Bundessozialgericht

Verhandlung B 14 AS 21/20 R

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben - parteipolitischer Jugendverband - Freizeit

Verhandlungstermin 14.12.2021 10:00 Uhr

Terminvorschau

D. E. ./. Stadt Leverkusen
Im Streit steht die Erstattung von Aufwendungen für die Teilnahme an einer Freizeit einer parteipolitischen Jugendorganisation als Leistung für Teilhabe in Höhe von 120 Euro im Sommer 2016.

Die zum damaligen Zeitpunkt minderjährige Klägerin bezog Alg II. Den Antrag auf Übernahme des Teilnahmebeitrags für die mehrwöchige Freizeit lehnte der beklagte kommunale Träger, der auf Grundlage eines Wahrnehmungsvertrags mit dem Jobcenter tätig wurde, ab. Mit ihrer Klage vor dem SG ist die Klägerin erfolgreich gewesen. Das SG hat den Beklagten zur Leistung verurteilt, weil es sich bei der Freizeit um eine solche iS des § 28 Abs 7 Satz 1 Nr 3 SGB II gehandelt habe. Die Eignung des Anbieters dieser Freizeit werde nicht allein deswegen in Frage gestellt, weil der Verfassungsschutz ihn beobachte. Es bedürfe eines ausdrücklichen Verbots der anbietenden Organisation, solle deren Eignung ausgeschlossen werden. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Das LSG hat auf die Berufung des Beklagten das Urteil des SG geändert und die Klage abgewiesen. Aktivitäten im Bereich der Parteipolitik unterfielen nicht den in § 28 Abs 7 SGB II aufgezählten Verwendungszwecken, der Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben. Die Freizeit habe der parteipolitischen Willensbildung und Nachwuchsförderung gedient. Deren Finanzierung widerspreche dem staatlichen Neutralitätsgebot.

Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung von § 28 Abs 7 SGB II. Bei der Auslegung und Anwendung der Vorschrift sei der auch Jugendorganisationen politischer Parteien umfassende Fördergedanke des Kinder- und Jugendhilferechts des SGB VIII heranzuziehen.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Düsseldorf - S 12 AS 4276/16, 06.09.2018
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - L 19 AS 1204/18, 07.11.2019

Die Vorschau zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 44/21.

Terminbericht

Die Klägerin ist mit ihrer Revision erfolglos geblieben. Sie hat keinen Anspruch auf Erstattung von Aufwendungen für Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft nach § 28 Abs 7 SGB II, die ihr durch die Teilnahme an dem Sommercamp des Jugendverbandes der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands (MLPD) vom 30.7. bis 13.8.2016 entstanden sind.

Nach § 28 Abs 7 Satz 1 Nr 3 SGB II wird bei Leistungsberechtigten bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres ein Bedarf zur Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft in Höhe von insgesamt 10 Euro monatlich für die Teilnahme an Freizeiten berücksichtigt. Zwar erfüllt die Klägerin die persönlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Leistungen nach § 28 Abs 7 SGB II. Das Sommercamp der Jugendorganisation unterfällt auch dem Freizeitbegriff des § 28 Abs 7 Satz 1 Nr 3 SGB II. Dem steht nicht entgegen, dass Veranstalter ein Jugendverband einer politischen Partei ist. Denn § 28 SGB II schließt Bedarfe für eine politische Teilhabe ein.

Bei dem Jugendverband handelt es sich jedoch nicht um einen geeigneten Anbieter. Das Erfordernis der Eignung ist in der Grundkonzeption der Leistungen für Bildung und Teilhabe nach dem SGB II angelegt. Nach § 4 Abs 2 Satz 2 SGB II wirken die nach § 6 SGB II zuständigen Träger darauf hin, dass Kinder und Jugendliche Zugang zu geeigneten vorhandenen Angeboten der gesellschaftlichen Teilhabe erhalten. Auch § 29 Abs 2 Satz 2 SGB II fordert die Eignung der Anbieter ein, wenn auch nach seinem Wortlaut nur für die Erbringung der Leistungen für Bildung und Teilhabe durch Gutscheine. Allein die Form der Leistungserbringung kann jedoch insoweit keinen Unterschied ausmachen. Damit müssen sowohl die inhaltliche Ausrichtung des Anbieters als auch die von ihm angebotene Freizeit ihrer Art und ihrem Inhalt nach die Gewähr bieten, eine Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft zu fördern.

Für die positive Feststellung der Eignung eines Anbieters bedarf es neben der Prüfung, ob der Anbieter die Leistung organisatorisch erbringen kann, jedenfalls eines Mindestmaßes an inhaltlicher Kontrolle. Diese macht sich ua fest am Kinder- und Jugendschutz, der Verfassungsrang genießt. Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf Entfaltung ihrer Persönlichkeit (Art 1 Abs 1 iVm Art 2 Abs 1 GG) und bedürfen dabei des Schutzes und der Hilfe, um sich zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten innerhalb der sozialen Gemeinschaft zu entwickeln. Ausdruck hiervon ist auch das staatliche Wächteramt nach Art 6 Abs 2 Satz 2 GG. Dessen Träger ist die staatliche Gemeinschaft in ihrem jeweiligen Kompetenzbereich, also auch die kommunalen Träger iS des § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB II, denen die Verantwortung für die rechtmäßige Erbringung der Leistungen nach § 28 SGB II obliegt.

Bestandteil der Aufgabe der SGB II-Leistungsträger, Kinder und Jugendliche vor Gefahren für ihr Wohl zu schützen, ist ua die Prüfung, ob von einem Anbieter Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung ausgehen. Ein Anbieter, der bezweckt, tragende Verfassungsgrundsätze zu beseitigen, ist nicht geeignet, zugleich gegenüber Kindern und Jugendlichen Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu erbringen. So liegt der Fall bei dem Anbieter der Freizeit, für die die Klägerin die Kostenerstattung begehrt.

Die Berichte zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 44/21.

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