Verhandlung B 1 KR 22/21 R
Krankenversicherung - Krankenhausvergütung - MDK-Prüfverfahren - Unterlagenanforderung - materiell-rechtliche Ausschlussfrist
Verhandlungstermin
10.11.2021 11:50 Uhr
Terminvorschau
S. GmbH ./. IKK Südwest
Das klagende Krankenhaus behandelte einen Versicherten der beklagten KK vom 16.2. bis 25.5.2016 stationär und rechnete hierfür insgesamt 22.867,36 Euro auf Grundlage pauschalierter Entgelte für Psychiatrie und Psychosomatik ab. Die KK zahlte diesen Betrag zunächst vollständig, leitete anschließend jedoch eine Prüfung durch den MDK ein (Schreiben vom 10.6.2016). Sie beauftragte den MDK mit der Prüfung der Notwendigkeit der stationären Krankenhausbehandlung für die gesamte Dauer. Der MDK forderte beim Krankenhaus mit Schreiben vom 14.6.2016 verschiedene medizinische Unterlagen an (ua körperlicher/psychischer Untersuchungsbefund bei Aufnahme; Anamnese, Aufnahmebefund, Assessments). Das Schreiben enthielt weiter die Aufforderung: "Sollten Sie bei der Durchsicht Ihrer Unterlagen feststellen, dass die angeforderten Unterlagen die für die Begutachtung notwendigen Informationen nicht oder nicht vollständig enthalten, so fügen Sie bitte alle Dokumente bei, die zur Klärung der Frage beitragen können". Das Krankenhaus übersandte daraufhin innerhalb der Frist von vier Wochen die konkret angeforderten Unterlagen. Nicht darunter war der Bericht des psychiatrischen Vorbehandlers und einweisenden Arztes. Der MDK kam nach Prüfung der vorgelegten Unterlagen zu dem Ergebnis, dass eine ambulante Weiterbehandlung indiziert gewesen wäre. Die KK verrechnete daraufhin den zunächst beglichenen Rechnungsbetrag vollständig mit anderweitigen - für sich genommen - unstreitigen Vergütungsforderungen des Krankenhauses.
Im Gerichtsverfahren hat das SG die Patientenakte beigezogen und ein Sachverständigengutachten eingeholt, das die Notwendigkeit der stationären Behandlung bestätigt hat. Die KK hat ein weiteres MDK-Gutachten vorgelegt, nach dem die Notwendigkeit der stationären Behandlung auf Grundlage des jetzt vorliegenden Schreibens des einweisenden Arztes in vollem Umfang plausibel sei. Das SG hat die KK zur Zahlung verurteilt. Das LSG hat die Berufung der KK zurückgewiesen: Dem Krankenhaus stehe der strittige Vergütungsanspruch zu, da die stationäre Behandlung vom 16.2. bis 25.5.2016 erforderlich gewesen sei. Der Senat stütze sich insoweit auf das Gutachten aus dem SG-Verfahren und das bestätigende Gutachten des MDK. Der Vergütungsanspruch sei nicht nach § 7 Abs 2 der auf der Grundlage des § 17c Abs 2 KHG geschlossenen PrüfvV 2014 ausgeschlossen. Denn das Krankenhaus habe die angeforderten Unterlagen vollständig und fristgerecht vorgelegt. Der ergänzende Bericht des einweisenden Psychiaters gehöre nicht dazu.
Die KK rügt mit ihrer Revision die Verletzung von § 7 Abs 2 Satz 3 und 4 PrüfvV 2014.
Vorinstanzen:
Sozialgericht Karlsruhe - S 7 KR 542/17, 21.03.2019
Landessozialgericht Baden-Württemberg - L 11 KR 1437/19, 21.01.2020
Die Vorschau zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 42/21.
