Bundessozialgericht

Verhandlung B 14 AS 41/20 R

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Einkommensberücksichtigung - Fahrkostenerstattung

Verhandlungstermin 11.11.2021 14:00 Uhr

Terminvorschau

O. P. ./. Jobcenter Zwickau
Der Kläger begehrt höhere Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum von April 2015 bis September 2016.

Der Kläger ist bei einem Hilfs- und Wohlfahrtsverband als Mitarbeiter des Begleitdienstes im Fahrdienst beschäftigt. Seine Arbeitgeberin erstattete ihm für betriebliche veranlasste Fahrten mit seinem privaten PKW, die er während seiner Arbeitszeit durchführte, um von der Betriebsstätte oder einem Einsatzort zu einem anderen Einsatzort zu gelangen, einen Betrag in Höhe von 0,30 Euro für jeden gefahrenen Kilometer. Die im streitgegenständlichen Zeitraum erfolgte Fahrkostenerstattung wurde in den monatlichen Gehaltsabrechnungen als nicht sozialversicherungspflichtig und lohnsteuerfrei ausgewiesen. Bei der Berechnung der von dem beklagten Jobcenter erbrachten aufstockenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II berücksichtigte dieses die Fahrkostenerstattung als Einkommen.

Das SG hat die gegen diese Bescheide erhobenen Klagen abgewiesen (Urteil vom 18.1.2018). Das LSG hat auf die Berufung des Klägers das Urteil des SG aufgehoben und die Bescheide geändert. Es hat das beklagte Jobcenter verpflichtet, dem Kläger Leistungen ohne Fahrkostenerstattung durch den Arbeitgeber als Einkommen zu gewähren. Bei der Fahrkostenerstattung handele es sich zwar um Einkommen, dies sei allerdings unabhängig vom Erwerbseinkommen erzielt. Es stamme aus einer Gegenleistung für die Gebrauchsüberlassung des privaten Fahrzeugs des Klägers an seine Arbeitgeberin. Da dabei einzelne Aufwendungen nur gelegentlich anfielen, sei unabhängig vom "Monatsprinzip" ein monatlicher Durchschnittswert - auf Grundlage einer Schätzung - zu bilden, der die Aufwendungen für den gesamten streitgegenständlichen Zeitraum in das Verhältnis zu den gefahrenen Kilometern setze. Unter Berücksichtigung der Benzinkosten, der zeitanteiligen Kosten der Kfz-Haftpflichtversicherung, der Kraftfahrzeugsteuer, der Hauptuntersuchung, Reparaturen, der Erneuerung der Reifen, des Ölwechsels, Wartungen, wenngleich solche teilweise außerhalb des streitgegenständlichen Zeitraums gelegen hätten, sowie des geschätzten Wertverlustes ergäben sich Aufwendungen in Höhe von 0,31 Euro pro gefahrenem Kilometer. Die Aufwendungen überstiegen damit die von der Arbeitgeberin gezahlte Fahrkostenerstattung (Urteil vom 6.2.2020).

Mit seiner vom LSG zugelassenen Revision rügt das beklagte Jobcenter die Verletzung von § 11b Abs 1 Nr 5 SGB II und § 2 Abs 1 sowie § 6 Alg II-V.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Chemnitz - S 10 AS 1330/17, 18.01.2018
Sächsisches Landessozialgericht - L 3 AS 535/18, 06.02.2020

Die Vorschau zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 40/21.

Terminbericht

Auf die Revision des Beklagten ist das Urteil des LSG aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen worden.

