Bundessozialgericht

Verhandlung B 12 R 2/20 R

Sozialversicherungspflicht - Sozialversicherungsfreiheit - selbstständige Tätigkeit - Statusfeststellungsbescheid - Rücknahme

Verhandlungstermin 29.03.2022 11:00 Uhr

Terminvorschau

C. R. ./. Deutsche Rentenversicherung (DRV) Bund, beigeladen: 1. R. M. Verwaltungs-GmbH, 2. AOK Bayern - Die Gesundheitskasse, 3.Pflegekasse bei der AOK Bayern - Die Gesundheitskasse, 4. Bundesagentur für Arbeit
Der Kläger ist Geschäftsführer der beigeladenen GmbH, die wiederum Komplementärin ihrer Alleingesellschafterin (GmbH & Co KGCompagnie Kommanditgesellschaft) ist. Außerdem ist er alleiniger Gesellschafter einer der drei Gesellschaften, die zu gleichen Teilen Kommanditanteile der KGKommanditgesellschaft halten. Gesellschafterbeschlüsse der KGKommanditgesellschaft bedürfen im Regelfall der einfachen Mehrheit. Im Rahmen eines Statusfeststellungsverfahrens stellte die Beklagte mit Bescheiden vom 8.2.2008 dem Kläger und der GmbH gegenüber fest, dass der Kläger seine Tätigkeit als Geschäftsführer seit dem 22.4.2005 selbstständig und damit dem Grunde nach nicht in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis ausübe. Seinen im Mai 2017 auch für die GmbH gestellten Antrag, den Statusfeststellungsbescheid mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, lehnte die Beklagte ab. Die beanstandete Entscheidung entspreche zwar nicht der Rechtsprechung des BSG, sei aber bestandsgeschützt.

Das SG hat die Ablehnung aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, den Statusfeststellungsbescheid mit Wirkung ab 1.6.2017 aufzuheben sowie festzustellen, dass der Kläger ab 1.6.2017 der Versicherungspflicht in allen Zweigen der gesetzlichen Sozialversicherung unterliegt. Die Statusfeststellung im Bescheid vom 8.2.2008 sei im Sinne des Rücknahmeanspruchs nach § 44 Abs 2 Satz 1 iVm Abs 1 SGB X aus der maßgeblichen gegenwärtigen subjektiven Sicht des Klägers nicht begünstigend und bei ihrem Erlass rechtswidrig gewesen. Das LSG hat das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Der den Status feststellende Verwaltungsakt entfalte zwar sowohl günstige als auch ungünstige Wirkungen. Für den Kläger sei er jedoch begünstigend, da seinem Antrag auf Feststellung des Nichtbestehens der Versicherungspflicht entsprochen worden sei. Ein späterer Motivwechsel sei unbeachtlich. Die Anwendbarkeit des § 44 SGB X berge zudem die Gefahr divergierender Entscheidungen. Die Rücknahme der die Beigeladene allein begünstigenden Statusfeststellung komme ihr gegenüber nur nach § 45 SGB X in Betracht, sei aber wegen verstrichener Rücknahmefristen ausgeschlossen. Ein von der Beigeladenen angestrengtes Klageverfahren gegen die Ablehnung der Aufhebung der Statusfeststellung ruht.

Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 44 Abs 2 Satz 1 iVm Abs 1 Satz 1 SGB X und § 7 Abs 1 SGB IV. Bei der Entscheidung, ob ein (nicht) begünstigender Verwaltungsakt vorliege, sei auf seine gegenwärtige Sicht zum Zeitpunkt des Rücknahmebegehrens abzustellen.

Vorinstanzen:
Sozialgericht München - S 47 R 1579/17, 24.09.2018
Bayerisches Landessozialgericht - L 6 BA 169/18, 19.02.2020

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 12/22.

Terminbericht

Die Revision des Klägers hat Erfolg gehabt. Die Beklagte ist nach § 44 Abs 2 Satz 1 SGB X verpflichtet, den die Versicherungspflicht aufgrund einer abhängigen Beschäftigung verneinenden Verwaltungsakt vom 8.2.2008 für die Zeit ab 1.6.2017 zurückzunehmen und die Versicherungspflicht ab diesem Zeitpunkt festzustellen. Bei dem Statusfeststellungsbescheid handelt es sich um einen Verwaltungsakt mit sog Doppel- oder Mischwirkung, der den Kläger - objektiv betrachtet - sowohl begünstigt als auch belastet. Nach Sinn und Zweck des Regelungsgefüges der §§ 44ff SGB X ist der Verwaltungsakt jedoch unter Berücksichtigung des gegenwärtigen Interesses des Klägers an der Rücknahme als "nicht begünstigend" iS des § 44 SGB X anzusehen. Dem steht vorliegend nicht die Drittwirkung eines Statusfeststellungsbescheids entgegen, da sowohl der Kläger als auch die Beigeladene ein gleichgerichtetes subjektives Interesse an seiner Rücknahme klar zum Ausdruck gebracht haben. Aufgrund dieser übereinstimmenden Interessenlage ist einheitlich von einer nicht begünstigenden Wirkung der Statusfeststellung auszugehen, auch wenn diese - isoliert betrachtet - für die Beigeladene einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet hat. Die Rücknahme des ihr gegenüber erlassenen Statusfeststellungsbescheides richtet sich daher auf ihren Antrag ebenfalls nach § 44 SGB X, so dass divergierende Entscheidungen vermieden werden. Der Verwaltungsakt vom 8.2.2008 war auch zum Zeitpunkt seines Erlasses rechtswidrig. Der Kläger war von Anfang an abhängig beschäftigt, da er mangels Kapitalbeteiligung an der beigeladenen GmbH und als Alleingesellschafter nur einer Kommanditistin der GmbH & Co KGCompagnie Kommanditgesellschaft nicht über die Rechtsmacht verfügte, die Geschicke der GmbH zu bestimmen.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 12/22.

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