Bundessozialgericht

Verhandlung B 5 R 33/21 R

Rentenversicherung - Witwerrentenanspruch - Familienunterhalt - letzter wirtschaftlicher Dauerzustand - Pflegeversicherungsleistungen

Verhandlungstermin 03.02.2022 11:30 Uhr

Terminvorschau

W. D. ./. Deutsche Rentenversicherung Bund
Der Kläger begehrt eine Witwerrente nach § 46 Abs 2 Satz 1 Nr 2 iVm § 303 Satz 1 Alt 2 SGB VI. Dabei steht in Streit, ob die Leistungen der Pflegekasse für die stationäre Pflege seiner 2017 verstorbenen Ehefrau als ihr Beitrag zum Familienunterhalt zu werten sind. Nach altem Recht hing die Bewilligung der Witwerrente davon ab, ob die Ehefrau den Unterhalt der Familie überwiegend bestritt.

Die Eheleute hatten eine gemeinsame Erklärung über die weitere Anwendung des bis zum 31.12.1985 geltenden Hinterbliebenenrentenrechts abgegeben. Die Ehefrau wurde zuletzt stationär in einem Pflegeheim versorgt. Die Kosten hierfür beliefen sich in ihrem letzten Lebensjahr auf ca 41.900 Euro. Hiervon übernahm die Pflegekasse ca 19.600 Euro, die direkt an den Pflegeheimträger geleistet wurden.

Die Beklagte lehnte den Antrag des Klägers auf Hinterbliebenenrente ab. Das SG hat sie zur Zahlung einer Witwerrente an den Kläger verurteilt. Auf die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das LSG das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Ein Anspruch des Klägers bestehe nicht, weil die Ehefrau im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor ihrem Tod den Unterhalt der Familie nicht überwiegend bestritten habe. Der Eigenanteil an den Kosten der stationären Pflege in Höhe von ca 23.400 Euro habe überwiegend aus dem Einkommen des Klägers gedeckt werden müssen. Dessen Einkommen im maßgeblichen Zeitraum hat das LSG mit ca 17.600 Euro beziffert, dasjenige der Ehefrau mit ca 6.900 Euro.

Mit seiner Revision macht der Kläger geltend, die Leistungen der Pflegekasse seien zur Erfüllung zivilrechtlicher Zahlungsansprüche des Pflegeheimbetreibers gegen die Ehefrau verwendet worden und daher als deren Unterhaltsbeitrag zu werten.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Würzburg - S 6 R 794/17, 27.11.2018
Bayerisches Landessozialgericht - L 19 R 25/19 R, 13.11.2019

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Terminbericht

Der Senat hat das Urteil des LSG aufgehoben und die Sache zurückverwiesen. Das LSG ist zwar im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass die Leistungen der Pflegekasse nicht als Unterhaltsbeitrag der Ehefrau des Klägers zu werten waren. Der Senat konnte anhand der bisherigen Feststellungen aber nicht abschließend entscheiden, ob der Kläger eine Witwerrente nach § 46 Abs 2 Satz 1 Nr 2 iVm § 303 Satz 1 SGB VI beanspruchen kann.

Nach diesen Vorschriften zur weiteren Anwendung des bis Ende 1985 geltenden Hinterbliebenenrentenrechts besteht ein Anspruch auf eine Witwerrente nur, wenn die Ehefrau den Unterhalt der Familie im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand überwiegend bestritten hat. Das ist in der Regel dann der Fall, wenn ihr Unterhaltsbeitrag in dem Jahr vor ihrem Tod mehr als die Hälfte des gesamten Familienunterhalts ausgemacht hat. Zum Familienunterhalt zählt nach den grundsätzlich maßgeblichen unterhaltsrechtlichen Vorschriften der §§ 1360, 1360a BGB alles, was nach den wirtschaftlichen Verhältnissen der Eheleute erforderlich ist, um die Kosten des Haushalts zu bestreiten und die persönlichen Bedürfnisse der Ehegatten zu befriedigen. Im Fall stationärer Pflege eines Ehepartners bestimmt sich der Familienunterhalt auch nach dessen Heim- und Pflegekosten zuzüglich eines Barbetrages für die Bedürfnisse des täglichen Lebens. Soweit dieser Bedarf durch Leistungen der Pflegeversicherung gedeckt wurde, ist dies jedoch im Rahmen des § 303 SGB VI nicht als Unterhaltsbeitrag der pflegebedürftigen Ehefrau zum Familienunterhalt zu werten. Insofern folgt der Senat der Entscheidung des BSG vom 16.3.2006 zu § 4 Abs 2 SGB XI aF nicht. Aus Sinn und Zweck der Witwerrente nach altem Recht ergibt sich vielmehr eine entsprechende Einschränkung. Mit dieser Rente soll der konkrete materielle Verlust ausgeglichen werden, den der Witwer durch den Tod der Ehefrau erleidet. Für die Annahme einer überwiegenden Unterhaltsleistung der Ehefrau wurde daher im Regelfall für erforderlich gehalten, dass die Ehefrau aufgrund eigener Erwerbstätigkeit Einkommen erzielte und damit zum Unterhalt der Familie beitrug. Hinsichtlich der allein zugunsten der Pflegebedürftigen gewährten Sachleistungen der Pflegeversicherung tritt ein solcher Verlust nicht ein. Gerade in der besonderen Situation der stationären Pflege eines Ehegatten, die nicht zu einem Getrenntleben der Ehepartner führt, sind die zweckgebundenen Sachleistungen der Pflegeversicherung für die Lebensführung des anderen Ehegatten nicht relevant. Dieses Ergebnis entspricht auch der zivilrechtlichen Rechtsprechung in Fällen der stationären Pflege eines Ehegatten bei fortbestehender ehelicher Lebensgemeinschaft. Die Sachleistungen der Pflegeversicherung berücksichtigt diese Rechtsprechung auf Seiten des Pflegebedürftigen regelmäßig ebenso wenig wie Kosten für ärztliche Behandlungen, soweit sie von der Krankenkasse getragen werden.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 3/22.

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