Bundessozialgericht

Verhandlung B 1 KR 7/21 R

Krankenversicherung - Kinderwunschbehandlung - gleichgeschlechtliches Ehepaar - heterologe Insemination

Verhandlungstermin 10.11.2021 14:30 Uhr

Terminvorschau

C. S. ./. HEK - Hanseatische Krankenkasse
Die Klägerin lebt in gleichgeschlechtlicher Ehe und leidet an einer Fertilisationsstörung. Im Jahr 2018 stellte sie bei der beklagten KK Anträge auf Kostenübernahme für Arzneimittel und Behandlungsversuche der Insemination und In-vitro-Fertilisation sowie auf Übernahme von Laborleistungskosten im Rahmen der Kinderwunschbehandlung. Diese lehnte die Beklagte bestandskräftig ab. Während des Überprüfungsverfahrens wurde eine künstliche Befruchtung erfolglos durchgeführt, nachdem während des ersten Verwaltungsverfahrens bereits eine Hormonbehandlung stattgefunden hatte. Mit ihrem gegen die bestandskräftigen Bescheide gerichteten Überprüfungsantrag ist die Klägerin bei der Beklagten und in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das LSG hat zur Begründung ausgeführt: Die Voraussetzungen einer Kostenerstattung nach § 13 Abs 3 Satz 1 SGB V seien nicht erfüllt. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Maßnahmen der künstlichen Befruchtung gehabt. Sie erfülle nicht die Voraussetzungen des maßgeblichen § 27a Abs 1 Nr 4 SGB V, der nur die Verwendung von Ei- und Samenzellen der Ehepartner zulasse (sog homologe Insemination). Die bei einer gleichgeschlechtlichen Ehe bestehende Notwendigkeit, Spendersamen zu nutzen (sog heterologe Insemination), sei von der Regelung nicht umfasst. Gegen die Regelung bestünden auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Der Gesetzgeber habe bei der Bestimmung des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung eine besonders weite Gestaltungsfreiheit. Weder ergebe sich aus dem Schutz von Ehe und Familie nach Art 6 Abs 1 GG ein Anspruch auf Ermöglichung einer Schwangerschaft. Noch verstoße § 27a Abs 1 Nr 4 SGB V gegen Art 3 GG. Die Norm sei nicht diskriminierend, weil sie nicht an das Geschlecht oder die sexuelle Orientierung der Klägerin anknüpfe. Es handele sich vielmehr um eine geschlechterunabhängige Privilegierung der homologen gegenüber der heterologen Insemination, was sowohl gleichgeschlechtliche als auch absolut unfruchtbare gemischtgeschlechtliche Ehepaare betreffe. Die Unterscheidung der Behandlungsmethoden sei schließlich aus Kindeswohlgesichtspunkten gerechtfertigt, da das Kind bei einer homologen künstlichen Befruchtung automatisch zwei zum Unterhalt verpflichtete Elternteile habe, wohingegen es bei der heterologen künstlichen Befruchtung einen nicht erzwingbaren Akt der Annahme des Kindes durch den nicht austragenden Ehepartner bedürfe.

Die Klägerin rügt mit ihrer Revision sinngemäß die Verletzung von Art 1, 3 und 6 GG.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Würzburg - S 6 KR 412/18, 21.05.2019
Bayerisches Landessozialgericht - L 20 KR 412/19, 19.08.2020

Die Vorschau zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 42/21.

Terminbericht

Der Senat hat die Revision der Klägerin zurückgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die beklagte KK auf Erstattung der Kosten ihrer Kinderwunschbehandlung. Medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft sind nach § 27a Abs 1 Nr 4 SGB V nur dann der Krankenbehandlung und damit den Leistungen der Krankenversicherung zuzurechnen, wenn ausschließlich Ei- und Samenzellen der Ehegatten verwendet werden (homologe Insemination). Die von der Klägerin begehrte Behandlung unter Verwendung von Spendersamen (heterologe Insemination) wird hiervon nicht erfasst.

Gegen diese Regelung bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Aus dem Schutz von Ehe und Familie nach Art 6 GG folgt keine Pflicht des Gesetzgebers, die Entstehung einer Familie durch medizinische Maßnahmen der künstlichen Befruchtung mit den Mitteln der gesetzlichen Krankenversicherung zu fördern. Die Vorschrift verstößt auch nicht gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art 3 Abs 1 GG. Die Gewährung von Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung unterliegt einer weitreichenden Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers. Die Ungleichbehandlung von Ehepaaren, die über zur Fortpflanzung taugliche Ei- und Samenzellen verfügen gegenüber Ehepaaren, bei denen dies nicht der Fall ist, ist gerechtfertigt. Der Versicherungsfall des § 27a SGB V geht von einer grundsätzlich bestehenden Zeugungsfähigkeit des Ehepaars aus. Zwar erkennt die Vorschrift als soziale Komponente die Erfüllung des Kinderwunsches innerhalb einer bestehenden Ehe als Behandlungsziel an. Sie knüpft darüber hinaus jedoch den Leistungsanspruch an eine krankheitsähnliche Komponente, nämlich an das individuelle Unvermögen auf natürlichem Weg gemeinsam Kinder zu zeugen bei eingeschränkter, aber nicht aufgehobener Zeugungsfähigkeit. Entscheidet sich der Gesetzgeber im Rahmen der im Wesentlichen auf die Krankenbehandlung ausgerichteten gesetzlichen Krankenversicherung, eine nur unterstützende Kinderwunschbehandlung mittels künstlicher Befruchtung zu fördern (homologe Insemination), liegt ein hinreichender sachlicher Grund hierfür darin begründet, dass er die individuelle krankheitsähnliche Komponente gleichberechtigt neben die soziale Komponente stellt. Der Gesetzgeber ist aufgrund seines weiten Gestaltungsermessens zudem bei verschiedengeschlechtlichen Ehepaaren, bei denen die Zeugungsfähigkeit aufgehoben ist, auch mit Blick auf die krankheitsähnliche Komponente nicht verpflichtet, neben der unterstützenden Kinderwunschbehandlung eine ersetzende in Gestalt einer heterologen Insemination anzubieten. Indem die in gleichgeschlechtlicher Ehe lebende Klägerin sich darauf beruft, dass auch ihr der Kinderwunsch erfüllt werden müsse, bezieht sich dies nur auf die soziale Komponente der Norm. Sie begehrt dafür nicht (nur) die Überwindung einer krankheitsähnlichen Situation, sondern die Kompensation einer - in der von ihr gewählten Eheform - nicht bestehenden Zeugungsfähigkeit. Zu einer anderen Bewertung zwingt auch nicht die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe. Der Gesetzgeber wollte hiermit die gleichgeschlechtliche Ehe nur an die gemischtgeschlechtliche Ehe angleichen. Aus diesem Anliegen folgt nicht die Pflicht, die zeugungsbiologischen Grenzen einer solchen Ehe mit Mitteln der gesetzlichen Krankenversicherung auszugleichen. Das Erfordernis einer homologen Insemination verstößt schließlich nicht gegen das Diskriminierungsverbot nach Art 3 Abs 3 GG. Es knüpft nämlich nicht an die Gleich- oder Verschiedengeschlechtlichkeit der Ehe an, sondern an die Behandlungsmethode. Dies betrifft nicht nur gleichgeschlechtliche Ehepaare, sondern ebenso absolut Zeugungsunfähige und - von dem Erfordernis der Ehe nach § 27a Abs 1 Nr 3 SGB V einmal abgesehen - auch Alleinstehende.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 42/21.

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