Die Klage ist - trotz der verfahrensrechtlichen Sondersituation einer zunächst nur vorläufigen und sodann erst später abschließenden Feststellung von Leistungen für Teilzeiträume zulässigerweise gerichtet auf den Erlass eines Grundurteils (§ 130 Abs 1 Satz 1 SGG) im Höhenstreit. Sein Klageziel kann der Kläger ggf nur mit der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage bzw Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage erreichen. Gleichwohl erfüllt auch hier ein Grundurteil seinen Zweck, das Verfahren zu beschleunigen und die Gerichte von den notwendigen Feststellungen über die Höhe des Anspruchs zu entlasten, die der Beklagte vorrangig zu treffen hat. Soweit sich der Kläger auch gegen die Erstattungsbescheide des Beklagten wendet, bilden diese mit den Bescheiden über die abschließende Feststellung seines Leistungsanspruchs vom gleichen Tag eine rechtliche Einheit.

Der Senat vermochte jedoch auf Grundlage der Feststellungen des LSG nicht zu entscheiden, ob der Kläger Anspruch auf die abschließende Feststellung höherer Leistungen hat.

Allerdings ist der Fahrkostenersatz durch einen Arbeitgeber als Einkommen aus Erwerbstätigkeit iS des § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II bei der Berechnung des Alg II zu berücksichtigen. Es handelt sich bei dem Fahrkostenersatz um Einnahmen die dem Leistungsberechtigten zumindest im sachlichen Zusammenhang mit der Beschäftigung zufließen.

Der Fahrkostenersatz ist auch "bereites Mittel". Bei wirtschaftlicher Betrachtung handelt es sich dabei nicht von vornherein um einen reinen Durchlaufposten, bei dem dem Empfänger trotz des Einkommenszuflusses kein wertmäßiger Zuwachs verbleibt. Die Verwendung des Aufwendungsersatzes stand dem Kläger nach der Zahlung durch die Arbeitgeberin frei.

Ist der Fahrkostenersatz Einkommen, sind hiervon die mit seiner Erzielung verbundenen notwendigen Aufwendungen nach § 11b Abs 1 Satz 1 Nr 5 SGB II vor seiner Berücksichtigung bei der Leistungsberechnung abzusetzen. Die Höhe des Absetzungsbetrags folgt aus der Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der "verbundenen notwendigen Ausgaben" in der benannten Vorschrift, insbesondere unter Berücksichtigung systematischer Gesichtspunkte.

Ausgangspunkt insoweit ist, dass ein angemessenes privates Kfz im SGB II zwar unter Vermögensschutz steht, zugleich aber die Kosten für dessen Betrieb und Unterhaltung nicht bei der Bedarfsbemessung berücksichtigt werden; sie sind aus dem pauschalierten Regelbedarf zu finanzieren. Für die Situation der beruflichen Nutzung eines privaten Kfz sehen §§ 3 und 6 Alg II-V zwar Regelungen zur Bestimmung der Absetzbeträge iS des § 11b Abs 1 Satz 1 Nr 5 SGB II vor. Sie können jedoch hier nicht unmittelbar zur Anwendung kommen. Die dortigen Ausgangslagen, die Absetzung von Beträgen für zurückgelegte Wegstreckenkilometer zwischen Arbeits- und Wohnort und die Absetzung als Betriebsausgaben eines Selbständigen treffen nicht die vorliegende Fallkonstellation. Aufgrund dessen verbietet sich auch eine analoge Anwendung der Verordnung. Jedoch liegt es nahe, aus Gründen der gleichmäßigen Handhabung in Anlehnung an die Grundentscheidung des Verordnungsgebers und aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung pauschaliert 0,10 Euro je gefahrenem Kilometer auf einem "Betriebsweg" von dem Fahrkostenersatz als Absetzbetrag zugrunde zu legen. Wenn allerdings höhere Aufwendungen nachgewiesen werden, die unmittelbar und ausschließlich mit der Erzielung dieses Einkommens verbunden und damit nicht wertend der privaten Lebensführung zuzuordnen sind, kann sich der Absetzbetrag erhöhen.

Darüber, welche Absetzungen im Einzelnen vorzunehmen sind, wird das LSG unter Berücksichtigung der vorhergehenden Ausführungen im wiedereröffneten Berufungsverfahren zu befinden haben.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 40/21.

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