Bundessozialgericht

Verhandlung B 14 AS 27/20 R

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben - parteipolitischer Jugendverband - Kooperationsvereinbarung

Verhandlungstermin 14.12.2021 11:00 Uhr

Terminvorschau

Jugendverband R. ./. Stadt Mülheim an der Ruhr
Der Kläger - der in dem Verfahren B 14 AS 2/20 R benannte parteipolitische Jugendverband - begehrt die Aufnahme in die von der beklagten Optionskommune geführte Liste von Anbietern der Leistungen zur Deckung von Bedarfen für die Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft nach § 28 Abs 7 SGB II (im Folgenden Anbieter) sowie die Verurteilung der Beklagten, mit ihm eine Kooperationsvereinbarung abzuschließen.

Den Antrag des Klägers, gerichtet auf Zulassung als Leistungsanbieter, lehnte die Beklagte ab. Der Abschluss einer Kooperationsvereinbarung mit einer politischen Partei oder deren Jugendorganisation entspreche nicht dem staatlichen Neutralitätsgebot. Der verfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz werde hierdurch nicht verletzt. Von der Beklagten berücksichtigte Jugendorganisationen seien nicht parteipolitisch motiviert.

Das SG hat den Bescheid über die Ablehnung des Klägers als Leistungsanbieter aufgehoben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Das LSG hat die Berufung des Klägers mit der Begründung zurückgewiesen, ein gesetzliches Zulassungsverfahren sei im Bereich der §§ 28 f SGB II nicht normiert. Eine Ermächtigung zum Erlass von Verwaltungsakten bestehe nicht. Wenn die Beklagte generell Kooperationsvereinbarungen abschließe und Anbieter, mit denen sie keine Vereinbarung abgeschlossen habe, faktisch nicht berücksichtige, sondern leistungsberechtigte Personen auf ihre Kooperationspartner verweise, sei sie verpflichtet, diesen Ausschluss rechtmäßig, insbesondere unter Beachtung grundrechtlicher Positionen der Anbieter diskriminierungsfrei zu gestalten. Da die Beklagte mit politischen Parteien oder deren Jugendorganisationen ausnahmslos keine Kooperationsvereinbarungen abschließe, unabhängig von ihrer politischen Gesinnung, könne der Kläger hier auch aus dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG keinen Anspruch herleiten.

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung der §§ 28 f SGB II sowie der Art 3 und 21 GG. Das staatliche Neutralitätsgebot finde vorliegend keine Anwendung und könne eine Ungleichbehandlung von Jugendorganisationen politischer Parteien gegenüber anderen, beispielsweise kirchlichen Anbietern von Jugendfreizeiten nicht rechtfertigen. Dies folge aus dem Regelungszusammenhang mit der Kinder- und Jugendhilfe, insbesondere aus § 83 Abs 1 Satz 2 SGB VIII.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Gelsenkirchen - S 50 AS 1284/18, 18.12.2018
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - L 7 AS 171/19, 05.12.2019

Die Vorschau zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 44/21.

Terminbericht

Der Kläger, bei dem es sich um den Jugendverband der MLPD handelt, ist mit seiner Revision nicht durchgedrungen. Er hat keinen Anspruch auf Aufnahme in die von dem Beklagten geführte Liste der Anbieter von Freizeiten iS des § 28 Abs 7 SGB II und auf Abschluss einer Kooperationsvereinbarung.

Zwar ist die Berechtigung, Anbieterlisten zu führen und Kooperationsvereinbarungen abzuschließen, nicht bereichsspezifisch in den §§ 28 f SGB II normiert. Den Trägern von Leistungen nach dem SGB II ist es andererseits grundsätzlich nicht verwehrt, Anbieterlisten als ständige Verwaltungspraxis zu führen, in denen geeignete Anbieter iS des § 29 Abs 2 Satz 2 SGB II aufgeführt sind und die leistungsberechtigten Personen zugänglich gemacht werden können. Dies folgt aus der in § 4 Abs 2 Satz 2 und 4 SGB II normierten Zugangsgewährleistungsverantwortung der Leistungsträger. Aus dieser folgt weiter die Berechtigung zum Abschluss von Kooperationsvereinbarungen mit geeigneten Anbietern. Anbieter können hieraus jedoch grundsätzlich keine subjektiven Ansprüche herleiten.

Aus dem Gleichheitsgrundsatz nach Art 3 Abs 1 GG iVm der Selbstbindung eines Leistungsträgers aufgrund einer ständigen rechtmäßigen Verwaltungspraxis kann sich jedoch ein Anspruch auf Gleichbehandlung ergeben. Dies gilt auch für Fälle, in denen trotz des Vorliegens der allgemeinen Voraussetzungen der Kläger unter Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes durch die Verwaltungspraxis von Leistungen ausgeschlossen wird.

Zwar ist es ständige Verwaltungspraxis der Beklagten, politische Parteien und deren Jugendorganisationen, mithin Anbieter auf parteipolitischem Gebiet, generell nicht zu berücksichtigen. Diese ist jedoch rechtswidrig. Aus dem gemeinsamen Regelungsgefüge von Leistungen zur Teilhabe nach dem SGB II und der Kinder- und Jugendhilfe folgt, dass die politische Bildung eine wesentliche Aufgabe ist. Differenziert die Verwaltung gleichwohl im Hinblick darauf, wen sie auf die Anbieterliste aufnimmt und mit wem sie Kooperationsvereinbarungen abschließt, bedarf es hierzu eines auch verfassungsrechtlich tragfähigen Unterscheidungsmerkmals. Ein solches stellt die Geeignetheit des Anbieters dar. Es müssen sowohl die inhaltliche Ausrichtung des Anbieters als auch die von ihm angebotene Freizeit ihrer Art und ihrem Inhalt nach die Gewähr bieten, eine Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft zu fördern.

Für die positive Feststellung der Eignung eines Anbieters bedarf es neben der Prüfung, ob der Anbieter die Leistung organisatorisch erbringen kann, jedenfalls eines Mindestmaßes an inhaltlicher Kontrolle. Unter Beachtung des verfassungsrechtlich vorgegebenen Kinder- und Jugendschutzes ist es wesentlicher Bestandteil dieser Prüfung, ob von einem Anbieter Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung ausgehen. Ein Anbieter, der bezweckt, tragende Verfassungsgrundsätze zu beseitigen, ist nicht geeignet, zugleich gegenüber Kindern und Jugendlichen Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu erbringen. So liegt der Fall hier.

Aus dem vom LSG in Bezug genommenen Parteiprogramm der MLPD sowie den Verfassungsschutzberichten des Landes Nordrhein-Westfalen und des Bundes ergeben sich verfassungsfeindliche Bestrebungen, die eine Geeignetheit auch der Jugendorganisation iS der vorhergehenden Ausführungen ausschließen.

Die Berichte zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 44/21.

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