Bundessozialgericht

Verhandlung B 3 KR 13/20 R

Krankenversicherung - Vergütung - Krankentransportleistung - privater Unternehmer

Verhandlungstermin 17.02.2022 11:00 Uhr

Terminvorschau

KBA e.V. ./. BARMER
Im Streit steht die Vergütung von Krankentransportleistungen privater Krankentransportunternehmen.

Die Kläger sind ein Verein für Krankentransporte, Behinderten- und Altenhilfe und dessen Tochtergesellschaft. Sie erhielten ab 2009 (Kläger) bzw im Mai 2017 (Klägerin) Genehmigungen für die Durchführung von Krankentransporten mit Personen, die während der Fahrt einer medizinisch fachlichen Betreuung oder der besonderen Einrichtung des Krankenkraftwagens bedürfen, mit zwei Fahrzeugen außerhalb des öffentlich-rechtlichen Rettungsdienstes in Neumünster in Schleswig-Holstein. Diese Genehmigung ist landesrechtlich zu erteilen, soweit die zusätzlichen Kapazitäten keine Beeinträchtigung des von den Kreisen und kreisfreien Städten in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft sicherzustellenden Rettungsdienstes und des darin einbezogenen Krankentransports erwarten lassen (§ 6 iVm § 10, § 11 Abs 3 Rettungsdienstgesetz Schleswig-Holstein in der hier maßgebenden, bis zum 24.5.2017 geltenden Fassung). Gemessen daran seien hier zwei weitere Krankentransportfahrzeuge verträglich gewesen. Die Genehmigungen berechtigten und verpflichteten die Kläger dazu, im Betriebsbereich - hier dem Gebiet der Stadt Neumünster - während der festgelegten Betriebszeiten - hier täglich von 6:00 bis 18:00 Uhr - mit der genehmigten Anzahl von Fahrzeugen auf Anfrage Krankentransporte durchzuführen und hierfür eine eigene Zentrale vorzuhalten. Der Kläger kam dem bis Ende 2016 nach, die Klägerin von Juni 2017 an; im April 2018 stellte sie den Betrieb ein.

Nach Aufnahme von Vergütungsverhandlungen im November 2009 machten Krankenkassen unter Einschluss der Beklagten dem Kläger im August 2012 ein Angebot, auf dessen Grundlage die Krankentransportleistungen vorläufig vergütet wurden (59,00 Euro zzgl 1,90 Euro ab dem 11. Beförderungskilometer). Eine endgültige Entgeltvereinbarung kam nicht zustande wie später ebenfalls nicht mit der Klägerin.

Auf die im Juni 2013 erhobene Klage zuletzt mit dem Ziel einer Grundpauschale von 84,42 Euro und einem Besetztkilometerentgelt von 2,01 Euro ab dem 1. Besetztkilometer hat das SG die Beklagte bei Klageabweisung im Übrigen verpflichtet, dem Kläger höhere Entgelte nach ihrem letzten Angebot zu zahlen (63,00 Euro zzgl 1,95 Euro ab dem 7. Beförderungskilometer; 64,60 Euro zzgl 2,00 Euro ab dem 7. Besetztkilometer ab dem 1.1.2015; 66,50 Euro zzgl 2,05 Euro ab dem 7. Beförderungskilometer ab dem 1.1.2016). Die Berufung (nur) des Klägers hiergegen und die Klage der erst im Berufungsverfahren beigetretenen Klägerin blieben erfolglos: Nach den in der Rechtsprechung entwickelten Maßstäben hätten sie weder Anspruch auf höhere Vergütung für in der Vergangenheit durchgeführte Krankentransporte noch auf Abschluss entsprechender Vereinbarungen (Hinweis auf BSG vom 20.11.2008 - B 3 KR 25/07 R - SozR 4-2500 § 133 Nr 3); die für andere ortsnahe private Krankentransportunternehmen vereinbarten Entgelte unterschieden sich nicht wesentlich von den Angeboten der Beklagten hier.

