Bundessozialgericht

Verhandlung B 10 ÜG 4/21 R

Entschädigung - überlange Verfahrensdauer - instanzübergreifende Verrechnung - Vorbereitungs- und Bedenkzeit - inaktive Zeit

Verhandlungstermin 24.03.2022 13:00 Uhr

Terminvorschau

G. T. ./.  Land Schleswig-Holstein
Der Kläger begehrt eine Entschädigung für immaterielle Nachteile wegen überlanger Dauer eines vor dem Schleswig-Holsteinischen LSG geführten Berufungsverfahrens. Das Ausgangsverfahren vor dem SG, mit dem der Kläger von einer Berufsgenossenschaft Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben begehrte, begann mit der Klageerhebung im September 2012 und endete durch klageabweisendes Urteil im Februar 2014. Hiergegen erhob der Kläger im März 2014 Berufung. Nach der im Juni 2017 verfügten Ladung zum Termin im November 2017 wies das LSG die Berufung zurück. Das Urteil wurde im Februar 2018 zugestellt.

Im April 2016 erhob der Kläger Verzögerungsrüge und im September 2018 Entschädigungsklage. Das Entschädigungsgericht hat den Beklagten zur Zahlung einer Entschädigung von 1600 Euro nebst Zinsen seit Rechtshängigkeit der Klage verurteilt und die auf Zahlung von 2100 Euro gerichtete Klage im Übrigen abgewiesen. Eine Minderung der inaktiven Zeiten des Berufungsverfahrens durch eine Verrechnung mit den vom SG nicht genutzten Monaten einer angemessenen Vorbereitungs- und Bedenkzeit komme nicht in Betracht.

Mit seiner Revision rügt der Beklagte eine Verletzung von § 198 GVG. Das Entschädigungsgericht habe rechtsfehlerhaft die Möglichkeit einer instanzübergreifenden Verrechnung der nicht verbrauchten Vorbereitungs- und Bedenkzeit des SG mit den inaktiven Zeiten des LSG verneint. Das SG habe lediglich vier Monate Vorbereitungs- und Bedenkzeit beansprucht. Deshalb seien von den Inaktivitätszeiten des LSG weitere acht Monate abzuziehen, und die Entschädigungssumme sei entsprechend zu mindern.

Vorinstanz:
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht - L 12 SF 75/18 EK, 19.03.2021

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Terminbericht

Die Revision des beklagten Landes war im Sinne der teilweisen Aufhebung des Urteils des Entschädigungsgerichts und der Zurückverweisung der Sache an dieses Gericht begründet. Die Revision war von vornherein auf den Entschädigungsanspruch des Klägers beschränkt, soweit ihm das Entschädigungsgericht mehr als 800 Euro zugesprochen hat. Ob der Entschädigungsanspruch auch in diesem Umfang besteht, konnte der Senat aufgrund fehlender tatsächlicher Feststellungen im angefochtenen Urteil nicht abschließend beantworten.

Zu Unrecht hat es das Entschädigungsgericht abgelehnt, die im Ausgangsverfahren vom SG nicht ausgeschöpfte Vorbereitungs- und Bedenkzeit bei der Prüfung der Angemessenheit der Dauer des Verfahrens beim LSG zu berücksichtigen. Das BSG hat bereits entschieden, dass Zeiten fehlender Verfahrensförderung durch das Gericht in bestimmten Verfahrensabschnitten durch eine zügige Bearbeitung in davor oder danach liegenden Verfahrensabschnitten ausgeglichen werden können. Hiervon ausgehend hält es der Senat für geboten, dass Verzögerungen in einer nachfolgenden Instanz auch durch eine in der Vorinstanz nicht ausgeschöpfte Vorbereitungs- und Bedenkzeit ausgeglichen werden können (sog "instanzübergreifende Verrechnung der Vorbereitungs- und Bedenkzeiten"). Dies ergibt sich aus der insbesondere im Wortlaut des § 198 GVG zum Ausdruck kommenden Entscheidung des Gesetzgebers, wonach die unangemessene Dauer eines Gerichtsverfahrens anhand von dessen Gesamtdauer und nicht der Dauer einer einzelnen Instanz zu beurteilen ist.

Der Senat kann jedoch nicht abschließend entscheiden, in welchem Umfang das Entschädigungsgericht im Ausgangsverfahren vom SG nicht genutzte, grundsätzlich angemessene Vorbereitungs- und Bedenkzeit bei der Prüfung der angemessenen Gesamtverfahrensdauer zu berücksichtigen hatte. Hierzu fehlen ausreichende Feststellungen zu den vom SG in Hinblick auf den Fortgang des Ausgangsverfahrens getroffenen Maßnahmen und zum Verhalten der Verfahrensbeteiligten. Diese Feststellungen wird das Entschädigungsgericht im wieder eröffneten Entschädigungsverfahren nachzuholen haben. Dabei wird es auch zu beachten haben, dass die Monate zwischen der Ladung zum Termin und der Durchführung der mündlichen Verhandlung grundsätzlich zu den von der Vorbereitungs- und Bedenkzeit umfassten Zeiten gehören.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 9/22.

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