Bundessozialgericht

Verhandlung B 12 KR 40/19 R

Beitragspflicht - Beitragsfreiheit - Kranken- und Pflegeversicherung - Firmenrente - Flugdienstuntauglichkeit

Verhandlungstermin 01.02.2022 10:00 Uhr

Terminvorschau

J. C. ./. 1. Kaufmännische Krankenkasse - KKH, 2. Pflegekasse bei der KKH
Die Klägerin war bis zum 30.6.2015 als Flugbegleiterin beschäftigt und bezieht seit 1.7.2015 aufgrund einer tarifvertraglichen Regelung eine Firmenrente wegen dauernder Flugdienstunfähigkeit in Höhe von etwa 1600 Euro monatlich. Sie bezog außerdem bis zum 30.9.2016 Arbeitslosengeld, war im Oktober 2016 freiwillig krankenversichert und nahm im Anschluss hieran an einer von der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) gewährten beruflichen Weiterbildungsmaßnahme teil. Die beklagte Krankenkasse erhob auf die Firmenrente Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und sozialen Pflegeversicherung (sPV). Den Antrag der Klägerin, ihr die Beiträge zu erstatten, da nach einer Entscheidung des BSG auf Übergangsbezüge keine Beiträge zu entrichten seien, lehnte sie ab. Bei der Firmenrente wegen dauernder Flugdienstuntauglichkeit als Invaliditätsleistung handele es sich um einen beitragspflichtigen Versorgungsbezug.

Das SG hat die beklagte Kranken‑ und beklagte Pflegekasse unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide antragsgemäß zur vollständigen Beitragsrückerstattung verurteilt. Das LSG hat die Klage nur hinsichtlich des Monats der freiwilligen Versicherung der Klägerin abgewiesen und im Übrigen die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Während des Arbeitslosengeldbezugs sowie der Weiterbildungsmaßnahme bleibe die Firmenrente beitragsfrei, weil es sich nicht um einen Versorgungsbezug iS von § 229 Abs 1 Nr 5 SGB V handele. Die Firmenrente diene weder der Versorgung im Alter noch werde sie wegen einer Einschränkung der Erwerbsfähigkeit gezahlt. Sie biete vielmehr einen Ausgleich für den Verlust des fliegerischen Arbeitsplatzes, weil sie allein an die fehlende Fähigkeit zur Ausübung der letzten beruflichen Tätigkeit anknüpfe. Maßstab einer gesetzlichen Erwerbsminderungsrente sei demgegenüber der allgemeine Arbeitsmarkt. Die Firmenrente sei auch nicht mit einer Rente wegen Berufsunfähigkeit vergleichbar, für die das Restleistungsvermögen im Verhältnis zu Versicherten mit vergleichbarer Ausbildung, Kenntnissen und beruflichen Erfahrungen maßgebend sei. Da nach den tarifvertraglichen Regelungen das Arbeitslosengeld nicht und das Erwerbseinkommen aus einer anderen Beschäftigung zur Hälfte angerechnet werde, gingen die Tarifvertragsparteien von einer fortbestehenden Erwerbsfähigkeit und nicht von einem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben aus.

Mit ihrer Revision rügen die Beklagten eine Verletzung von § 226 Abs 1 Satz 1 Nr 3 iVm § 229 Abs 1 Satz 1 Nr 5 SGB V. Sie machen geltend, auch Renten der GRV wegen teilweiser Erwerbsminderung setzten nicht ein vollständiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben voraus, sondern lediglich eine wegen Krankheit oder Behinderung nur noch eingeschränkte Erwerbsfähigkeit. Das SGB VI regele deshalb Hinzuverdienstgrenzen, die den hier anzuwendenden tarifvertraglichen Regelungen zur Anrechnung von Einkommen aus einem Arbeitsverhältnis ähnelten. Vergleichbarkeit liege insbesondere mit einer Rente für Bergleute nach § 45 Abs 3 SGB VI vor, die gewährt werden könne, wenn eine im Vergleich zu der bisher ausgeübten Beschäftigung wirtschaftlich gleichwertige Tätigkeit nicht mehr ausgeübt werde. Dass die Zahlung der Firmenrente mit dem vollendeten 63. Lebensjahr ende, entspreche der Begrenzung der gesetzlichen Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze. Zwar handele es sich bei der Firmenrente um die vorzeitige Inanspruchnahme der nach dem Tarifvertrag ab dem 55. Lebensjahr in Betracht kommenden Firmenrente, die nach einem Rundschreiben des GKV-Spitzenverbands inzwischen als beitragsfreie Überbrückungsleistung angesehen werde. Anders als diese setze die Firmenrente der Klägerin jedoch den Eintritt von Flugdienstuntauglichkeit und damit einen Leistungsfall der Erwerbsminderung voraus.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Berlin - S 166 KR 569/17, 15.12.2017
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg- L 1 KR 16/18, 14.11.2019

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 4/22.

Terminbericht

Die Revision der beklagten Krankenkasse ist erfolgreich gewesen, soweit nach einer teilweisen Erledigung des Rechtsstreits im Wege eines Vergleichs nur noch über die Erstattung von Beiträgen zur gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) für die Zeit vom 1.7.2015 bis zum 30.9.2016 zu entscheiden war. Die Firmenrente wegen Flugdienstuntauglichkeit unterliegt als Rente der betrieblichen Altersversorgung im Sinne des § 229 Abs 1 Satz 1 Nr 5 SGB V der Beitragspflicht zur GKV. Sie wird im Zusammenhang mit der früheren Beschäftigung geleistet und ersetzt entfallenes Arbeitsentgelt. Sie wird auch "wegen einer Einschränkung der Erwerbsfähigkeit" erzielt. Das ist bei Rentenleistungen der Fall, die - wie die Firmenrente - ihren Grund in einer nicht nur vorübergehend bestehenden körperlichen oder geistigen Einschränkung haben, die (jedenfalls teilweise) zum Wegfall des Leistungsvermögens führt, und einem rententypischen Versorgungszweck dienen. Hingegen kommt es nicht darauf an, dass der Versicherungsfall der eingeschränkten Erwerbsfähigkeit in gleicher Weise wie nach dem SGB VI definiert wird oder im Einzelfall mit Eintritt der Flugdienstuntauglichkeit zugleich die Tatbestandsvoraussetzungen einer Erwerbsminderungsrente der gesetzlichen Rentenversicherung erfüllt sind. Unerheblich ist daher, dass die Firmenrente auf das Leistungsvermögen in einem bestimmten Berufsfeld und nicht die Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes abstellt. Das allein am Versorgungszweck orientierte Verständnis folgt insbesondere aus der Regelungsintention und der Gesetzessystematik. Die Firmenrente wegen Flugdienstuntauglichkeit ist keine beitragsfreie Überbrückungsleistung für den Verlust des Arbeitsplatzes.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 4/22.

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