungs- und Berücksichtigungszeiten handelt es sich um Angelegenheiten der Massenverwaltung, in denen regelmäßig typisierende und pauschalierende Regelungen zulässig sind. Dabei darf der Gesetzgeber an ein Merkmal anknüpfen, das sicher, zeitnah und ohne aufwendige Ermittlungen festzustellen ist. Es ist schließlich nicht erkennbar, dass durch diese Typisierung eine nicht mehr hinnehmbare Anzahl von Personen von der Berücksichtigung von Kindererziehungs- und Berücksichtigungszeiten ausgeschlossen wären.
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