Verhandlung B 11 AL 6/21 R
Arbeitslosenversicherung - Kurzarbeitergeld - Grenzgänger - fiktiver Lohnsteuerabzug
Verhandlungstermin
03.11.2021 12:15 Uhr
Terminvorschau
A. & A. GmbH ./. Bundesagentur für Arbeit
Die Klägerin - eine GmbH mit Sitz und Betrieb in Deutschland - erhielt für eine bei ihr beschäftigte, in Frankreich wohnende Arbeitnehmerin Kug für die Monate März und April 2020. Dieses berechnete die Beklagte unter Berücksichtigung eines fiktiven Lohnsteuerabzugs. Auch bei Grenzgängern, die aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens von der Lohnsteuerpflicht in der Bundesrepublik Deutschland befreit seien, sei dieser Abzug vorzunehmen, selbst wenn in Frankreich das nach deutschem Recht gezahlte Kug besteuert würde. Grenzgänger aus den Mitgliedstaaten der Europäischen Union müssten bei der Bemessung des Kug genauso wie deutsche Arbeitnehmer behandelt werden. Klage und Berufung, gerichtet auf Kug ohne Berücksichtigung des fiktiven Lohnsteuerabzugs, blieben ohne Erfolg. Eine Doppelbesteuerung liege nicht vor, weil die Berechnung nach § 153 Abs 1 SGB III keine Besteuerung sei. Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung von § 153 Abs 1 SGB III und eine europarechtlich unzulässige Diskriminierung.
Vorinstanzen:
Sozialgericht Freiburg - S 4 AL 2438/20, 15.09.2020
Landessozialgericht Baden-Württemberg - L 8 AL 3021/20, 22.02.2021
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Terminbericht
Die Revision der Klägerin hatte im Sinne der Aufhebung des Berufungsurteils und der Zurückverweisung der Sache an das LSG Erfolg. Ob der betroffenen Arbeitnehmerin der Klägerin höheres als von der Beklagten bewilligtes Kug zusteht, konnte der Senat mangels ausreichender Feststellungen des LSG nicht entscheiden. Es fehlen Feststellungen dazu, ob und mit welchem Inhalt auf eine Arbeitsausfallanzeige der Klägerin als Arbeitgeber ein nach § 99 Abs 3 SGB III vorgesehener Bescheid über einen erheblichen Arbeitsausfall sowie die betrieblichen Voraussetzungen für Kug ergangen ist und ob die persönlichen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Kug vorliegen. Zudem fehlen die für die Beurteilung der Höhe des Kug unerlässlichen Feststellungen zum Bruttoentgelt, das die Arbeitnehmerin im Zeitraum des Arbeitsausfalls erzielt hätte (Soll-Entgelt) und tatsächlich erzielt hat (Ist-Entgelt). Erst wenn das LSG im wiedereröffneten Berufungsverfahren diese Feststellungen nachgeholt hat, kann es auf die Frage ankommen, von welchem pauschalierten Nettoentgelt bei der Berechnung der für die Höhe des Kug maßgeblichen Nettoentgeltdifferenz auszugehen ist. Insoweit gilt, dass im Falle einer steuerlichen Freistellung als Grenzgänger keine Steuerpflicht in Deutschland besteht und deshalb keine Lohnsteuerklasse als Lohnsteuerabzugsmerkmal vorliegt. Für eine Zuordnung der Steuerklasse I bietet § 153 Abs 1 SGB III nach Wortlaut und Sinn und Zweck keine Grundlage. Eine Gesetzeslücke liegt nicht vor. Mangels zuzuordnender Steuerklasse beträgt der sich nach § 153 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB III ergebende Abzugsbetrag in diesem Fall 0 Euro. Der in Art 45 AEUV und Art 7 der VO (EU) 492/2011 niedergelegte Gleichbehandlungsgrundsatz verlangt keine Gleichbehandlung von Grenzgängern mit in Deutschland wohnenden und arbeitenden Arbeitnehmern. Eine Gleichbehandlung würde vielmehr möglicherweise eine mittelbare Diskriminierung darstellen, weil Grenzgänger, die in Deutschland nicht der Lohnsteuerpflicht unterliegen, zu ihrem Nachteil wie in Deutschland Lohnsteuerpflichtige behandelt und damit faktisch mit dem gleichen Entgelt zweimal einem Einkommen-/Lohnsteuerrecht - vorliegend in Frankreich und Deutschland - unterworfen würden.
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