Bundessozialgericht

Verhandlung B 6 A 2/20 R

Aufsichtsrecht - Kassenärztliche Vereinigung - Aufsichtsklage - Rundschreiben - Bundesversicherungsamt - Gesamtvertragsverhandlung

Verhandlungstermin 04.11.2021 10:30 Uhr

Terminvorschau

Kassenärztliche Vereinigung Sachsen ./. Bundesrepublik Deutschland, 9 Beigeladene
Die klagende KÄV wendet sich gegen ein Rundschreiben des Bundesversicherungsamtes (BVA; heute: Bundesamt für soziale Sicherung). In diesem Rundschreiben wandte sich das BVA im September 2018 an alle bundesunmittelbaren Krankenkassen und bat diese im Hinblick auf die bevorstehenden Gesamtvertragsverhandlungen für das Jahr 2019 um Beachtung von Rechtshinweisen.

Dabei kritisierte das BVA ua, dass die Gesamtvertragspartner bei der Ermittlung der morbiditätsbedingten Veränderungsrate die ihnen durch § 87a Abs 4 SGB V eingeräumte Kompetenz bei früheren Vertragsabschlüssen mehrfach deutlich überschritten hätten. Es seien vertragliche Regelungen geschlossen worden, die von der Regelgewichtung oder den vom Bewertungsausschuss empfohlenen Gewichtungsmaßstäben abwichen, ohne die zugrunde gelegten Gewichtungsfaktoren transparent zu machen. Auch bei den Förderungsmöglichkeiten nach § 87a Abs 2 Satz 3 SGB V seien die gesetzlichen Vorgaben zum Teil nicht beachtet worden. Insbesondere seien die Spielräume, die den Gesamtvertragspartnern für die Regelung von Zuschlägen für einzelne Leistungen bzw Leistungserbringer zukämen, durch die Vorgaben von § 87a Abs 2 Satz 3 bis 6 SGB V sowie den Beschluss des Bewertungsausschusses vom 22.10.2012 abschließend geregelt. Das Rundschreiben schloss mit dem Satz: "Wir bitten Sie, unsere Rechtshinweise bei den anstehenden Vertragsverhandlungen zu berücksichtigen".

Das LSG hat die hiergegen erhobene Klage abgewiesen. Für eine zulässige Aufsichtsklage fehle der Klägerin bereits das Rechtsschutzbedürfnis. Zwar könne sich eine Aufsichtsklage gegen aufsichtsbehördliche Maßnahmen jeder Art richten, mit denen in die Rechtssphäre des Trägers der Selbstverwaltung eingegriffen werde. Erschöpfe sich allerdings die aufsichtsbehördliche Maßnahme - wie hier - in bloßen Hinweisen, Anregungen oder Empfehlungen für ein bestimmtes Verhalten des Sozialversicherungsträgers, ohne diese schon zwingend vorzuschreiben, so sei darin eine mit der Aufsichtsklage anfechtbare Anordnung nicht enthalten. Denn das Schreiben betreffe ersichtlich das in der Zukunft liegende Verhalten der der Rechtsaufsicht des Bundes unterstehenden Krankenkassen im Rahmen von laufenden oder künftigen Vertragsverhandlungen mit der jeweiligen KÄV als Partner der Gesamtverträge, ohne dass darin eine präventive Verpflichtung iSd § 89 Abs 1 Satz 2 SGB V ausgesprochen worden sei. Da die Klägerin zudem weder Adressatin des Rundschreibens sei, noch die Möglichkeit einer eigenen Rechtsverletzung im Rahmen einer Drittbetroffenheit bestehe, fehle es auch an der Klagebefugnis.

