Verhandlung B 12 KR 7/20 R
Gesamtsozialversicherungsbeitrag - Einzugsstelle - Krankenkasse - Vergleich - Geschäftsführer - GmbH - Schadensersatzanspruch - Rentenversicherungsträger
Verhandlungstermin
29.03.2022 12:00 Uhr
Terminvorschau
DRV Bund ./. Techniker Krankenkasse
Streitig ist ein Schadensersatzanspruch der klagenden DRV Bund gegen die beklagte Krankenkasse in Höhe von 9926,58 Euro. Die Beklagte war zuständige Einzugsstelle für ausstehende Gesamtsozialversicherungsbeiträge einer GmbH, gegen deren Geschäftsführer (im Folgenden: Schuldner) sie Anfang 2002 ein Versäumnisurteil auf Zahlung von Schadensersatz nach § 823 Abs 2 BGB iVm § 266a Abs 1 StGB in Höhe von 88 561,18 DM (45 280,62 Euro) wegen nicht weitergeleiteter Arbeitnehmeranteile erwirkt hatte. Nachdem sie im Februar 2012 eine Gesamtforderung von 59 551,61 Euro geltend gemacht hatte, unterbreitete der Bevollmächtigte des Schuldners den Vorschlag, zur Abgeltung der Gesamtforderung einen Betrag von 7000 Euro in Raten zu zahlen. Die von der Beklagten hierzu erbetene Zustimmung lehnte die Klägerin mit Schreiben vom 4.6.2012 ab, während die Beklagte noch an diesem Tag das Vergleichsangebot annahm.
Das SG hat die Beklagte zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt, das LSG hat die Berufung zurückgewiesen. Die Beklagte habe den Vergleich nach § 76 Abs 4 Satz 2 SGB IV nur im Einvernehmen mit den beteiligten Sozialversicherungsträgern schließen dürfen. Das einem Geschäftsbesorgungsvertrag ähnliche, öffentlich-rechtliche Treuhandverhältnis zwischen den Versicherungsträgern umfasse nicht nur Beitrags-, sondern auch daraus erwachsende Schadensersatzansprüche aus unerlaubter Handlung.
Die Beklagte rügt sinngemäß eine Verletzung von § 28r SGB IV und § 76 Abs 4 Satz 2 SGB IV. Diese Vorschriften erfassten schon ihrem Wortlaut nach nur Beitrags-, nicht aber zivilrechtliche Schadensersatzansprüche. Das öffentlich-rechtliche Treuhandverhältnis bestehe nur im Rahmen des Einzugs des Gesamtsozialversicherungsbeitrags. Die Treuepflichten seien allein mit der Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs gegenüber dem Schuldner auf zivilrechtlichem Weg erfüllt worden. Der Vergleich berühre die wirtschaftlichen Interessen der übrigen Sozialversicherungsträger nicht unmittelbar. Die Beitragsforderung bleibe bestehen, soweit keine Zahlung erfolge. Schließlich könnten die betroffenen Versicherungsträger im Falle eines Fehlverhaltens der Einzugsstelle Schadensersatzansprüche im Rahmen einer Überprüfung nach § 28q SGB IV geltend machen.
Vorinstanzen:
Sozialgericht Berlin - S 28 KR 2551/13, 07.10.2015
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg - L 9 KR 534/15, 22.5.2019
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Terminbericht
Die Revision der beklagten Krankenkasse hat keinen Erfolg gehabt. Sie hat der klagenden Deutschen Rentenversicherung Bund Schadensersatz in Höhe von 9926,58 Euro zu zahlen. Die Beklagte haftet der Klägerin nach § 28r Abs 1 Satz 1 SGB IV für den dieser zugefügten Schaden. Eine Einzugsstelle hat nach § 28h Abs 1 Satz 3 SGB IV nicht rechtzeitig erfüllte Ansprüche auf Gesamtsozialversicherungsbeiträge auch im Wege zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche aus unerlaubter Handlung geltend zu machen. Diese Pflicht hat eine Bedienstete der Beklagten verletzt, indem sie mit dem zum Schadensersatz verurteilten Geschäftsführer der Beitragsschuldnerin zur Abgeltung der Gesamtforderung einen Vergleich unter Missachtung des § 76 Abs 4 SGB IV ohne das erforderliche Einvernehmen der Klägerin geschlossen hat. Angesichts der Parallelität bei der Aufgabenzuweisung hinsichtlich der Erhebung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen und der Geltendmachung von diesen ersetzenden Schadensersatzforderungen ist es geboten, die gegenüber den wirtschaftlich betroffenen Sozialversicherungsträgern bestehenden Sorgfalts‑ und Treuepflichten der Einzugsstelle einheitlich zu betrachten. Das schließt die Berücksichtigung der in § 76 SGB IV normierten Vorgaben zur Erhebung von Einnahmen ein. Die zumindest fahrlässige Pflichtverletzung hat der Klägerin einen Schaden in geltend gemachter Höhe verursacht. Die Durchsetzung der vollständigen Schadensersatzforderung gegenüber dem ehemaligen Geschäftsführer war nicht von vornherein ausgeschlossen.
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