Mit ihren vom Senat zugelassenen Revisionen rügen die Kläger die Verletzung von Art19 Abs 4, Art 12 Abs 1 und Art 3 Abs 1 GG sowie von § 133 SGB V. Dessen Regelung verwirkliche kein Marktmodell; sie hätten Anspruch auf leistungsgerechte Entgelte unter Berücksichtigung ihrer plausiblen Kalkulation. Mangels eines außergerichtlichen Streitschlichtungsmechanismus seien diese Entgelte gerichtlich festzusetzen.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Lübeck - S 1 KR 313/13, 10.05.2016
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht - L 5 KR 112/16, 17.10.2019

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Terminbericht

Die Revisionen der Kläger waren unbegründet. Zutreffend hat das LSG die Klage der Klägerin abgewiesen und die Berufung des Klägers gegen die teilweise Abweisung seiner Klage zurückgewiesen. Dass den Klägern von Rechts wegen Anspruch auf eine höhere Vergütung der von ihnen durchgeführten Krankentransporte zustehen könnte, ist nach den Feststellungen des LSG nicht zu erkennen.

Sind Entgelte für die Inanspruchnahme von Leistungen des Rettungsdienstes und anderer Krankentransporte nicht durch landesrechtliche oder kommunalrechtliche Bestimmungen festgelegt, schließen die Krankenkassen oder ihre Landesverbände gemäß § 133 Abs 1 Satz 1 SGB V in der seit dem GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000 vom 22.12.1999 (BGBl I 2626) im Wesentlichen unveränderten und der Sache nach auf die bei Einführung des SGB V zurückgehenden Fassung Verträge über die Vergütung dieser Leistungen unter Beachtung des § 71 Abs 1 bis 3 SGB V mit dafür geeigneten Einrichtungen oder Unternehmen. Diese Vorschrift findet hier Anwendung, nachdem eine landesrechtliche Bestimmung von Benutzungsentgelten für Krankentransportleistungen mit Krankenkassen oder deren Verbänden und dem Verband der privaten Krankenversicherung ausschließlich für die im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Rettungsdienstes erbrachten Leistungen vorgesehen ist (§ 8a Rettungsdienstgesetz Schleswig-Holstein <RDG> in der bis zum 24.5.2017 geltenden Fassung bzw seither § 7 idF des Gesetzes vom 28.3.2017, GVOBl 256), was der Senat in Ermangelung entsprechender ausdrücklicher Feststellungen des LSG den maßgeblichen Vorschriften selbst entnehmen kann.

Erreichen Krankenkassen und Leistungserbringer keine Verständigung zur Vergütung von Krankentransportleistungen, die dem Anwendungsbereich von § 133 Abs 1 SGB V unterfallen, gewährt die Regelung ständiger Rechtsprechung des BSG zufolge weder ausdrücklich noch mittelbar Anspruch auf eine Entgeltbestimmung im Rahmen oder nach Art eines Schiedsverfahrens. Der Senat hat demgemäß erst recht die Gerichte grundsätzlich daran gehindert gesehen, das, was ein Leistungserbringer in Verhandlungen mit einer Krankenkasse nicht hat durchsetzen können, nachträglich zum Vertragsinhalt zu machen. Darin hat er einen systemwidrigen Eingriff in eine gesetzliche Konzeption erblickt, die von der Einschätzung getragen wird, die Vertragspartner seien im Stande, ausgewogene und interessengerechte Lösungen zu vereinbaren (vgl nur BSG vom 20.11.2008 - B 3 KR 25/07 R - SozR 4-2500 § 133 Nr 3 RdNr 33 mwN; vgl auch zur prozessualen Lage bei einem gescheiterten Schiedsspruch nur BSG vom 23.6.2016 - B 3 KR 26/15 R - BSGE 121, 243 = SozR 4-2500 § 132a Nr 10, RdNr 21 ff). Daran hält er nach erneuter Prüfung ausdrücklich fest.