Die Klägerin rügt mit ihrer Revision eine Verletzung von § 54 Abs 3 SGG sowie von § 87a SGB V. Der Rechtsstreit betreffe die Vergütungsverhandlungen zwischen den Gesamtvertragspartnern nach § 83 SGB V iVm § 87a SGB V. In diese Vergütungsverhandlungen habe die Beklagte mit ihrem Rundschreiben eingegriffen. Dieses habe nicht dem Grundsatz der maßvollen Rechtsaufsicht entsprochen und zu einer ungerechtfertigten Verengung des Gestaltungsspielraums der Gesamtvertragspartner geführt. Die Klage sei auch als Aufsichtsklage zulässig. Mit einer Aufsichtsklage könnten alle Anordnungen angegriffen werden, mit denen in die Rechtssphäre eines Selbstverwaltungsorgans eingegriffen werde. Dies sei hier der Fall. Denn das BVA habe in dem Rundschreiben konkrete Anforderungen an Vergütungsverträge festgelegt und damit Fakten für den Verhandlungsprozess mit den Krankenkassen geschaffen.

Vorinstanz:
Sächsisches Landessozialgericht - L 1 KA 21/18 KL, 11.03.2020

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Terminbericht

Die Revision der klagenden KÄV bleibt ohne Erfolg. Das LSG hat zutreffend entschieden, dass die Aufsichtsklage gegen das Rundschreiben des Bundesversicherungsamtes (BVA; heute: Bundesamt für Soziale Sicherung), mit welchem dieses die bundesunmittelbaren Krankenkassen im Hinblick auf die bevorstehenden Gesamtvertragsverhandlungen mit den KÄVen für das Jahr 2019 um Beachtung von Rechtshinweisen gebeten hat, unzulässig ist.

Allerdings steht der Zulässigkeit der Aufsichtsklage nicht entgegen, dass sich die Klägerin gegen eine Maßnahme des BVA und damit einer staatlichen Behörde wendet, die nicht ihre Aufsichtsbehörde ist. Der Senat hält an seiner Rechtsprechung fest, wonach sich eine KÄV gegen die Verfügung einer Aufsichtsbehörde wenden kann, die zwar nicht ihre Aufsichtsbehörde ist, aber im konkreten Fall eine Maßnahme getroffen hat, die gegenüber der KÄV wie eine Aufsichtsmaßnahme wirkt. Dies ist aber hinsichtlich des angefochtenen Rundschreibens des BVA gerade nicht der Fall. Denn die Klägerin kann nicht geltend machen, dass das Rundschreiben unmittelbar in ihren Aufgabenbereich, mit den Krankenkassen Vergütungsverträge abzuschließen, eingreift.

Es handelt sich vielmehr allein um ein präventives Informationsschreiben, mit welchem das BVA seine Auffassung zur Rechtslage darstellt, verbunden mit der Bitte, bei den anstehenden künftigen Vertragsverhandlungen diese Rechtsauffassung zu beachten. Dies beinhaltet keine "Anordnung" iS des § 54 Abs 3 SGG, weil dem Schreiben keine rechtliche Verbindlichkeit zukommt. Die Wirkung des Rundschreibens erschöpft sich vielmehr in allgemeinen rechtlichen Hinweisen und Empfehlungen, deren Umsetzung jedoch nicht zwingend vorgeschrieben wird und an deren Nichtbeachtung auch keine unmittelbaren aufsichtsrechtlichen Konsequenzen geknüpft sind. Das Rundschreiben begründet weder eine entsprechende Verpflichtung der Krankenkassen, die erteilten rechtlichen Hinweise umzusetzen, noch die Möglichkeit ihrer Durchsetzung durch die Aufsichtsbehörde. Erst im Laufe der Verhandlungen der Gesamtvertragspartner stellt sich vielmehr heraus, ob die Krankenkassen der Ansicht ihrer Aufsichtsbehörde folgen wollen - sie vielleicht sogar als Stärkung ihrer Verhandlungsposition gegenüber der KÄV begrüßen - oder ob sie in den Vertragsverhandlungen einen abweichenden Rechtsstandpunkt vertreten werden. Wenn die angegriffene Maßnahme mangels verbindlicher Anordnung aber schon nicht in die Rechtssphäre der Krankenkassen eingreift, die der Aufsicht des BVA unterlagen, kann erst recht kein Eingriff in die Rechtsphäre der klagenden KÄV als Drittbetroffene vorliegen.

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