Terminbericht
Die Revision der beklagten KK hatte keinen Erfolg. Das LSG hat die Berufung der beklagten KK gegen das stattgebende SG-Urteil zu Recht zurückgewiesen. Das LSG hat ohne Rechtsfehler entschieden, dass dem Krankenhaus der strittige Vergütungsanspruch wegen der Behandlung des Versicherten vom 16.2. bis 25.5.2016 zustand. Die KK konnte daher nicht mit einem entsprechenden Erstattungsanspruch gegenüber anderweitigen Vergütungsansprüchen aufrechnen. Das LSG durfte sich hierbei insbesondere auf das vom SG eingeholte Sachverständigengutachten und das anschließend vorgelegte MDK-Gutachten stützen. Die Verwertung der den Gutachtern zur Verfügung gestellten Unterlagen ist nicht ausgeschlossen. Dies gilt auch für das Schreiben des den Versicherten einweisenden Psychiaters. Das Krankenhaus hat dieses Schreiben im MDK-Prüfverfahren zwar nicht vorgelegt. Die Unterlagenanforderung des MDK bezog sich aber auch nicht auf dieses Schreiben. Wie der Senat bereits entschieden hat, enthält § 7 Abs 2 Satz 2 bis 4 PrüfvV 2014 eine materielle Präklusionsregelung. Ihrer Art nach konkret bezeichnete Unterlagen, die der MDK im Rahmen eines ordnungsgemäßen Prüfverfahrens angefordert, das Krankenhaus aber nicht innerhalb der Frist von vier Wochen vorgelegt hat, dürfen auch in einem späteren Gerichtsverfahren nicht mehr zur Begründung des Vergütungsanspruchs berücksichtigt werden. § 7 Abs 2 Satz 2 PrüfvV 2014 bezieht sich auf die Anforderung von Unterlagen, die der MDK zumindest ihrer Art nach konkret bezeichnet hat. Das Krankenhaus muss nicht von sich aus weitere Unterlagen übermitteln, die für die Stützung seines Vergütungsanspruchs relevant sein können. Die PrüfvV 2014 enthält hierfür anders als die PrüfvV 2016 - keine Regelung. Auch Sinn und Zweck gebieten dies nicht. Der Streitstoff für die Überprüfung der Abrechnung des Behandlungsfalls soll vollständig gebündelt und deren Abschluss insgesamt beschleunigt werden. Hierbei ist es Aufgabe des MDK, die prüfrelevanten Begründungselemente durch die Unterlagenauswahl selbst einzugrenzen. Nur die nicht fristgemäße Vorlage ihrer Art nach konkret bezeichneter Unterlagen rechtfertigt die nicht unerhebliche Sanktionsfolge. Ansonsten müsste das Krankenhaus zur Vermeidung von Rechtsnachteilen dem MDK immer sämtliche Unterlagen zur Verfügung stellen.
Welche Unterlagen durch den MDK ihrer Art nach jeweils konkret bezeichnet wurden, bestimmt sich nach den Grundsätzen über die Auslegung von Willenserklärungen. Dabei ist nicht allein auf die schriftliche, insbesondere formularmäßige Bezeichnung bestimmter Unterlagen (zB "Aufnahmebefund", "Anamnese" oder "Assessment") abzustellen. Es sind auch ergänzende Umstände zu berücksichtigen. Im Hinblick auf die einschneidenden Folgen einer unterlassenen Unterlagenübersendung muss die Bezeichnung der Unterlagen aber präzise und klar sein; Unklarheiten oder Zweifel gehen zulasten des Verwenders der Bezeichnung, dh des MDK und letztlich der KK. Nach diesen Maßstäben gehörte das Schreiben des einweisenden Psychiaters nicht zu den angeforderten Unterlagen. Fordert der MDK beim Krankenhaus Untersuchungsbefunde, Anamnesen oder Assessments an, darf dieses davon ausgehen, dass damit zunächst einmal die vom Krankenhaus selbst erhobenen Befunde, Anamnesen und Assessments gemeint sind. Hält der MDK darüber hinaus für seine Beurteilung auch einen Fremdbefund (etwa des einweisenden Arztes) für notwendig, muss er dies eindeutig zum Ausdruck bringen.
Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 42/21.