Dem stehen die zum Vergütungsrecht des SGB XI entwickelten Grundsätze nicht entgegen (grundlegend zum stationären Bereich BSG vom 29.1.2009 - B 3 P 7/08 R - BSGE 102, 227 = SozR 4-3300 § 85 Nr 1). Von dessen Erstreckung auf die Entgeltbestimmung nach § 133 Abs 1 SGB V hat der Bundesgesetzgeber bislang abgesehen (vgl zum nicht umgesetzten Vorschlag des Bundesrats BT-Drs 18/4095 S 189 f, 217). Das erscheint auch nicht systemwidrig. Soweit das Vergütungsrecht des SGB XI im Interesse der Versorgungssicherheit (§ 12 Abs 1 Satz 1 SGB XI) auf ausdifferenzierte Vergütungen unter Berücksichtigung von Einrichtungsbesonderheiten zielt (vgl nur für den stationären Bereich BSG aaO RdNr 27), muss das auf die bundesrechtlichen Vorgaben zur Vergütung qualifizierter Krankentransportleistungen im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung nicht übertragen werden. Die Sicherstellung des Rettungsdienstes ist keine Aufgabe der Krankenkassen, sondern obliegt jedenfalls seit der Herauslösung aus dem bundesrechtlichen Personenbeförderungsrecht (vgl § 1 Abs 2 Nr 2 PBefG idF des Gesetzes vom 25.7.1989, BGBl I 1547) der ausschließlichen Verantwortung der Länder. Dem entsprechend ist dem Gesetzgeber auf Bundesebene eine erschöpfende Ausgestaltung der Vergütung für Krankentransportleistungen im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung nach Art des pflegeversicherungsrechtlichen Vergütungsrechts weder möglich noch kompetenzrechtlich erlaubt. Dass er sich vor diesem Hintergrund auf die Anordnung des Vorrangs landesrechtlicher Vergütungsbestimmungen und dessen Grenzen (§ 133 Abs 1 Satz 1 und 2, Abs 2 SGB V) beschränkt und die Vergütung im Übrigen an möglichst preisgünstigen Versorgungsmöglichkeiten ausgerichtet hat (§ 133 Abs 1 Satz 5 SGB V), erscheint vor diesem Hintergrund weder sachwidrig noch sonst unbillig.

Dass das LSG auf dieser Grundlage die von den Klägern verfolgten Ansprüche auf höhere Vergütungen zu Unrecht als unbegründet angesehen hat, ist ebenfalls nicht zu erkennen. Nach dem Landesrettungsdienstrecht Schleswig-Holsteins war die Versorgung mit Krankentransportleistungen im gesamten streitbefangenen Zeitraum und ist sie auch weiterhin weit überwiegend dem öffentlich-rechtlichen Rettungsdienst zugeordnet. Genehmigungen für die Durchführung von Krankentransporten außerhalb dessen waren und sind demgemäß zu versagen, wenn zu erwarten ist, dass durch ihren Gebrauch unter Berücksichtigung insbesondere der bedarfsgerechten Vorhaltung und Auslastung im Rettungsdienstbereich das öffentliche Interesse an einem funktionsfähigen Rettungsdienst beeinträchtigt wird (im Streitzeitraum § 11 Abs 3 RDG in der bis zum 24.5.2017 geltenden Fassung). Danach hat die Genehmigungsbehörde für das Gebiet der Stadt Neumünster im streitbefangenen Zeitraum zusätzlich zum Krankentransport im öffentlich-rechtlichen Rettungsdienst noch Raum gesehen für den - von den Klägern durchgeführten - Krankentransport mit zwei weiteren Fahrzeugen. Zutreffend ist das LSG vor diesem Hintergrund davon ausgegangen, dass Maßstab für die "möglichst preisgünstigen Versorgungsmöglichkeiten" (§ 133 Abs 1 Satz 5 SGB V) die Entgelte sind, die die Krankenkassen im Einzugsbereich des Landes im Allgemeinen für private Krankentransportleistungen vereinbart haben; mangels weiterer Anbieter im Gebiet der Stadt Neumünster können die Kläger weder verlangen, vom landesweiten Kostenvergleich ausgenommen zu werden, noch können sie hier grundsätzlich mit dem Einwand durchdringen, andere Anbieter hätten andere Kostenstrukturen (vgl zur Unbeachtlichkeit einer Qualifikation als Rechtsanwalt für die Vergütung als Berufsbetreuer BVerfG vom 15.12.1999 - 1 BvR 1904/95 - BVerfGE 101, 331 <juris RdNr 87 ff>). Dass schließlich im Sinne der vom Senat in seiner Entscheidung vom 20.11.2008 aufgezeigten Maßstäbe etwas anderes gilt, weil die Beklagte die Grenzen des ihr eingeräumten Verhandlungsspielraums missbraucht und den Klägern Konditionen aufgezwungen hätte, die mit ihrer Stellung als öffentlich-rechtlich gebundener Träger unvereinbar sind (vgl BSG vom 20.11.2008 - B 3 KR 25/07 R - SozR 4-2500 § 133 Nr 3 RdNr 34), ist ausgehend von den Feststellungen des LSG ebenfalls nicht zu erkennen; dafür haben sich über den gesamten Verlauf des Verfahrens keine durchgreifenden Anhaltspunkte ergeben.

