Verhandlung B 4 AS 2/21 R
Grundsicherung für Arbeitsuchende - Leistungsausschluss - EU-Ausländer - Aufenthaltsrecht - geringfügige Beschäftigung
Verhandlungstermin
29.03.2022 13:30 Uhr
Terminvorschau
K.V. ./. Jobcenter Hagen
Der 1992 geborene Kläger ist Staatsangehöriger der Hellenischen Republik. Er ist in der Bundesrepublik Deutschland geboren, reiste im Jahr 1997 nach Griechenland aus und am 01.02.2016 wieder in die Bundesrepublik ein, wo er seitdem gemeldet ist. Zumindest zwischen dem 27.04.2016 und dem 31.12.2016, zwischen dem 15.08.2017 und dem 30.09.2017 sowie zwischen dem 01.04.2018 und dem 31.07.2018 war der Kläger abhängig beschäftigt. Dazwischen und im Anschluss war er arbeitslos. Am 24.01.2019 schloss der Kläger einen unbefristeten Arbeitsvertrag über eine Beschäftigung mit einer Arbeitszeit von zehn Stunden monatlich und einer monatlichen Vergütung iHv 100 Euro ab, die er ca alle zwei Wochen für je fünf Stunden ausübte.
Der Beklagte lehnte im Februar 2019 die Bewilligung von Leistungen bestandskräftig ab. Den im April 2019 gestellten Antrag auf Überprüfung des Ablehnungsbescheids lehnte er ebenfalls ab. Die dagegen gerichtete Klage ist in beiden Instanzen erfolglos geblieben. Der Kläger habe im Februar 2019 allenfalls über ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche verfügt und daher keinen Anspruch auf Alg II gehabt. Die am 25.01.2019 aufgenommene Tätigkeit habe keine Arbeitnehmereigenschaft begründet, weil es sich nur um eine untergeordnete und unwesentliche Tätigkeit gehandelt habe. Auf die Fortwirkung des Aufenthaltsrechts als Arbeitnehmer wegen unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach mehr als einem Jahr Tätigkeit könne sich der Kläger nicht berufen, weil seine Erwerbstätigkeit zwischendurch zu lange unterbrochen gewesen sei. Der Leistungsausschluss sei auch verfassungs- und europarechtskonform. Der zuständige Sozialhilfeträger habe nicht beigeladen werden müssen. Die Überprüfung des unanfechtbaren leistungsablehnenden Bescheids vom 06.02.2019 sei an Voraussetzungen gebunden, die sich wesentlich von denen etwaiger Leistungsansprüche des Klägers aus § 23 Abs 3 Sätze 3, 5 und 6 SGB XII unterschieden.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung von § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II und § 75 Abs 2 Var 2, Abs 5 SGG. Er sei nicht von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Auf Grund der im Januar 2019 aufgenommenen Tätigkeit habe er den Arbeitnehmerstatus. Soweit ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II nicht gegeben sei, bestehe die Möglichkeit, dass er auf Grund des Europäischen Fürsorgeabkommens einen Anspruch auf Gewährung laufender Hilfe zum Lebensunterhalt haben könnte. Jedenfalls seien ihm Härtefallleistungen nach § 23 Abs 3 Satz 6 SGB XII zu gewähren.
Vorinstanzen:
Sozialgericht Dortmund - S 32 AS 3361/19, 29.06.2020
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - L 19 AS 1204/20, 19.11.2020
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Terminbericht
Das Senat hat das Urteil des LSG aufgehoben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen.
Zu Recht hat das LSG allerdings entschieden, dass der Kläger von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen war, weil er allenfalls ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche hatte. Insbesondere verfügte der Kläger nicht über ein Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmer nach § 2 Abs 2 Nr 1 FreizügG/EU. Der Kläger war lediglich zehn Stunden im Monat tätig, und dies verteilt auf zwei Tage pro Monat mit jeweils fünf Stunden. Diese Tätigkeit stellt sich damit als völlig untergeordnet und unwesentlich dar und begründet keinen Arbeitnehmerstatus. Der Kläger kann sich auch nicht auf ein fortwirkendes Aufenthaltsrecht aus § 2 Abs 3 Satz 1 Nr 2 FreizügG/EU berufen. Ein fortwirkendes Aufenthaltsrecht eines Unionsbürgers als Arbeitnehmer bei unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach mehr als einem Jahr Tätigkeit kann bei Unterbrechungen jedenfalls nicht auf Beschäftigungszeiten gestützt werden, die zeitlich vor einer länger als sechs Monate andauernden Arbeitslosigkeit liegen. Dies führt im vorliegenden Fall dazu, dass nur Tätigkeiten des Klägers mit einer Gesamtdauer von weniger als einem Jahr zu berücksichtigen waren.
Es ist auch mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art 1 Abs 1 iVm Art 20 Abs 1 GG) vereinbar, dass Ausländer, die über kein Aufenthaltsrecht oder nur ein Aufenthaltsrecht zum Zweck der Arbeitsuche verfügen und denen eine Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland möglich und zumutbar ist, von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgeschlossen sind. Der Gesetzgeber hat mit § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 Buchstaben a und b SGB II und § 23 Abs 3, Abs 3a SGB XII in der seit dem 29.12.2016 geltenden Fassung ein verfassungskonformes Regelungsregime errichtet. Anders als bei den vom AsylbLG erfassten Personen besteht bei Unionsbürgern und damit auch dem Kläger grundsätzlich kein Anlass, an der Zumutbarkeit ihrer Ausreise zu zweifeln. Soweit eine Ausreise aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht möglich oder nicht zumutbar ist, greift die Härtefallregelung des § 23 Abs 3 Satz 6 SGB XII ein.
Das Urteil des LSG war aber aufzuheben und die Sache an das LSG zurückzuweisen, damit dieses den örtlich zuständigen Sozialhilfeträger beiladen und ggf zur Leistung verurteilen kann. Es besteht angesichts der Rechtsprechung des BSG zu § 23 SGB XII aF die Möglichkeit, dass der Sozialhilfeträger aufgrund Art 1 EFA leistungspflichtig ist. Wegen der fehlenden Beiladung und des dem Beizuladenden zu gewährenden rechtlichen Gehörs kann der Senat zum jetzigen Zeitpunkt nicht entscheiden, ob diese Rechtsprechung auf § 23 SGB XII in der hier maßgeblichen Fassung zu übertragen ist. Zudem hat das LSG bislang offengelassen, ob der Kläger über ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche verfügt und daher in den persönlichen Anwendungsbereich des Art 1 EFA fällt. Der Pflicht zur Beiladung steht nicht entgegen, dass es sich vorliegend um ein Zugunstenverfahren nach § 44 SGB X handelt. Auch in einer solchen Konstellation ist dem prozessökonomischen Zweck der sog unechten notwendigen Beiladung Rechnung zu tragen.
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