Verhandlung B 1 KR 3/21 R
Krankenversicherung - Kostenerstattung - Mammaaufbauplastik
Verhandlungstermin
10.03.2022 13:15 Uhr
Terminvorschau
G. V. ./. DAK-Gesundheit
Die Klägerin begehrt von der beklagten Krankenkasse die Erstattung der Kosten einer Mammaaufbauplastik (MAP).
Die 1994 geborene Klägerin litt während ihrer Pubertät an einer Mammadysplasie der rechten Brust. Am 12.12.2009 beantragte sie bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für eine MAP. Dies lehnte die Beklagte ab. Die hiergegen erhobene Klage hatte vor dem SG und dem LSG keinen Erfolg. Während des ersten Berufungsverfahrens ließ die Klägerin den Brustaufbau am 28.4.2014 auf eigene Kosten durchführen. Am 11.12.2014 stellte sie einen Überprüfungsantrag, den die Beklagte ablehnte. Die hiergegen gerichtete Klage hatte vor dem SG Erfolg: Die Klägerin sei durch ihre Mammadysplasie entstellt gewesen. Zwar habe sich die Dysplasie durch spezielle BHs und Kleidung durchaus kaschieren lassen. Bei der Bewertung der Entstellung dürfe jedoch nicht nur auf den bekleideten Zustand abgestellt werden. Vielmehr beeinträchtigten Neugier und abwertende Bewertung nahestehender Personen die psychische Gesundheit viel einschneidender. Dies gelte insbesondere für Jugendliche, die im schulischen Bereich mit Sport- und Schwimmunterricht sowie Klassenfahrten konfrontiert seien und ihre Sexualität entwickelten. Die aus dieser Entstellung resultierende psychische Belastung sei hier zudem - nach der gebotenen Betrachtung ex-ante - nur durch eine MAP zu behandeln gewesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die vorgelegten Bilder ließen weder im bekleideten noch im unbekleideten Zustand eine Entstellung erkennen. Auch rechtfertige die psychische Problematik der Klägerin keinen operativen Eingriff.
Die Klägerin rügt mit ihrer Revision - sinngemäß - die Verletzung von § 27 Abs 1 SGB V. Es sei im Rahmen der Bewertung einer Entstellung - insbesondere bei Jugendlichen - auf den unbekleideten Körper abzustellen. Die Erfolgsprognose für einen Eingriff in den gesunden Körper zur mittelbaren Besserung eines psychischen Leidens habe auf Grundlage einer Betrachtung ex ante zu erfolgen.
Vorinstanzen:
Sozialgericht Hamburg - S 46 KR 1137/16, 18.12.2017
Landessozialgericht Hamburg - L 1 KR 19/18, 24.01.2019
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Terminbericht
Der Senat hat die Revision der Klägerin zurückgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die beklagte KK auf Erstattung der Kosten einer Mammaaufbauplastik. Die 1994 geborene Klägerin litt während ihrer Pubertät an einer Mammadysplasie der rechten Brust. Diese beeinträchtigte sie nicht in einer Körperfunktion. Sie wirkte auch nicht entstellend. Für eine Entstellung genügt nicht jede körperliche Abnormität. Vielmehr muss es sich objektiv um eine erhebliche Auffälligkeit handeln, die erwarten lässt, dass die Auffälligkeit sich schon bei flüchtiger Begegnung in alltäglichen Situationen quasi "im Vorbeigehen" bemerkbar macht, die Betroffenen ständig viele Blicke auf sich ziehen, zum Objekt besonderer Beachtung anderer werden und sich deshalb aus dem Leben in der Gemeinschaft zurückzuziehen und zu vereinsamen drohen, sodass die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gefährdet ist. Eine Entstellung kann in eng begrenzten Ausnahmefällen auch an üblicherweise von Kleidung bedeckten Körperstellen möglich sein. In diesen Bereichen müssen die Auffälligkeiten jedoch besonders schwerwiegend sein. Erforderlich ist, dass selbst die Offenbarung im privaten und vertrauten Bereich die Teilhabe, etwa im Rahmen der Sexualität nahezu ausschließen würde. Hierbei ist nicht das subjektive Empfinden der Betroffenen maßgeblich, sondern allein die objektiv zu erwartende Reaktion. Hierfür muss die Auffälligkeit evident abstoßend wirken. In den bislang vom BSG ablehnend entschiedenen Fällen wird diese Erheblichkeitsschwelle nicht erreicht. Gleiches gilt in aller Regel etwa auch für Hautüberschüsse, wie sie etwa nach einem erheblichen Gewichtsverlust infolge einer strengen Diät oder einer bariatrischen Operation verbleiben können. Vorliegend hat das LSG rechtsfehlerfrei festgestellt, dass die Brustasymmetrie der Klägerin sowohl im bekleideten als auch im unbekleideten Zustand nicht entstellend war. Schließlich rechtfertigte eine psychische Belastung der Klägerin aufgrund ihres Erscheinungsbildes keinen operativen Eingriff. Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats können psychische Leiden einen Anspruch auf eine Operation zum Brustaufbau grundsätzlich nicht begründen.
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