Bundessozialgericht

Verhandlung B 5 R 34/21 R

Rentenversicherung - Nachversicherung - Mitglied - Religionsgemeinschaft - Verjährungseinrede - Rechtsmissbräuchlichkeit

Verhandlungstermin 03.02.2022 12:30 Uhr

Terminvorschau

Dr. R. M. als Insolvenzverwalter über das Vermögen des D. e.V. ./. Deutsche Rentenversicherung Bund, beigeladen: K. L.
Die Beteiligten streiten über die Zahlung von Nachversicherungsbeiträgen für den Beigeladenen für den Zeitraum vom 1.4.1973 bis zum 31.10.1982.

Der ursprünglich klagende Insolvenzschuldner ist der Trägerverein einer Freikirche. Der Beigeladene war seit April 1973 Mitglied dieser Gemeinschaft und stellte ihr seine Arbeitskraft in verschiedenen sog Glaubenshäusern zur Verfügung. Neben dem freien Unterhalt erhielt er keine Barbezüge. Am 31.10.1982 schied er aus der Gemeinschaft aus. Im März 2013 beantragte er bei der Beklagten die Durchführung einer Nachversicherung. Daraufhin forderte die Beklagte vom Insolvenzschuldner die Zahlung von Nachversicherungsbeiträgen. Zwar sei bereits im Jahr 1982 der Nachversicherungsfall eingetreten. Die im Vorfeld erhobene Einrede der Verjährung sei jedoch rechtsmissbräuchlich, weil der Insolvenzschuldner die Beklagte nicht über das Ausscheiden des Beigeladenen informiert und sie dadurch von der rechtzeitigen Geltendmachung ihrer Beitragsforderung abgehalten habe.

Das SG hat den angefochtenen Bescheid aufgehoben. Das LSG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Die Nachforderung von Beiträgen sei verjährt. Auch sei die Erhebung der Verjährungseinrede nicht rechtsmissbräuchlich. Jedenfalls in Fällen, in denen der Nachversicherungsschuldner kein öffentlich-rechtlicher Träger sei, begründe das objektiv pflichtwidrige Verhalten, hier das Unterlassen der Nachversicherung nach dem Ausscheiden des Beigeladenen, noch keine Treuwidrigkeit. Es könnten in dieser Konstellation nicht dieselben juristischen Kenntnisse erwartet werden wie von einem öffentlich-rechtlichen Träger. Der Beigeladene sei - anders als ein im öffentlichen Dienst versicherungsfrei Beschäftigter - mangels Barbezügen und mangels Beschäftigung in der streitbefangenen Zeit nicht versicherungspflichtig gewesen. Dass er bei gleicher Tätigkeit an anderer Stelle versicherungspflichtig gewesen wäre, liege "nicht auf der Hand". Für die Rechtsmissbräuchlichkeit der Verjährungseinrede gälten strenge Voraussetzungen, die hier nicht erfüllt seien.

Dagegen hat die Beklagte Revision eingelegt. Im Juni 2020 ist das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Trägervereins eröffnet und der Kläger als Insolvenzverwalter eingesetzt worden. Die Beklagte hat ihre Beitragsforderung zur Insolvenztabelle angemeldet. Der Kläger hat die Forderung bestritten.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Heilbronn - S 8 R 1512/17, 20.04.2018
Landessozialgericht Baden-Württemberg - L 9 BA 1892/18, 17.02.2020

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Terminbericht

Die Revision der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Die Voraussetzungen für eine Nachversicherung des Beigeladenen nach § 233 Abs 1 Satz 1 SGB VI iVm § 9 Abs 5 AVG lagen zwar vor. Das LSG hat jedoch zu Recht entschieden, dass die Forderung von Nachversicherungsbeiträgen verjährt ist und der Kläger sich darauf berufen darf.

Der Beitragsanspruch des Rentenversicherungsträgers entstand kraft Gesetzes mit dem Ausscheiden des Beigeladenen aus der Gemeinschaft im Oktober 1982. Da nach den Feststellungen des LSG Beiträge nicht vorsätzlich vorenthalten wurden, gilt eine vierjährige Verjährungsfrist, die am 31.12.1986 endete. Die Erhebung der Verjährungseinrede war auch nicht rechtsmissbräuchlich. Der Zweck der Verjährung, Rechtsfrieden und Rechtssicherheit zu gewährleisten, gebietet es, strenge Maßstäbe anzulegen und den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung nur gegenüber einem wirklich groben Verstoß gegen Treu und Glauben durchgreifen zu lassen. Das gilt grundsätzlich auch bei einer Nachversicherung. Soweit der Senat in einer früheren Entscheidung allein die nicht erfolgte Nachversicherung ausreichen ließ, um eine besondere Treuwidrigkeit durch Unterlassen anzunehmen, bedarf dies einer entsprechenden Eingrenzung.

Die Beklagte kann hier bereits deshalb den Einwand des Rechtsmissbrauchs nicht mehr erheben, weil ihr jedenfalls nach einer Vorsprache des Beigeladenen in einer Rentenberatungsstelle der Beklagten im Jahr 2004 hinreichende Anhaltspunkte für eine Verpflichtung des Insolvenzschuldners zur Durchführung der Nachversicherung bekannt waren. Wenn die Beklagte sodann ihre Beitragsforderung nicht geltend gemacht hat, beruhte dies nicht mehr - allein - auf einem treuwidrigem Verhalten des Insolvenzschuldners. Es kommt hinzu, dass seit dem Eintritt der Nachversicherungspflicht mehr als 30 Jahre vergangen waren. Wenn das Gesetz in § 25 Abs 1 Satz 2 SGB IV selbst bei einer vorsätzlichen Vorenthaltung von Beiträgen nach 30 Jahren eine Verjährung annimmt, würde es der vom Gesetzgeber getroffenen Wertung widersprechen, bei einer fahrlässigen Pflichtverletzung ohne Hinzutreten weiterer Umstände selbst nach diesem langen Zeitraum eine Berufung auf die Verjährung zu verwehren. Schließlich hat das LSG zu Recht die Besonderheit der Nachversicherung nach § 9 Abs 5 AVG herausgestellt. Der Beigeladene übte hier keine Tätigkeit aus, die an anderer Stelle ohne Weiteres versicherungspflichtig gewesen wäre.

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