Verhandlung B 4 AS 24/21 R
Grundsicherung für Arbeitsuchende - Arbeitseinkommen - Absetzung - Freibeträge
Verhandlungstermin
29.03.2022 12:30 Uhr
Terminvorschau
1. C. H. und 2. T.H. ./. Jobcenter Kreis Segeberg
Die 1993 geborene Klägerin zu 1 lebte mit ihrem 2014 geborenen Sohn, dem Kläger zu 2, und dessen Vater in einem gemeinsamen Haushalt. Der Beklagte bewilligte für Februar bis Juli 2015 Grundsicherungsleistungen unter Berücksichtigung von Kinder- und Elterngeld als Einkommen. Anfang Februar 2015 teilte der Vater die Aufnahme einer befristeten Erwerbstätigkeit ab dem 16.02.2015 mit. Ausweislich seines Arbeitsvertrags war die Vergütung spätestens am 15. des Folgemonats fällig. Er erhielt schon im Februar 2015 mehrere Barzahlungen iHv insgesamt 355 Euro. Der sich aus der Märzabrechnung ergebende Restbetrag iHv 218,06 Euro ging im März auf seinem Konto ein.
Der Beklagte hob für Februar 2015 die Leistungsbewilligung gegenüber den Klägern wegen der Zahlungen an den Vater teilweise auf und machte Erstattungsansprüche geltend. Bei der Berechnung berücksichtigte er die im Februar 2015 gezahlten 355 Euro abzüglich der Versicherungspauschale von 30 Euro, aber ohne Minderung um einen Grundfreibetrag bei Erwerbstätigkeit und um einen Erwerbstätigenfreibetrag.
Das SG hat diese Aufhebungs- und Erstattungsbescheide teilweise aufgehoben. Die Zahlungen seien Einkommen aus Erwerbstätigkeit, und daher seien schon im Februar die Freibeträge nach § 11b Abs 2 und Abs 3 SGB II abzusetzen. Auf die Berufung des Beklagten hat das LSG das Urteil aufgehoben und die Klagen abgewiesen. Grund- und Erwerbstätigenfreibetrag seien nur im Monat der Fälligkeit des Arbeitsentgelts, also hier im März 2015 abzusetzen. Ein und derselbe Absetzungsgrund dürfe nicht zweifach berücksichtigt werden.
Mit ihren vom LSG zugelassenen Revisionen rügen die Kläger eine Verletzung von § 11b SGB II. Es sei auf das Monatsprinzip abzustellen. Wenn wie hier im Februar 2015 Arbeitseinkommen erwirtschaftet und ausgezahlt werden, seien auch die entsprechenden Freibeträge zu berücksichtigen.
Vorinstanzen:
Sozialgericht Lübeck - S 40 AS 658/16, 06.11.2018
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht - L 3 AS 133/18, 23.10.2020
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Terminbericht
Die Revisionen der Kläger waren erfolgreich. Der Senat hat das Urteil des LSG aufgehoben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts zurückgewiesen.
Die Kläger waren im Februar 2015 in einem höheren Umfang hilfebedürftig. Das Erwerbseinkommen des Vaters des Klägers zu 2 durfte, wie vom SG zutreffend entschieden, nur in geringerer Höhe als vom Beklagten angenommen berücksichtigt werden, weil davon der Grundfreibetrag von 100 Euro nach § 11b Abs 2 Satz 1 SGB II und der sog Erwerbstätigenfreibetrag nach § 11b Abs 3 SGB II abzusetzen waren. Dies ergibt sich aus dem der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach Wortlaut und Systematik zugrundeliegenden Monatsprinzip, dem auch bezogen auf die Absetzbeträge bei Erwerbstätigkeit strikt Rechnung zu tragen ist, sowie aus Sinn und Zweck der Freibetragsregelungen. Der Grundfreibetrag soll den erwerbstätigen Leistungsempfänger durch die Pauschalierung vom Nachweis typischer Kosten entlasten und zudem, ebenso wie der besondere Erwerbstätigenfreibetrag, einen finanziellen Anreiz zur Aufnahme oder Beibehaltung einer Erwerbstätigkeit schaffen. Bei Ausübung einer Erwerbstätigkeit sind unabhängig von den Auszahlungsmodalitäten zu pauschalierende Aufwendungen, etwa mit der Erzielung des Einkommens verbundene notwendige Ausgaben, zu unterstellen. Die Anreizfunktion der Freibeträge würde reduziert, wenn diese bei Vorauszahlungen auf Arbeitslohn für eine Erwerbstätigkeit keine Berücksichtigung fänden.
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