Bundessozialgericht

Verhandlung B 1 KR 19/21 R

Krankenversicherung - Krankenhausvergütung - MDK-Prüfverfahren - fristgerechte Einleitung

Verhandlungstermin 22.06.2022 10:30 Uhr

Terminvorschau

Klinikum S. gKAöR ./. AOK Bayern - Die Gesundheitskasse
Die Beteiligten streiten über die Vergütung einer Krankenhausbehandlung.

Der bei der beklagten Krankenkasse (KK) Versicherte beantragte bei dieser am 20.10.2017 die Kostenübernahme für eine operative Magenverkleinerung bei einem Body-Maß-Index von 55. Nach Einholung eines sozialmedizinischen Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) lehnte die KK die Kostenübernahme mangels primärer Operationsindikation ab. Eine multimodale konservative Therapie zur Behandlung der Adipositas über 6-12 Monate sei nicht dokumentiert, die Operation damit nicht ultima ratio. Den Widerspruch des Versicherten wies die KK nach erneuter Einholung eines Gutachtens des MDK zurück. Das Krankenhaus der Klägerin behandelte den Versicherten vom 13. bis 18.8.2018 vollstationär und führte eine Schlauchmagen-Operation durch. Die dafür in Rechnung gestellte Vergütung iHv 7 203,85 Euro beglich die KK nicht. Das SG hat die KK zur Zahlung von 7 203,85 Euro nebst Zinsen verurteilt. Das LSG hat die Berufung der KK zurückgewiesen. Ob die vollstationäre Behandlung des Versicherten erforderlich gewesen sei, lasse sich nicht feststellen. Mangels (fristgerechter) Einleitung eines Prüfverfahren nach § 275 Abs 1 Nr 1 SGB V sei die KK mit dem Einwand fehlender Erforderlichkeit der Operation und des stationären Aufenthalts ausgeschlossen. Die nur im Verhältnis zum Versicherten bestandskräftig ergangene Leistungsablehnung berühre den Vergütungsanspruch des Krankenhauses gegen die KK nicht.

Mit ihrer Revision rügt die KK eine Verletzung von § 275 Abs 1c SGB V.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Stuttgart - S 15 KR 6688/18 - 23.07.2019
Landessozialgericht Baden-Württemberg - L 11 KR 2846/19 - 30.03.2021

Die Vorschau zu dem Verhandlungstermin des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 22/22.

Terminbericht

Die Revision der beklagten Krankenkasse (KK) hatte im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung Erfolg. Der Senat konnte auf Grundlage der Feststellungen des LSG nicht entscheiden, ob dem Krankenhaus der geltend gemachte Vergütungsanspruch gegen die KK zusteht.

Die bestandskräftige Ablehnung des Kostenübernahmeantrags des Versicherten steht dem Vergütungsanspruch des Krankenhauses nicht entgegen, da diese das Abrechnungsverhältnis zwischen dem Krankenhaus und der KK nicht berührt. Eine Krankenhausbehandlung zur Durchführung einer bariatrischen Operation ist erforderlich, wenn die Behandlung dem allgemeinen Qualitätsgebot (§ 2 Abs 1 Satz 3 SGB V) oder zumindest dem abgesenkten Qualitätsgebot des Potentialmaßstabes (§ 137c Abs 3 SGB V) entspricht und notwendig ist. Nach der bisherigen Rechtsprechung sollte eine bariatrische Operation nur als ultima ratio nach tatsächlicher Ausschöpfung konservativer Behandlungsmöglichkeiten im Sinne eines multimodalen Therapiekonzeptes erforderlich sein. Dazu stellt der Senat nun Folgendes klar: Das allgemeine Qualitätsgebot fordert, dass nach dem gesicherten Stand der medizinischen Erkenntnisse, also der bestverfügbaren Evidenz, in medizinischen Fachkreisen Konsens über die Wirksamkeit und Zweckmäßigkeit der bariatrischen Operation besteht. Unter der Berücksichtigung der besonderen Risiken und Folgen eines solchen Eingriff bedeutet ultima ratio, dass die zielgerichtete irreversible Schädigung eines gesunden Organs nur dann als erforderliche Behandlung anzusehen ist, wenn die voraussichtlichen Ergebnisse dieses Eingriffs den voraussichtlichen Ergebnissen anderer Behandlungsoptionen eindeutig überlegen sind. Hierfür ist es nicht zwingend erforderlich, dass sämtliche andere Therapieoptionen zuvor tatsächlich ausgeschöpft sind. Es kommt insbesondere auf die Erfolgsaussichten der nicht-invasiven Therapieoptionen, die voraussichtliche Dauer bis zu einem spürbaren Erfolg, das Ausmaß der Folge- und Begleiterkrankungen der Adipositas und die dadurch bedingte Dringlichkeit der Gewichtsreduktion an. Im Falle des abgesenkten Qualitätsgebots verbleibt es bei der Voraussetzung der Nicht(mehr)verfügbarkeit einer Standardbehandlung. Mit ihren Einwänden gegen den danach in Betracht kommenden Vergütungsanspruch des Krankenhauses ist die KK nicht schon ausgeschlossen, weil sie kein Prüfverfahren im Sinne des § 275 Abs 1c SGB V aF eingeleitet hat. Allerdings besteht eine auf die Einwände der KK beschränkte Ermittlungspflicht des Gerichts, an der das Krankenhaus nicht mitwirken muss. Die Erhebung und Verwertung derjenigen Daten, die nur im Rahmen des Prüfverfahrens durch den MDK beim Krankenhaus hätten erhoben werden können, ist dem Gericht verwehrt. Das Gericht darf seiner Überzeugungsbildung nur die von dem Beweiserhebungs- und -verwertungsverbot nicht umfassten Daten zugrunde legen. Verwertbar sind auch die vom Krankenhaus freiwillig zur Verfügung gestellten Daten. Der Verzicht der KK auf ein Prüfverfahren ist darüber hinaus auch im Rahmen der Beweiswürdigung zu berücksichtigen. Er bewirkt eine Beweiserleichterung bis hin zur Umkehr der Beweislast zugunsten des Krankenhauses. Dieses soll nicht unter dem Druck der Beweislast letztlich doch gezwungen sein, Behandlungsunterlagen zu offenbaren, deren Anforderung dem Gericht verwehrt ist.

Im wiedereröffneten Berufungsverfahren muss das LSG zunächst feststellen, ob nach den aufgezeigten Maßstäben eine bariatrische Operation medizinisch erforderlich war. Bejaht es dies nach Prüfung der von der KK vorgetragenen Tatsachen auch im konkreten Fall, erübrigen sich weitere Ermittlungen. Sollten die von der KK vorgetragenen und belegten Tatsachen gegen die Erforderlichkeit der bariatrischen Operation sprechen, kann das Krankenhaus nur ihm zur Verfügung stehende Daten in das Verfahren einführen, um die Einwände zu erschüttern. Bleiben relevante Tatsachen für die von der KK erhobenen Einwände unaufklärbar, gehen verbleibende Zweifel zu ihren Lasten.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 22/22.

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