Verhandlung B 2 U 9/20 R
Unfallversicherung - Arbeitsunfall - posttraumatische Belastungsstörung
Verhandlungstermin
28.06.2022 11:00 Uhr
Terminvorschau
A. S. ./. BG Holz und Metall
Der Kläger ist als Schlosser im Bereich der Stranggießanlage eines Stahlwerkes beschäftigt. Am 18.10.2009 begab er sich in einen nicht allgemein zugänglichen/abgesperrten Bereich der Stranggießanlage und wurde dabei mit dem Oberkörper von einer Maschine eingeklemmt. Am Tag des Unfalls diagnostizierte der Durchgangsarzt ua eine Fraktur der 12. Rippe rechts und ein stumpfes Bauchtrauma, weswegen der Kläger stationär behandelt wurde. Wenige Wochen später begab er sich in ambulant-psychiatrische Behandlung. Der behandelnde Psychiater diagnostizierte eine mittelschwere depressive Entwicklung im Rahmen einer akuten Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) mit direktem Zusammenhang zum Unfallereignis.
Die Beklagte lehnte die Gewährung einer Verletztenrente ab. Die Klage auf Verletztenrente war in den Vorinstanzen erfolglos. Das Landessozialgericht hat ua ausgeführt, als Folge des Arbeitsunfalls bestehe bei dem Kläger ua eine spezifische Phobie vor der Unfallmaschine einhergehend mit Ängsten vor Enge, die jedoch keine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in rentenberechtigendem Ausmaß begründe. Eine PTBS sei dagegen nicht im Vollbeweis nachgewiesen.
Mit seiner Revision rügt der Kläger ua die Verletzung materiellen Rechts (§ 56 Abs 1 Satz 1 SGB VII). Eine PTBS hätte festgestellt werden müssen.
Vorinstanzen:
SG Braunschweig - S 14 U 75/12, 02.06.2016
LSG Niedersachsen-Bremen - L 16 U 129/16, 29.08.2019
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Terminbericht
Die Revision des Klägers war im Sinne der Zurückverweisung begründet. Der Senat kann nicht abschließend darüber entscheiden, ob und welche weiteren Unfallfolgen bei dem Kläger vorliegen und ob eine rentenberechtigende MdE in Höhe von (mindestens) 20 vH besteht.
Gesundheitsschäden insbesondere aus dem psychiatrischen Formenkreis erfordern eine genaue Diagnose nach dem jeweils aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft. Das setzt voraus, dass sie in eines der gängigen und im Entscheidungszeitpunkt gültigen Diagnosesysteme eingeordnet werden (zB ICD oder DSM). Das Landessozialgericht hat seine Feststellung, dass in der Person des Klägers zu keiner Zeit eine PTBS vorgelegen habe, auf das DSM-IV gestützt, obwohl bereits seit Mai 2013 das DSM-V galt. Es ist damit von einem offenkundig nicht mehr dem aktuellen Stand entsprechenden medizinischen Erfahrungssatz ausgegangen.
Das Landessozialgericht hat ferner das für die Diagnose einer PTBS erforderliche Traumakriterium offengelassen und die Symptomkriterien verneint. Trotz der Vergleichbarkeit im Grundsätzlichen unterscheiden sich die konkreten Diagnosekriterien sowohl des hier einschlägigen ICD‑10 als auch des DSM‑V von denen des DSM‑IV. Die Ermittlung und Feststellung der Kriterien im Einzelfall als Voraussetzung einer medizinischen Diagnose muss daher im wiedereröffneten Berufungsverfahren unter Zuhilfenahme von Sachverständigen erfolgen.
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