Bundessozialgericht

Verhandlung B 3 KR 9/20 R

Krankenversicherung - Krankengeldspitzbetrag - Übergangsgeldbezug - freiwillig Versicherter

Verhandlungstermin 17.02.2022 14:15 Uhr

Terminvorschau

R. M. ./. AOK PLUS - Die Gesundheitskasse für Sachsen und Thüringen
Im Streit steht die Zahlung eines sogenannten Krankengeldspitzbetrags bei Bezug von Übergangsgeld eines freiwillig Versicherten.

Der als selbstständiger Gas- und Wasserinstallateur nach der Mindestbeitragsbemessungsgrundlage von 400 Euro freiwillig rentenversicherte Kläger bezog wegen Arbeitsunfähigkeit von der beklagten Krankenkasse als freiwillig Versicherter Krankengeld ab dem 2.1.2012 mit einem Zahlbetrag von 29,82 Euro täglich, gefolgt von der Zahlung von Übergangsgeld des Rentenversicherungsträgers während einer von diesem erbrachten stationären Leistung zur medizinischen Rehabilitation vom 26.4. bis 22.5.2012 in Höhe von netto 7,26 Euro täglich. Den Antrag auf Zahlung des Differenzbetrags zwischen dem bis dahin bezogenen Krankengeld und dem Übergangsgeld als Krankengeldspitzbetrag lehnte die Beklagte unter Verweis auf das Aufstockungsverbot des § 49 Abs 3 SGB V ab.

Während der Kläger mit dem weiterverfolgten Begehren vor dem SG ohne Erfolg blieb, hat das LSG dessen Urteil auf die vom SG zugelassene Berufung geändert und die Beklagte unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen sinngemäß zur Zahlung eines Krankengeldspitzbetrags in Höhe von 18,97 Euro täglich im streitbefangenen Zeitraum verurteilt. Zur Vermeidung einer verfassungsrechtlich unzureichenden sozialen Absicherung auf Basis der rentenversicherungsrechtlichen Mindestbeitragsbemessungsgrundlage sei das Aufstockungsverbot des § 49 Abs 3 SGB V verfassungskonform auszulegen und das Übergangsgeld aufzustocken. Dazu sei das Krankengeld um den Betrag zu kürzen, welcher der Berechnung des Übergangsgeldes nach § 21 Abs 2 SGB VI zu Grunde gelegen habe.

Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision nur der Beklagten rügt diese die Verletzung des Aufstockungsverbots nach § 49 Abs 3 SGB V, das keine ausnahmsweise Zahlung eines Krankengeldspitzbetrags vorsehe.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Meiningen - S 16 KR 625/14, 27.01.2015
Thüringer Landessozialgericht - L 6 KR 504/15, 27.11.2018

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Terminbericht

Die Revision der Beklagten war vollständig unbegründet, nachdem der Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat sein Zahlungsbegehren begrenzt hat. Zutreffend hat das LSG entschieden, dass dem Kläger für die Dauer der Leistung zur medizinischen Rehabilitation aufstockendes Krankengeld zu zahlen ist. Erlaubt der Gesetzgeber selbstständig Tätigen eine Begrenzung der Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung auf die Mindestbeitragsbemessungsgrundlage bei gleichzeitig voller Absicherung des Risikos von Arbeitsunfähigkeit als freiwillig Versicherte in der gesetzlichen Krankenversicherung, ruht ihr Anspruch auf Krankengeld aus der Krankenversicherung während des Bezugs von Übergangsgeld aus der Rentenversicherung nur anteilig. Allerdings ist das Übergangsgeld nur bis zu dem Betrag aufzustocken, zu dem es bei voller rentenversicherungsrechtlicher Absicherung bezogen würde.

Trifft bei Arbeitsunfähigkeit ein Anspruch auf Krankengeld mit einem Anspruch auf vergleichbare Entgeltersatzleistungen aus anderen Sicherungssystemen zusammen, ist nach der Grundregel der Anspruch auf Krankengeld zur Vermeidung eines Doppelbezugs grundsätzlich zum Ruhen gebracht, "soweit und solange" die vergleichbare Leistung bezogen wird (§ 49 Abs 1 Nr 3 SGB V). Diese Grundregel wird ergänzt durch ein Aufstockungsverbot, nach dem aufstockendes Krankengeld nicht zu zahlen ist beim Bezug von "auf Grund gesetzlicher Bestimmungen gesenkte(n)" Entgelt- oder Entgeltersatzleistungen (§ 49 Abs 3 SGB V, eingeführt durch Gesetz vom 1.11.1996, BGBl I 1631). Dieses Verbot hat der 1. Senat des BSG dahin ausgelegt, dass eine nach der Grundregel mögliche Aufstockung einer Entgelt- oder Entgeltersatzleistung durch ergänzendes Krankengeld - als Krankengeldspitzbetrag - dem Grunde nach ausgeschlossen ist, wenn die Regeln über die betreffenden Leistungen gesetzlich geändert und dadurch die Leistungen verringert worden sind, etwa durch eine Senkung des Vomhundertsatzes. Das hat er auch beim Übergangsgeld angenommen (BSG vom 12.3.2013 - B 1 KR 17/12 R - SozR 4-2500 § 49 Nr 6 RdNr 14 ff). Diese Rechtsprechung macht sich der nunmehr für das Krankengeld zuständige 3. Senat des BSG zu eigen und führt sie ausdrücklich fort.