Grundrechte der Kläger verletzt diese Gestaltung nicht. Dass der Gesetzgeber die Vergütung von Leistungserbringern im Interesse der Funktionsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung am Modell des Preiswettbewerbs ausrichtet, ist von Verfassungs wegen von ihnen hinzunehmen (vgl BVerfG vom 17.12.2002 - 1 BvL 28/95 - BVerfGE 106, 275 <juris RdNr 101 ff>: keine berufsregelnde Tendenz der Festbetragsregelung nach § 35 SGB V). Das gilt auch, soweit der Zugang zum selbständigen Beruf des Rettungsdienstunternehmers - in verfassungsrechtlich zulässiger Weise (BVerfG vom 8.6.2010 – 1 BvR 2011/07 – BVerfGE 126, 112 <RdNr 83 ff>) - von den Landesgesetzgebern bedarfsabhängig ausgestaltet ist und insoweit nur eingeschränkte Marktzutrittschancen bestehen. Auch dann kann ein Interesse der Krankenkassen bestehen, mit Unternehmen außerhalb des öffentlich-rechtlichen Rettungsdienstes Vergütungsvereinbarungen zu Konditionen zu schließen, die mit denen des öffentlichen Krankentransports konkurrieren können und deshalb eine kostengünstigere Versorgung ihrer Versicherten mit Krankentransportleistungen erlauben. Umgekehrt vermittelt die Berufsfreiheit einem Anbieter von Krankentransportleistungen keinen Anspruch auf eine Vergütung, die sich aus der Sicht der Krankenkassen nicht als wettbewerbsgerecht darstellt. Sehen sich Anbieter dabei einem unzulässigen Preisdiktat ausgesetzt, sind sie davor durch die vom Senat in der Entscheidung vom 20.11.2008 aufgezeigten Grenzen geschützt (SozR 4-2500 § 133 Nr 3 RdNr 34). Dies ist zwischenzeitlich weiter effektiviert worden - wie auch das vorliegende Verfahren zeigt - durch die Rechtsprechung zum Anspruch auf Auskunft über mit anderen Krankentransportunternehmen geschlossene Vergütungsvereinbarungen (vgl auf der Grundlage des IFG Hessischer VGH vom 11.9.2019 - 6 A 1732/17.Z - <juris> und OVG Lüneburg vom 18.11.2020 - 2  LC 437/18 - <juris>).

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 6/22.

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