Anders liegt es insoweit aber im Hinblick auf eine Entscheidung des BVerfG bei freiwillig Krankenversicherten, was der 1. Senat noch offen lassen konnte (aaO RdNr 23). Das BVerfG hat es als mit Art 3 Abs 1 GG nicht vereinbar angesehen, dass nach früherer Rechtslage der Bezug von Verletztengeld aus der gesetzlichen Unfallversicherung oder von Übergangsgeld aus der gesetzlichen Rentenversicherung auch insoweit zum Ruhen des Anspruchs auf Krankengeld führt, als dieses um den Krankengeldspitzbetrag höher wäre (BVerfG vom 9.11.1988 - 1 BvL 22/84 - BVerfGE 79, 87). Solange der Gesetzgeber Selbständigen die Gestaltungsmöglichkeit offenhalte, ihre wirtschaftliche Sicherung "in erster Linie nicht in der Rentenversicherung [..], sondern in der Krankenversicherung“ zu suchen, seien sie entsprechend dieser Entscheidung für einen vorrangigen Krankenversicherungsschutz zu behandeln (aaO S 104 <juris RdNr 53>). Dem folgend geht der Senat von einer solchen ("in erster Linie“) auf die Absicherung des Risikos von Arbeitsunfähigkeit zielenden Gestaltung als freiwillig gesetzlich Krankenversicherter aus, wenn eine freiwillige Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung - und demgemäß eine Beitragsbemessung unter Berücksichtigung der gesamten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit (§ 240 Abs 1 Satz 2 SGB V) - zusammentrifft mit einer freiwilligen Versicherung in der Rentenversicherung nach der Mindestbeitragsbemessungsgrundlage (§ 161 Abs 2, 167 SGB VI). Bei solchen Fallgestaltungen lässt sich das geringere Sicherungsniveau des Übergangsgelds nicht verstehen als Folge "gesetzlicher [Absenkungs-]Bestimmungen“, die nach der gesetzlichen Konzeption des Aufstockungsverbots - in Kenntnis der Entscheidung des BVerfG - schon dem Grunde nach nicht durch Mittel der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeglichen werden sollen.

Allerdings bedingt das nur eine begrenzte teleologische Reduktion des Aufstockungsverbots. Zwar dürfen freiwillig Krankenversicherte bei - gesetzlich eröffneten - Gestaltungen wie hier nach den vom BVerfG angeführten Gründen nicht auf Übergangsgeld nur nach der Mindestbeitragsbemessungsgrundlage verwiesen werden. Nicht zu beanstanden ist jedoch, dass pflichtversicherte Arbeitsunfähige während der Teilnahme an einer Leistung zur medizinischen Rehabilitation als Entgeltersatz nur Übergangsgeld aus der Rentenversicherung beziehen; das vermeidet, dass die Krankenkassen für Kostendämpfungsfolgen anderer Sicherungssysteme aufzukommen haben und ist von Verfassungs wegen hinzunehmen (so bereits BSG vom 12.3.2013 - B 1 KR 17/12 R - SozR 4-2500 § 49 Nr 6 RdNr 19 ff). Im Ergebnis begrenzt das den Anspruch Pflichtversicherter auf Entgeltersatz bei Arbeitsunfähigkeit während der Teilnahme an einer Leistung zur medizinischen Rehabilitation auf das Sicherungsniveau des Übergangsgelds - bei identischer Bemessungsgrundlage (§ 49 SGB IX hier in der Fassung des Gesetzes vom 19.6.2001, BGBl I 1046; nunmehr § 69 SGB IX) - aus der gesetzlichen Rentenversicherung.

Diese Begrenzung ist auch beachtlich, soweit freiwillig Krankenversicherte infolge der Rechtsprechung des BVerfG vom Aufstockungsverbot des § 49 Abs 3SGB V auszunehmen sind. Sie rechtfertigt die Freistellung von dem Aufstockungsverbot bei freiwilliger Krankenversicherung mit einer - wie hier - auf die Mindestbeitragsbemessungsgrundlage begrenzten Rentenversicherung nur, soweit freiwillig Versicherte wegen dieser Gestaltung Übergangsgeld nicht in der Höhe erhalten, wie sie Pflichtversicherten bei einem vergleichbaren Arbeitsentgelt zusteht. Nur wegen der vom gesetzlichen Regelfall abweichenden Gestaltung höhere Entgeltersatzleistungen zu erhalten als Pflichtversicherte es beanspruchen könnten, ist hingegen nicht gerechtfertigt; im Ergebnis kann ein freiwillig Versicherter mit der Aufstockung daher nicht mehr erhalten, als er als Pflichtversicherter bei einem entsprechenden Arbeitseinkommen als Übergangsgeld beziehen würde (§ 21 Abs 2 SGB VI, § 46 Abs 1 Satz 3 Nr 2 SGB IX aF). Daraus resultiert im Fall des Klägers ein von der Beklagten für den streitbefangenen Zeitraum zu zahlender Krankengeldspitzbetrag von 15,91 Euro täglich.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 6/22.

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